Unsagbare Dinge. Sex Lügen und Revolution. Laurie Penny
befördert und beschützt zu werden.
Wer als Mädchen zur Welt kommt oder zur Frau wird, steckt allerdings in einem besonderen Dilemma, und genau dieses Dilemma prägt die Absolutheit der Geschlechterunterdrückung. Es ist sehr wichtig, dass jede und jeder begreift, wie Sexismus Frauen beeinträchtigt und sich somit auf alle Menschen auswirkt. Frauen unterliegen strengeren Verhaltensregeln: Ihnen wird vorgegeben, was sie tun, was sie sagen, was sie wollen sollen. Was sie anziehen, was sie essen, wo sie einkaufen, wie sie sich bei der Arbeit verhalten sollen und wann sie ihm besser nicht auf eine Textnachricht antworten, wann sie vögeln, wie sie vögeln, welche Farbe sie sich ins Haar schmieren sollen, wenn er sie verlässt. Wenn man aus den »Fraueninhalten« der Mainstream-Medien die Werbung abzieht, bleiben im Grunde nur Regellisten übrig. Es ist schwer, ein Mann zu sein in dieser Welt, und es ist noch schwerer, der sozialen Klasse der Frau anzugehören, die all die Gewalt und die Traumata, die Männern von der Gesellschaft auferlegt werden, und dann auch die Folgen dieser Traumata tragen soll, die den Männern die Sorgenfalten von der Stirn streicht, den Schwanz lutscht und mit sanfter Unterwürfigkeit die geschlechtsspezifische Gewalt erduldet, wie sie es von Geburt an gelernt hat.
Das Geschlecht ist eine Zwangsjacke für die menschliche Seele.12 Das Geschlecht macht uns fix und fertig, es verwandelt die, die wir lieben sollten, in Feinde, und Frauen setzt es am meisten zu. Für uns ist die Biologie nicht nur Schicksal: Sie ist eine Katastrophe.
Wir sind immer noch nicht glücklich, Frauen nicht und Männer nicht, und die einen sagen, das liege am Feminismus, die anderen, es sei trotz des Feminismus so. Ich würde behaupten, es liegt daran, dass der Kampf gegen das kapitalistische Patriarchat gerade erst begonnen hat, aber mit Sicherheit wissen wir, dass die Genderrollen, Mann und Frau, Junge und Mädchen, etwas an sich haben, das die Menschen furchtbar unglücklich macht. Wir wissen das, weil das Geschlecht noch immer die wichtigste Sprache ist, in der wir existenzielle Krisen bereden.
Frauen sind deprimierter als Männer, ängstlicher als Männer, schlucken zweimal so viele Psychopharmaka und unternehmen dreimal so oft einen Selbstmordversuch wie Männer, die allerdings doppelt so häufig dabei sterben.13 Bei Männern bleibt ein emotionales und psychisches Trauma eher unbehandelt; ein Mann erträgt es schweigend im stillen Kämmerlein, bis plötzlich der Punkt erreicht ist, an dem das Herz es nicht mehr aushält und er schließlich die Gewalt gegen sich richtet, mit einem Seil, einem Messer oder Vaters Gewehr. Die meisten kulturellen Narrative, die sich mit der psychischen Gesundheit befassen, drehen sich heute um Genderfragen, und Forscher und Sozialtheoretiker erforschen, ob Männer oder Frauen größere Not leiden und wessen Schuld es wohl ist. Wer nun eigentlich abgefuckter ist, Jungs oder Mädchen, ist noch nicht ausgemacht, aber dass wir das unbedingt wissen wollen, offenbart doch zumindest eine Wahrheit: Mit dem Geschlecht hat es etwas auf sich, das zutiefst beunruhigt auf einer intimen Ebene, über die selten geredet wird. Rund um das Frausein und das Mannsein oder den Versuch, eine Frau oder ein Mann zu sein, herrscht im 21. Jahrhundert eine tiefe Verunsicherung, und sogar in den wenigen Räumen, in denen sie es dürfen, fällt es den Menschen schwer, darüber zu reden.
Haben wir etwa die natürliche Ordnung gestört?
Die unnatürliche Frau
Immer wenn Menschen verhindern wollen, dass sich die Welt allzu sehr verändert oder überhaupt verändert, behaupten sie, diese und jene Veränderung sei »unnatürlich«. Echte Gleichheit für Frauen am Arbeitsplatz ist »unnatürlich« – die Natur will, dass sich Frauen aus dem öffentlichen Leben ausklinken, wenn sie Kinder bekommen, und wenn sie keine Kinder bekommen, dann muss das unnatürlich sein. Ehrgeizige und unabhängige Frauen sind unnatürlich. Frauen, die aktiv sexuelles Verlangen äußern, sind unnatürlich. Frauen, die sich nicht für Männer hübsch machen, sind unnatürlich. Frauen, die Respekt und Sicherheit fordern, ohne hübsch und jung zu sein, sind unnatürlich. Abtreibung ist unnatürlich. Verhütung ist unnatürlich. Lust um der Lust willen ist unnatürlich.
Unnatürlich ist so gut wie alles, was Spaß macht.
