Jugend in Berlin. Michael Kruse

Jugend in Berlin - Michael Kruse


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so Thomas (20) aus Westberlin.

      Gegenüberliegend befindet sich der Bezirk Treptow (267.167 Einwohner*innen im Jahr 2018) mit dem niedrigsten Anteil an Berliner*innen mit Migrationshintergrund (7,1 %), bestehend aus acht Ortsteilen und mit der längsten Grenze zwischen den Berliner Ost- und Westbezirken. Der Norden ist ebenfalls durch ein Altbauviertel geprägt, daran schließt sich der Treptower Park mit dem 1969 als Kulturpark gegründeten und seit 1991 als Spreepark fortgeführten Freizeitpark an, der inzwischen pleite ist und dessen Attraktionen bis zur Schließung weit über die Bezirksgrenzen hinaus für viele Berliner Jugendliche ein Anziehungspunkt waren. Südwärts liegen das Industriegebiet Schöneweide mit dem ehemaligen Flughafen Johannisthal sowie die eher dörflich geprägten Ortsteile Adlershof, Altglienicke und Bohnsdorf. „Da haben wir zusammen gespielt und dann war da ein Hof; auf dem Hof, da war hinten die Mauer, dann war da das Grenzgebiet, also gleich dicht am Hof war das Grenzgebiet … Na ja, da haben wir uns an die Mauer gestellt und gesagt: Die alten Omis, die dürfen jetzt da rüberfahren und sich das ankieken, und wir, wir müssen jetzt immer hier sitzen“, so Peter aus Ostberlin (zum Zeitpunkt des ersten Interviews kurz nach der Wende 13 Jahre) zu seinen Mauererfahrungen. Martina (17) aus Ostberlin erinnert sich an ihre Treptower Mauererfahrungen: „Das war früher hier Grenzgebiet. So ungefähr zehn Meter weiter war so eine rot-weiße Schranke, und da musste jeder, der da vorbeiwollte, der da gewohnt hat, so eine Karte, auch Besucher haben die immer gekriegt, und jeder, der da hin wollte, musste diese Karte vorzeigen. Also Kinder haben sie meistens nicht kontrolliert, aber Erwachsene. Und da durfte man nur mit der Karte rein. Und dann war da die Mauer und zehn Meter davor war noch mal so ein Ding, und da durfte man auch nicht hinter. Da habe ich früher immer Löwenzahn für mein Meerschweinchen gepflückt. Und dann haben da immer die Leute aus dem Wachturm gebrüllt, dass man da verschwinden soll.“ Peter (17) aus Ostberlin im Rückblick: „Meine Schule stand direkt an der Mauer; wenn ich aus dem Fenster sah, guckte ich auf das Niemandsland, und von dort aus konnte man immer gut die Grenzer ärgern, und man hat sich doch auch Gedanken gemacht, wie es wohl auf der anderen Seite sein wird. Geändert hat sich durch die Maueröffnung sehr viel.“ Martin (20) aus Ostberlin entsinnt sich: „Baumschulenweg ist früher so am Ende der Welt gewesen, war zwar ein Grenzübergang gewesen, aber ziemlich tot halt. Abends um acht waren die Bürgersteige hochgeklappt, war kein Mensch auf der Straße gewesen. Jetzt abends kann man kaum noch bei offenem Fenster schlafen … Die Sonnenallee ist jetzt Stadtautobahn von Berlin geworden.“ So weit frühe Erinnerungen aus Treptow. Diese ersten Äußerungen aus dem Osten der Stadt machen deutlich, dass die Mauer im Alltag der Jugendlichen wahrgenommen, aber auch hingenommen wurde. Sie gehörte einfach dazu. Erst der Fall der Mauer hat für die Ostberliner Jugendlichen einschneidende Veränderungen in allen Bereichen mit sich gebracht. Der Alltag wurde für sie, aber auch für ihre Eltern (80 % der Erwachsenen mussten nach der Wende eine neue Stelle antreten oder blieben arbeitslos) auf den Kopf gestellt.

      Da Ostberlin bis zur Wende von mir als weißer Fleck wahrgenommen wurde, verbrachte ich die ersten Wochen nach der Grenzöffnung damit, den östlichen Teil Berlins, insbesondere Treptow, ausführlich kennenzulernen. Ich besuchte die wichtigsten Jugendclubs und unterhielt mich mit Jugendclubleitern und anderen Erwachsenen, um eine Einschätzung der allgemeinen Situation der Jugendlichen und der Strukturen der Jugendpolitik zu bekommen.

