Pflegerisches Entlassungsmanagement im Krankenhaus. Klaus Wingenfeld
Möglichkeit der konzeptionellen Konkretisierung. Es liegt in der Verantwortung des Krankenhauses, ein entsprechendes Konzept zu definieren und die Aufgaben der Berufsgruppen festzulegen und voneinander abzugrenzen.
Insoweit scheint mit der gesetzlichen Verankerung und dem Rahmenvertrag ein großer Schritt zur Weiterentwicklung des Entlassungsmanagements erfolgt zu sein. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass aus pflegerischer Perspektive keinesfalls nur Verbesserungen angestoßen wurden. Im Gegenteil: Der Bedeutungszuwachs des Entlassungsmanagements ist gekoppelt an ein Verständnis, in dem die Entlassungsvorbereitung vorrangig mit Verordnungen des Krankenhausarztes für die Zeit nach der Entlassung in Verbindung gebracht wird.
Diese Tendenz zeigt sich schon im erwähnten Rahmenvertrag, in dem die Voraussetzungen und die Durchführung der Verordnung von Arzneimitteln einen besonders wichtigen Stellenwert einnehmen. Das geht bis hinein in Detailfragen, die die zu verwendenden Vordrucke und Inhalte einzelner Felder in diesen Vordrucken betreffen. Dem gegenüber nehmen beispielsweise Maßnahmen der Beratung und Anleitung zur Förderung des Selbstmanagements der Patienten und Angehörigen, die im pflegerischen Entlassungsmanagement zentrale Bedeutung haben sollten, einen marginalen Stellenwert ein.
Die Umsetzung in der Praxis ist durch ähnliche Akzentuierungen gekennzeichnet. Im Vordergrund steht die Frage, wie das Verordnungsgeschehen möglichst funktional ausgestaltet werden kann. Verwaltungstechnische Abläufe und technische Anforderungen der Informationsübermittlung scheinen hierbei im Vordergrund zu stehen. Trotz vieler positiver Impulse droht mit den gesetzlichen und vertraglichen Neuerungen daher ein Rückschritt beim Aufbau professioneller Formen des Entlassungsmanagements nach internationalen Standards.
Daraus erwächst für die Pflege, aber auch für die Krankenhaus-Sozialarbeit das wichtige Erfordernis, den konzeptionellen Kern eines professionellen Entlassungsmanagements und die Merkmale der patientenzentrierten Hilfen, die dabei zu leisten sind, eindeutig zu beschreiben, zu kommunizieren und natürlich auch in der Praxis umzusetzen. Die in Kapitel 1.3 (
Gelingt es nicht, die Kooperationspartner wenigstens teilweise auf dieses Verständnis zu verpflichten und entsprechende Strukturen aufzubauen, entsteht die Gefahr, dass sich das Entlassungsmanagement zu einem bürokratischen Verordnungsmanagement entwickelt. Die vielfältigen Probleme, die Patienten und Angehörige im Zusammenhang mit der Entlassung erleben, blieben damit aber ungelöst.
2 Man vergleiche Definitionen aus anderen Ländern: »Discharge planning is a process and service where patient needs are identified and evaluated and assistance is given in preparing the patient to move from one level of care to another, hospital to home or hospital to another facility. It involves arranging that phase of care whether it be self-care, care by family members, care by paid health provider or a combination of options« (Jackson 1994: 492). »Most modern definitions of discharge planning include the notion of helping patients through transitions from one level of care to another« (Rorden/Taft 1990: 22).
3 In diesem Buch wird der Ausdruck poststationär noch häufiger auftauchen. Gemeint ist damit generell die Phase nach dem Krankenhausaufenthalt. Erfolgt der Übergang in ein Heim, ist der Begriff poststationär streng genommen nicht korrekt. Doch auch hier fehlen geeignete Alternativen. Es gibt leider keine Übersetzung für den englischen Begriff post-hospital, der in der internationalen Literatur häufig verwendet wird.
4 Weiterführende Informationen, alle Präambeln sowie Auszüge aus den aktuellen Expertenstandards und Auditinstrumenten finden sich auf der Homepage des DNQP unter folgendem Link: https://www.dnqp.de/de/expertenstandards-und-auditinstrumente/.