Aber Vergewaltigung, ja, die ist natürlich. Männliche Gewalt gegen Frauen ist natürlich. Homophobie ist natürlich. Diskriminierung queerer Frauen, armer Frauen, dicker Frauen, hässlicher Frauen, Transgender-Frauen, Women of Colour und weiblicher Männer ist natürlich. Armut ist natürlich, vor allem, wenn die Armen männerlose Mütter mit kleinen Kindern sind. So ist die Welt nun einmal. Tod im Wochenbett ist natürlich. Dass Frauen für sexuelle Lust einen höheren Preis zu bezahlen haben, ist natürlich. Sexuelle Doppelmoral ist natürlich. Frauen haben seit Jahrhunderten weniger Freiheit und Macht, werden stärker ausgebeutet als Männer, und vielleicht gab es da kleine Fortschritte, aber mehr sollten wir nun wirklich nicht einfordern. Mehr einzufordern wäre unnatürlich. Schlampen sollten wissen, wo sie hingehören.
Die Frage ist selbstverständlich: Warum, zum Teufel, sollte irgendjemand natürlich sein wollen?
Seit fünfzig Jahren predigt das Patriarchat den Frauen, sie sollten wieder in die Küche gehen, erst mit echter Wut, dann in einem ironischen, scheinbar witzig gemeinten Krypto-Sexismus: Geh wieder in die Küche, und schmier uns ein Brot, Liebes. Die Männer, die so darauf aus sind, dass Frauen und Mädchen wieder in die Küche gehen, sollten sich mal überlegen, was wir da drin womöglich anzetteln könnten. In der Küche kann man sich ziemlich schlimme Sachen ausdenken. Da bewahren wir auch die Messer auf.
Die Wahrheit ist, dass daran, was es bedeutet, heutzutage ein Mann oder eine Frau zu sein, nichts »Natürliches« ist. Genderidentität ist performativ, und sie wird dargeboten, um Gewinn zu machen, sei es sozial, finanziell oder persönlich. Diese Darbietung ist eine Anpassungsstrategie, die hilft, sich in einem mehrheitlich feindlichen Gebiet zurechtzufinden. Nun müssen wir uns wieder anpassen. Und das ist Feminismus: Anpassung. Evolution.
Der Feminismus hat keine festen Regeln. Er will nicht den Männern Rechte wegnehmen, denn es gibt keine begrenzte Menge an Freiheit. Freiheit steht uns im Überfluss zur Verfügung, wenn wir den Mut haben, sie für alle zu ergreifen. Feminismus ist eine soziale Revolution und eine sexuelle Revolution, und Feminismus gibt sich keinesfalls mit der Missionarsstellung zufrieden. Im Feminismus geht es um Arbeit und um Liebe und um die Abhängigkeit des einen vom andern. Feminismus heißt, Fragen zu stellen und immer weiter Fragen zu stellen, auch wenn sie unbequem werden.
Ein Beispiel: Die Frage, ob Männer und Frauen für dieselbe Arbeit dasselbe Geld bekommen sollten, führt zu der Frage, was unter derselben Arbeit eigentlich zu verstehen ist, wo doch die Haus- und Fürsorgearbeit überwiegend ohne Bezahlung von Frauen verrichtet wird, oft neben einem Vollzeitjob. Die Antwort wirft gleich mehrere weitere Fragen auf, welche Arbeiten bezahlt und welche einfach aus Liebe und Pflichtgefühl getan werden sollten, und schon beginnt man das Wesen der Liebe zu hinterfragen, und an dieser Stelle wird es richtig ungemütlich.
Die Einengung der Frauen auf die häusliche Umgebung war nie nur ein Mittelschichtsphänomen. Doch schon die frühen Vertreterinnen des Feminismus der zweiten Welle, beginnend mit Betty Friedans Der Weiblichkeitswahn,14 befassten sich schwerpunktmäßig mit der Not der Ehefrau und Mutter in der Vorortsiedlung, ihrem Frust, ihren Neurosen und der Sehnsucht, dem endlosen Einerlei aus Abwasch, Abendeinladungen und Tratsch in die männliche Welt von Arbeit und Macht zu entfliehen, die ihr verschlossen war. Ihr Schmerz, die Qualen der bürgerlichen Hausfrau, die sich nach einem Bürojob sehnt, hat zwei Generationen lang das allgemeine Verständnis vom Sinn des Feminismus und den Wünschen der Frauen geprägt. Dass außerhalb der weißen Vororte Frauen immer für Geld arbeiten mussten, spielt in dieser zweckdienlichen Fiktion keine Rolle. Damit Frauen gleichberechtigt und zufrieden sind, müsse, so die Fiktion, allen Frauen eine bezahlte Arbeit zugestanden werden; ihren häuslichen Pflichten kämen sie natürlich weiterhin nach, ein anstrengendes Programm der Selbstverleugnung, für das wir heute den Begriff »alles haben« verwenden. »Alles haben« bedeutet Beruf, Kinder, einen Ehemann, eine anständige Föhnfrisur – und das war’s.
Auch die Arbeit selber wurde zur Frauenemanzipation umgemünzt. So unbefriedigend und schlecht bezahlt der Job auch sein mag: Wenn du einen hast, bist du frei, Baby. Wer schon einmal einen Tag lang richtig malocht hat, weiß, dass das eine gigantische Lüge