Schläferin. Sophie Reyer
SCHLÄFERIN
Sophie Reyer
Geboren 1984 in Wien. Theatertexte vogelglück, baumleberliebe, hundpfarrer, Anna und der Wulian und käfersucht (S. Fischer-Verlag). Studium Drehbuch und Filmregie an der Kunsthochschule für Medien Köln seit 2011. Buchprämie des bmukk für flug (spuren) (2012). 2013 Literaturpreis der Stadt Graz. Preis „Nah dran!“ für das Kindertheaterstück Anna und der Wulian. 2014 Uraufführung Anna und der Wulian an der Badischen Landesbühne.
Textlicht
Die Reihe Textlicht ist Lesevergnügen im zeitgemäßen Format: Literatur, die unter die Haut geht und im Kopf bleibt! Die Bücher der Textlicht-Reihe können Sie auch als E-Books erwerben.
In der Textlicht-Reihe sind bislang erschienen:
Philipp Weiss: Tartaglia
François Grosso: Zurückbleiben bitte!
Ulrike Schmitzer: Die Flut
Izy Kusche: Kassiber
Thomas Ballhausen: Lob der Brandstifterin
Eva Schörkhuber: Die Blickfängerin
Claudia Tondl: Fensterfummeln
Philipp Hager: Wieso riecht’s hier nach Benzin ...?
Ilir Ferra: Aus dem Fluss Jana Volkmann: Fremde Worte
Hanno Millesi: Venusatmosphäre
Sophie Reyer
SCHLÄFERIN
Erzählung
Innerhalb des Traumes
öffnet etwas meine Hand,
damit sie deiner begegnet,
außerhalb des Traumes.
Aber außerhalb des Traumes
öffnet etwas meine Hand,
damit sie deiner begegnet,
innerhalb des Traumes.
Gibt es in meinem Traum nicht etwas,
das meine Hand öffnet,
damit sie deiner begegnet,
innerhalb des Traumes?
Wie es hier draußen etwas gibt,
das meine Hand öffnet,
damit sie deiner begegnet,
einfach hier draußen.
Die unmittelbaren Begegnungen
und die mittelbaren Begegnungen
suchen vielleicht eine andere Begegnung:
die Begegnung, die den Ort aufhebt
Roberto Juarroz
1.
EINSAMKEIT
Zuerst starrt sie die Glaswände an. Sie hat die Beine an den Bauchnabel gezogen. Auf der Wiese treiben es Karnickel miteinander. Von weither ist das Rauschen eines Zuges zu hören. Wie das Meer, denkt sie. Lauscht dem Summen nach und sieht sich den frischblauen Himmel an. Die Helligkeit sticht ihr in den Blick. Ihre Augen rollen herum. Immer wieder. Wollen nicht zur Ruhe kommen. Tollende Augen. Sie hockt in einem Quader aus Holz und Glas. Schaut und schaut. Ihr Spiegelbild schimmert in der Milchglasschicht der Frontseite. Ein Kuckuck ruft. Das Brausen eines Autos. Eines der Karnickel hopst von dem zweiten herunter und hoppelt davon. Sie sieht sein Plüschwollschwänzchen von hinten. Sieht weit ausholende Pfoten. Die Karnickel wuseln flink. Und weg sind sie. Kleine Fellknäuel. Sie lächelt. Ihre Augen rotieren wieder. Sie muss husten. Wartet auf die Veränderungen im Blau hinter dem Glas. Dass sich die Sonne ins vertrocknete Sommergras tunkt. Dass es Nacht wird. Nichts.
Man hat sie hierhergebracht. In dieses seltsame Glashaus. Nach dem Tod des Kindes hätte sie allem zugestimmt. Dichte Tage waren es. Schläferin, sagte Zoe. Wir bräuchten eine Schläferin. Sie hatte keine Angst mehr. Sie hatte alles verloren. Dass sie mit Licht experimentierten, hieß es. Photonenstrahlen. Sie war zu allem bereit. Ihr Herz war ein Kreisel. Ihr Kopf war ein Kreisel, der sich um alle Gedanken drehte. Schläferin.
