Die Tunnelwelt. Samuel White

Die Tunnelwelt - Samuel White


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      Inhalt

       Personae

       Prolog

       1. Akt

       2. Akt

       3. Akt

       4. Akt

       Epilog

– 1 –
Personae

      Die Jünger der Architekten

      Pater Vitorius – Achtzehn Jahre bereitete er sich auf einen Krieg vor, den er nie gewollt hatte

      Bruder Agnus – Er soll die Laterne reparieren, muss sich aber seinen Weg erst freikämpfen

      Tinko – Ein Straßenjunge und ein Dieb, doch Pater Vitorius sieht mehr in ihm

      Die Herrscher von Karstheim

      König Ogur – Vor achtzehn Jahren eroberte er Karstheim und hat nicht vor, seine Macht wieder abzugeben

      Königin Moraya – Sie will vor dem sich anbahnenden Wahnsinn des Königs fliehen

      Prinz Robur – Er ist der Thronfolger, doch er will nicht mehr warten

      Prinzessin Kataya – Sie ist die Einzige, die noch loyal zu ihrem Vater steht

      Weitere Personen

      Thorgur – Sein ganzes Leben hatte er der Königin gewidmet, doch seine Loyalität beginnt zu bröckeln

      Arlon Brant – Er dient an der Front, doch das Schicksal seiner Familie liegt im Ungewissen

      Galder – Als erster der Auguren hält er sich für unverwundbar

      Malura – Die Tempeltänzerin verbirgt ein Geheimnis

Prolog

      Schweren Schrittes näherte sich der alte Mönch dem Lager seiner Ordensbrüder. Seine kurze Kutte wog schwer in diesem Moment. Musste er sich doch selbst ein großes Versäumnis eingestehen. Die rote Farbe seines Gewands leuchtete in der nahenden Sonne, der Überflug mit dem Mittagsblitz stand kurz bevor. Als würden die Architekten selbst seine Schmach beleuchten. Er hatte die Barbaren unterschätzt. Normalerweise hielten die freien Stämme an ihrer nomadischen Lebensweise fest, wie es von den Architekten vorherbestimmt war. Warum genau der Stamm der Terrorvögel von diesem Plan abwich, konnte Vitorius nicht sagen. Vor achtzehn Jahren eroberte der Stammesfürst Ogur mit seinen Kriegern die Stadt Karstheim. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion massakrierten sie die Oligarchen und die gesammelte Priesterschaft der Stadt. Der Pater schreckte damals vor einer direkten Strafaktion durch die Ordensbrüder zurück. Er hatte gehofft, dass die Terrorvögel, die sich daraufhin in der Stadt einnisteten, sich schnell an das Stadtleben anpassten, dass sie assimiliert würden. Aber sie hatten ganze Arbeit geleistet. Sie hatten die Elite der Stadt komplett ausradiert und stülpten den übriggebliebenen Einwohnern ihre Kultur über. Das Schlimmste war, dass sie keinen Sinn hatten für die Übereinkünfte der Stadt mit dem Orden der Architekten. Bis heute hatten sie die Laterne nicht wieder in Betrieb genommen, die beim Einfall der Barbaren in die Stadt zerstört wurde. Wahrscheinlich war den Barbaren gar nicht bewusst, welchen Sinn der Turm hatte. Dabei schliefen auch sie unter dem Nachthimmel, der von den Laternen der gegenüberliegenden Weltenseite erleuchtet wurde. Selbst Pater Vitorius wusste nicht, welche mystische Bedeutung sich hinter den Laternen verbarg. Aber dass ein Bauwerk der Architekten seit achtzehn Jahren in Trümmern lag, nagte an ihm, an seinem Selbstverständnis. Er hätte sich viel früher darum kümmern müssen. Doch er hatte den Konflikt gescheut und hatte zugegebenermaßen Angst vor der militärischen Stärke der Terrorvögel. Doch mittlerweile hatte sein Orden ein stehendes Heer aufgebaut, dem er zutraute, die Barbaren in einer offenen Schlacht zu schlagen. Trotzdem hatte er gehofft, dass er auf diplomatischem Wege Erfolg haben könnte. Dabei war seine Mission gar nicht mehr die Rückeroberung der Stadt. Die Kardinäle des Ordens waren um Schadensbegrenzung bemüht. Alles, was sie wollten, war das Artefakt. Ein Kleinod, das sich seit Generationen im Besitz der Herrscher von Karstheim befand und benötigt wurde, um die Laterne der Stadt wieder in Gang zu setzen. Deswegen war Pater Vitorius mit einer kleinen Delegation nach Karstheim gezogen. Zwölf Brüder des Ordens begleiteten ihn zur Stadt. Doch zu einer ersten Audienz mit dem Stammesfürsten, der sich nun König Ogur nannte, wurde nur er selbst vorgelassen. Und ihm wurde klargemacht, dass er gar nichts bekommen würde. Ogur verachtete die Ordensbrüder. Vitorius hätte gern gewusst, woher dieser Hass kam. Aber selbst diese Erkenntnis hätte ihm nicht viel geholfen. Mit leeren Händen kehrte er zu seinen Brüdern zurück, die in der Zwischenzeit unweit der Stadtmauern ein kleines Zeltlager errichtet hatten. Fünf Zelte, davon drei einfache mit Platz für je vier Ordensbrüder, ein Zelt für Pater Vitorius und ein quadratisches Repräsentationszelt, das im Grunde nicht mehr als ein übergroßer Sonnenschirm auf vier Stelzen war. Gemeinsam waren die Zelte um eine große Feuerstelle gruppiert. Vitorius konnte schon den Eintopf riechen, der über dem Feuer schmorte. Vielleicht war eine Stärkung jetzt genau richtig.