2 Die Arbeitsschritte des Entlassungsmanagements
Pflegerisches Entlassungsmanagement sollte mit der Krankenhausaufnahme beginnen und erst enden, wenn der Patient das Krankenhaus bereits wieder verlassen hat und geprüft worden ist, ob alle Maßnahmen den gewünschten Erfolg gebracht haben. Am Anfang steht das Risikoscreening (initiales Assessment). Danach kann sich der Prozess, wie das folgende Schema erkennen lässt, verzweigen (
Abb. 2.1: Ablauf des Entlassungsmanagements
In den folgenden Kapiteln werden die einzelnen Schritte des Entlassungsmanagements und die dazu benötigten Instrumente ausführlich beschrieben.
2.1 Risikoscreening und erste Bedarfseinschätzung
»Die Pflegefachkraft führt mit allen Patient*innen und deren Angehörigen innerhalb von 24 Stunden nach der Übernahme der pflegerischen Versorgung eine erste kriteriengeleitete Einschätzung der erwartbaren poststationären Versorgungsrisiken und des Unterstützungsbedarfs durch. Diese Einschätzung wird bei Veränderung des Krankheits- und Versorgungsverlaufs überprüft und gegebenenfalls aktualisiert.« (DNQP 2019, P1a)
Am Anfang des Entlassungsmanagements steht die Identifizierung der Patienten, die Unterstützung bei der Bewältigung des Übergangs aus dem Krankenhaus in eine andere Versorgungsumgebung benötigen. Diese Aufgabe stellt sich bei allen neu aufgenommenen Patienten, sodass man hier auch von einem Screening sprechen kann. Der nationale Expertenstandard verwendet den Begriff initiales Assessment. Ziel ist nicht die differenzierte Erfassung des Bedarfs, sondern eine erste, grobe Einschätzung der Situation des Patienten und seiner Probleme, um ein erhöhtes Risiko mangelnder Bewältigung des Übergangs zu erkennen bzw. auszuschließen.
Welche Patienten benötigen Unterstützung?
Genau genommen benötigen alle oder fast alle Patienten in irgendeiner Form Unterstützung, denn alle haben nach der Entlassung bestimmte Anforderungen im Umgang mit Krankheits- und Behandlungsfolgen zu beachten. Beispielsweise geht jede Operation mit einem Bedarf an Nachbehandlung und Maßnahmen der Selbstpflege einher. Sie stellt die Patienten daher vor bestimmte Erfordernisse. Dazu gehören Selbst- bzw. Symptombeobachtung, Arztbesuche, der Umgang mit der Operationswunde einschließlich der Einhaltung spezieller Hygienevorschriften, ggf. auch die Einnahme von Medikamenten und die Anpassung des Alltagshandelns (z. B. Vermeidung von Handlungen, die Scherkräfte im Bereich der Wunde auslösen, Umstellung von Freizeitaktivitäten etc.).
Häufig kann sich die Unterstützung, die dadurch notwendig wird, auf Information und Aufklärung durch einen Arzt beschränken. Ein strukturiertes Entlassungsgespräch, das grundsätzlich einen Bestandteil der medizinischen und pflegerischen Versorgung im Krankenhaus darstellen sollte, wird daher bei der Mehrheit der Patienten ausreichen. Aus zwei Gründen können jedoch weitergehende Hilfen notwendig sein:
1. Möglicherweise ergeben sich aus der Erkrankung oder der ärztlichen Behandlung ungewöhnlich hohe Anforderungen oder schwerwiegende Probleme, die das Wissen und die Fertigkeiten des Patienten übersteigen.
2. Es kann jedoch auch bei weniger komplexen Krankheitsfolgen zu einer Überforderung des Patienten kommen, wenn dessen Wissen und Fertigkeiten schon bei verhältnismäßig geringen Anforderungen an ihre Grenze stoßen – vielleicht bedingt durch gesundheitliche Störungen, vielleicht aber auch durch eine prekäre soziale Situation (