Marcs TageBuch - Teil 7 | Roman. Sandra Scott
teilte ich den beiden anderen mit.
Carmen zuckte mit den Schultern. »Dann weiß ich auch nicht. Sie hat außer ihren Kollegen und uns nicht viele Freunde, mit denen sie sich öfter mal trifft.«
Mich hielt es nicht auf der Couch. Ich stand auf und tigerte einige Male auf und ab. Dann sammelte ich meine restlichen Kleidungsstücke zusammen und zog mich an.
»Was hast du vor?«, wollte Claire wissen.
»Ich werde ihren Heimweg abgehen«, erklärte ich. »Und im Institut und in der Bibliothek nachsehen.«
Claire hob ihre Augenbrauen. »Was glaubst du, was passiert ist? Dass sie irgendwo am Straßenrand liegt? Wir sind hier in einer Großstadt, nicht irgendwo auf dem Land. Hier kommen ständig Leute vorbei.«
»Das weiß ich«, presste ich zwischen den Zähnen hervor. »Aber ich kann hier nicht einfach tatenlos herumsitzen.«
Claire nickte. »Also schön. Ich komme mit. Dann siehst du nicht ganz so wie ein verzweifelte Irrer aus, wenn du am Strand entlangrennst.«
Ich wartete ungeduldig an der Tür, während Claire sich anzog. »Carmen, bleibst du bitte hier?«, fragte ich. »Wenn Isabelle kommt, ruf uns an, ja?«
Carmen nickte und kaute auf ihrer Unterlippe herum.
Endlich war Claire fertig. Wir fuhren mit dem Aufzug nach unten und traten auf die Straße. Dort hakte sich Claire bei mir unter und ließ sich von meinen ungeduldigen Schritten in Richtung Strand ziehen.
Natürlich verlief unser Marsch über die Strandpromenade völlig ergebnislos. Als wir anschließend durch sämtliche Räume von Isabelles Arbeitsgruppe streiften, ernteten wir nichts als fragende Blicke der Mitarbeiter, die noch da waren, sowie die Bestätigung, dass Isabelle das Institut schon längst verlassen hatte. In der Bibliothek war sie ebenfalls nicht. Mit jedem Ort, den wir aufsuchten, ohne eine Spur von Isabelle zu entdecken, wurde ich unruhiger und nervöser.
»Was willst du jetzt tun?«, fragte Claire, als wir vor der Bibliothek in der Abenddämmerung standen.
»Wir rufen die Polizei an und melden sie als vermisst.«
Claire schüttelte den Kopf. »Dafür ist es noch zu früh. Sie ist doch erst ein paar Stunden weg, da macht die Polizei noch gar nichts.«
Ich biss mir nervös auf meine Unterlippe. Es mochte sein, dass Claire recht hatte. Vage geisterte in meinem Inneren die Information herum, dass die Polizei erst 24 Stunden nach dem Verschwinden einer Person aktiv wurde. Aber ich hatte keine Ahnung, ob das der Wahrheit entsprach oder nur der Fantasie von Krimiautoren entsprang.
»Wir müssen aber doch etwas tun!«, rief ich verzweifelt.
»Marc, es gibt ein Dutzend harmloser Erklärungen, warum wir sie nicht finden können …«
Ich schüttelte aufgeregt den Kopf. Nein. Ich ahnte, ich wusste, dass irgendwas nicht stimmte, und nicht zu wissen, was ich dagegen unternehmen konnte, machte mich beinahe wahnsinnig.
»Was, wenn Alex ihr aufgelauert hat?«, sprach ich meine Befürchtungen laut aus.
Claire verdrehte ihre Augen. »Denkst du nicht, dass deine Fixierung auf Alex langsam zu weit geht? Ja, ich weiß, er sieht wild aus und kann manchmal etwas grob sein, aber er ist kein …«
»Kein was?«, unterbrach ich heftig. »Kein Mörder? Wolltest du das sagen? Genau das hat er nämlich versucht, als er sie bewusstlos in der Wohnung liegengelassen und das Gas aufgedreht hat. Er hat versucht, sie umzubringen!«
»Wir wissen nicht, ob er es war«, wandte Claire ein. »Isabelle war … ist überzeugt, dass er unschuldig ist.«
Ich tat diesen Einwand mit einer unwirschen Handbewegung ab. »Irgendwer hat versucht, sie umzubringen! Und langsam frage ich mich, warum ich anscheinend der Einzige bin, der Angst hat, dass er es wieder versuchen könnte!«
Ich merkte Claire an, wie sehr meine Worte sie beunruhigten. Sie sammelte sich kurz. »Also schön«, sagte sie dann. »Du hast es geschafft, jetzt mache ich mir auch Sorgen. Aber lass uns bitte erst nach Hause gehen, ja? Warte noch ein wenig.« Sie versuchte vergeblich, optimistisch zu klingen. »Vielleicht ist sie jetzt gerade auf dem Weg nach Hause.«
Mir war klar, dass dem nicht so war. Dennoch nickte ich und ließ mich von Claire den Weg am Strand entlang zurückführen.
Als wir die Wohnung betraten, wartete Carmen nervös auf uns. »Und?«, wollte sie wissen.
Ich schüttelte nur stumm den Kopf und Claire sagte: »Nichts.«
Wir gingen langsam ins Wohnzimmer. Ich ließ mich erschöpft auf eine Couch fallen und wollte mir soeben die Schuhe ausziehen, als es plötzlich an der Wohnungstür klingelte.
Mit einem Ruck schnellte ich in die Höhe und eilte durch den Wohnungsflur. Ich riss die Tür auf und sah – niemanden. Das Treppenhaus lag verlassen da. Abwesend registrierte ich, dass der Aufzug auf dem Weg nach unten war. Ich machte einen Schritt nach vorn und hielt inne, als zu meinen Füßen etwas raschelte. Ich hob meinen Fuß und sah ein Stück Papier, auf das ich soeben getreten war. Ich bückte mich, hob das Blatt auf und entfaltete es. Darauf fand ich nur zwei Zeilen in englischer Sprache geschrieben: »Hol sie dir, wenn du sie haben willst. Komm allein.«
Darunter stand eine Adresse.
Ich starrte auf die Worte hinab, die vor meinen Augen zu verschwimmen begannen. Es gab keinen Hinweis auf dem Zettel, was mit »sie« gemeint war, aber das war auch gar nicht nötig. Es konnte sich nur um Isabelle handeln. Mit einem Mal sah ich all meine Befürchtungen bestätigt. Er hatte sie in seiner Gewalt. Ich fühlte, wie meine Beine unter mir nachzugeben drohten. Mein Kopf fühlte sich wie leergefegt an und ich wusste tatsächlich nicht, was ich tun, nicht einmal, was ich denken sollte.
Claire erschien neben mir. »Was ist?«, wollte sie wissen. Wortlos und ohne sie anzublicken gab ich ihr das Papier. Ich sah, wie ihr Gesicht bleich wurde und sie eine Hand zum Mund riss, um einen erschrockenen Schrei zu unterdrücken. »Was … wie …?«, stammelte sie hilflos.
Es war, als würde ihre Unsicherheit mir selbst wieder Kraft geben. Mit einem Mal sah ich klar vor mir, was zu tun war.
»Kennst du die Adresse?«, fragte ich.
»Was? Äh …«
»Die Adresse!«, wiederholte ich barsch.
Claire nickte. »Ja, das ist ganz in der Nähe. Einfach unsere Straße stadtauswärts und bei der dritten Kreuzung nach links.«
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