      Der erste Bruder entdeckte ihn und informierte lautstark die anderen elf. Einer nach dem anderen tauchte am Rand des Zeltlagers auf. Alle schauten sie ihn erwartungsvoll an. Bruder Agnus war der Erste, der das Wort an ihn richtete: „Ihr seht müde aus, Pater. Der Eintopf ist fertig. Warum setzen wir uns nicht und speisen gemeinsam? Und wenn Ihr wieder bei Kräften seid, könnt Ihr uns erzählen, was Euch in der Stadt widerfahren ist.“

      Pater Vitorius lächelte. „Widerfahren, das ist ein gutes Wort. Weder das Wort noch die Vertreter der Architekten zählen noch etwas in Karstheim. Ich hätte es kommen sehen sollen. Ein Teil von mir hat das auch getan. Aber ich hatte damals dem Schicksal nichts entgegenzusetzen. Doch lasst uns erst essen. Ich bin tatsächlich hungrig, und im Sitzen lässt es sich besser palavern.“

      Der Pater lächelte seinen Glaubensbrüdern zu und führte sie alle zu der Feuerstelle. Über dem Feuer blubberte ein Topf, an einem Dreibein aufgehängt. Um das Feuer herum hatten die Brüder mit frisch gefällten Baumstämmen ein paar Sitzgelegenheiten improvisiert. Auf dem augenscheinlich bequemsten Baumstamm hatte Bruder Jonas vorsorglich ein Samtkissen platziert. Vitorius nahm diese Annehmlichkeiten, die sowohl sein Amt als auch wohl sein hohes Alter mit sich brachten, gern an. Zielstrebig ließ er sich auf dem Kissen nieder, die anderen Brüder folgten ihm. Wobei Jonas und Agnus noch Schalen mit dem Eintopf an die Brüder und den Pater verteilten, bevor sie sich selbst hinsetzten. Eine Weile aßen sie schweigend und ließen den Mittagsblitz über sich herüberziehen. Pater Vitorius leerte seine Schale, stand auf und verhalf sich am Topf über der Feuerstelle zu einer zweiten Portion.

      „Entweder Ihr habt wirklich großen Hunger oder Ihr seid sehr angetan von Bruder Flavius Kochkünsten“, sagte Bruder Agnus. Vitorius blickte zu ihm auf. Sein ältester Schützling war nicht mehr weit davon entfernt, in der Hierarchie des Ordens aufzusteigen und zum Pater geweiht zu werden. Für alle praktischen Belange war er schon jetzt Vitorius' Stellvertreter. Und seine Weisheit zeigte sich insbesondere in diesen Momenten, in denen er die Stimmung einer Situation analysierte und mit seinem leichten Humor so weit auflockerte, dass selbst schlimmste Nachrichten zu verkraften waren.

      „Es ist wohl beides, lieber Agnus. Ich bin tatsächlich hungrig. Der König war kein guter Gastgeber. Und der Eintopf schmeckt wirklich sehr gut. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir frisches Fleisch in unseren Vorräten mitgebracht hatten.“ – „Julian und Markus konnten heute Vormittag ein paar Kaninchen fangen“, erwiderte Bruder Flavius. Das Lob von Pater Vitorius ließ seine Wangen leuchten, ebenso wie die von Julian und Markus. Die beiden waren die jüngsten im Gefolge und erst kürzlich aus dem Novizenrang zu Brüdern aufgestiegen.

      „Es gibt möglicherweise noch einen dritten Grund“, sagte der Pater, als er sich mit seiner vollen Schale wieder auf seinem Samtkissen niederließ. „Auch wenn ich die letzten achtzehn Jahre damit


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