Es ist, als ob alles mit den Glaswänden anfangen würde, denkt sie. Aber es stimmt nicht. Sie weiß von nichts, nur dass sie das Gefühl hat, die Stille würde sie auffressen. Langsam bekommt sie Sehnsucht nach dem Meer. Möchte loslaufen und sich in die Fluten stürzen. Aber was sie da hört, ist nur das Rauschen eines Zuges, der über die Schienen holpert, links vom Quader. Vielleicht sollte sie jetzt aufstehen. Irgendetwas tun gegen diese äußere Ruhe, die sie unruhig macht. Ihr gegen die Pupillen drückt, dass es schmerzt. Aber sie schaut nur. Der Koffer halb ausgepackt in der Ecke. Hin und wieder knackst das Holz. Ein Knistergeräusch. Ich sitze in einem Baum, denkt sie, und erinnert sich an die Baummaus und die Grasmaus in einem ihrer Kinderbücher. Wie sie mit spitzen Schnäuzchen aneinander nuckelten. Einander küssten. Sie muss grinsen. Ob sie dem Kind auch aus diesem Buch vorgelesen hätte?, fragt sie sich. Schiebt die Gedanken schnell wieder weg. Knackst mit den Zehen und guckt stumpf ihr Spiegelbild an. Als ob aller Anfang Glaswände wären, denkt sie und lacht sich selbst aus für diesen pseudophilosophischen Gedanken. Stille. Sie fährt sich durchs Haar. Hinter der Glasscheibe das leise Zittern vertrockneten Grases. Bäume. Ein Himmel, der langsam seine Farbe verändert. Sonst nichts.
Sie steht auf und streift in das Badezimmer. Die Kacheln sind kalt unter ihren bloßen Füßen. Die Badewanne ist ein riesiger heller Hohlraum. Das Fenster halb offen. Trotz der Sommerwärme zittert sie ein bisschen. Ein Käfer aus grüner Schale hockt im Waschbecken. Das schimmernde Kreuz einer Spinne, die sich von einer Ecke abseilt, ist zu sehen. Ihr Körper bibbert. Ihr ist, als ob der Quader atmen würde. Als ob er aus organischem Material gemeißelt wäre. Als ob sie im Inneren einer Gebärmutter hocken würde. Von einer riesigen Vagina verschluckt. What to do, denkt sie und: Nowhereland. Lässt sich vom Duschkopf Wassertropfen auf die Haut rieseln. Kurze Zeit geht es den Augen besser und sie machen keine großen Sprünge mehr. Als sie aus der Badewanne steigt, muss sie Rotz aufziehen. Dann: die Nässe aus der Haut rubbeln. Auf dem Waschbeckenrand liegt ein Föhn. Was das für einen Krach machen würde, den einstecken, denkt sie. Und dann: einschalten. Damit baden gehen. Bei dem Gedanken muss sie abrupt husten. Lenk dich ab, sagt sie sich. Steigt wieder aus der Wanne und reibt sich die Fußsohlen trocken. Läuft dann schnell ins andere Zimmer. Glaswände. Sie geht auf und ab. Nackt. Das Handtuch rutscht ihr von den Schultern, bleibt am Boden liegen. Sie weiß nicht, was sie tun soll gegen die inneren Bilder. Greift sich an die Schläfen. Drückt mit den Fingerkuppen fest dagegen. Soll sie das Rouleau zuziehen? Die Farben am Himmel beginnen, sich zu verändern. Wann kann sie den nächsten Zug hören? Sie spuckt Schleim aus. Szenen aus ihrer Kindheit steigen auf vor ihrem inneren Auge. Sie muss zur Ruhe kommen, denkt sie. Setzt sich aufs Sofa und drückt eine Pille aus der Kapsel. Dann nickt sie ein.
Ich sehe jetzt alles sehr klar. Ich bewege mich leichter und sicherer als sonst.
Meine Hände. Ich muss im Traum immer meine Hände anblicken, hat Zoe gesagt, dann kann ich ihn lenken oder verlassen. Alles kein Problem. Ich gehe durch eine Landschaft. Licht, überall. Die Helligkeit tut weh. Ich sehe Kinder, die auf der Wiese herumlaufen. Viele. Sie sind leicht bekleidet, ihr Haar weht im Wind. Das Gras kitzelt meine Füße. Ich bewege mich, als wäre ich in einer Wasserblase. Ich lächle. Da: ein Pochen. Ist es mein Herz? Nicht vergessen, ich träume nur. Oder –
Sie schreckt aus dem Schlaf. Es hat geklopft. Sie öffnet die Türe. Lächelt ein verrunzeltes Gesicht an.
Mädchen, ich bin die Milchfrau. Ich versorg die Schläfer. Hab hier Milch für dich. Und Äpfel.
Danke.
Geht’s gut?
Verdammt still ist’s hier, antwortet sie vage.
Wird