       Die Interviews

      Im Februar 1990 fanden die ersten Befragungen von Jugendlichen in Treptow statt. Insgesamt wurden 35 Jugendliche im Alter von 13 bis 20 Jahren befragt, 20 Mädchen und 15 Jungen. Zwei Drittel der Befragten kommen aus Ostberlin, ein Drittel der Befragten aus Westberlin, da sich im Laufe der Untersuchung herausstellte, dass sich für die Jugendlichen aus dem Ostteil der Stadt wesentlich mehr verändert hat als für die Jugendlichen aus Westberlin. Ende der 1990er Jahre wurden noch drei Wiederholungsinterviews geführt. Alle Interviews wurden in der Regel bei den Jugendlichen zu Hause durchgeführt. Die Dauer der Interviews betrug zwischen anderthalb und drei Stunden. Insgesamt wurden insgesamt ca. 800 Seiten ausgewertet. Drei Jugendliche wurden noch einmal interviewt, um so neuere Entwicklungen und Einschätzungen der Befragten festzuhalten. Alle Interviews wurden anonym durchgeführt, wobei die meisten Jugendlichen sehr offen ihre Situation schilderten. Sie geben deshalb einen tiefgehenden Einblick in die Gefühlslage der Berliner Jugend in den 1990er Jahren. Auch Klaus Farin und Eberhard Seidel betonen die Wichtigkeit, Jugendliche möglichst authentisch zu Wort kommen zu lassen (vgl. Farin/Seidel 2019: 9). Im Anschluss daran fanden oft noch Gespräche mit den Eltern statt, die eine gewisse Neugier hinsichtlich der Interviews erkennen ließen.

      Aus der Zahl der Interviewten sollen beispielhaft zwei Personen kurz biografisch skizziert werden: Martina aus Ostberlin und Peter aus Westberlin. Martina, in Ostberlin geboren, schloss sich in ihrer Jugend der Gruftiszene der DDR an. In der Folge erhielt sie nicht nur Alex-Verbot, sie und ihre Eltern wurden auch von der Stasi regelmäßig überwacht. Der Vater blieb bei einem Westbesuch in Westberlin. Darauf stellte die Mutter einen Antrag auf Ausreise nach Westberlin, der überraschenderweise und kurzfristig genehmigt wurde. Die Ausreise 1987 über den S-Bahnhof Friedrichstraße war ein tiefer Einschnitt in das Leben der gesamten Familie. Martina kam relativ unvorbereitet im Westen an und fühlte sich Tag für Tag auf der Straße als Ostlerin erkannt. War sie früher in Ostberlin eher ein Ausgehtyp, so zog sie sich bis zur Wende völlig in die Familie zurück. Bei der Öffnung der Mauer traf sie ihre alten Freund*innen aus Ostberlin wieder und feierte mit ihnen an den früheren Jugendtreffpunkten. Nachdem die erste Neugier verflogen war, zog sie wieder in den Osten, traf sich gelegentlich mit früheren Freunden der Gruftiszene und gründete später eine Familie.

      Peter dagegen wurde in einem bayrischen Dorf geboren. Auf Wunsch der Familie zogen sie nach Westberlin. Schnell freundete er sich mit vielen jungen Menschen an, obwohl ihm am Anfang sein bayrischer Dialekt beim Kennenlernen oft Schwierigkeiten bereitete. In der Folgezeit legte er sich eine größere Plattensammlung zu, damit er bei verschiedenen Veranstaltungen in Neukölln als DJ auftreten konnte. Den Osten kannte er nicht und hat ihn bis zur Wende, wie die meisten Westberliner Jugendlichen, nicht wahrgenommen. Den Mauerfall erlebte er nicht direkt als Bereicherung. Wirtschaftlich gesehen war es für ihn jedoch ein Glücksfall, da er nun auch im Osten bei größeren Feten als DJ auftreten konnte. Doch die jugendlichen Menschen im Osten blieben ihm fremd.

       MEDIENSTADT BERLIN UND IHRE JUGENDLICHEN NUTZER*INNEN

      Berlin ist die Medienmetropole Deutschlands. Zwei Trends zeichnen sich ab: Der Radiomarkt gilt als einer der härtesten in Europa, und in der vielfältigen Zeitungslandschaft ist bis heute ein Ost-West-Riss erkennbar. Dabei hat sich der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland relativ rasch und ohne lang anhaltende politische Diskussionen vollzogen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung über das neue Deutschland fand kaum statt, weil sie auch von der westlichen politischen Elite nicht gewünscht war. Die Organisationen im Westen haben Organisationen im Osten gegründet. Eigenständig im Osten gegründete Organisationen, soweit es sie denn überhaupt gab, blieben ohne relevanten politischen Einfluss. Und so mangelt es auch heute noch an einem eigenen ostdeutschen Mediensystem, das die Interessen der Menschen aus Ostdeutschland, insbesondere der Jugendlichen, vertritt und ihnen eine Stimme im wiedervereinigten Deutschland gibt. Zudem kam und kommt es aufgrund der Abwesenheit von bedeutsamen ostdeutschen Medien bzw. deren Abwicklung nicht zum Aufbau von ost-west-übergreifenden Informations- und Kommunikationsbeziehungen. In der Folge ist die wechselseitige Wahrnehmung und Aufmerksamkeit füreinander sehr einseitig. Auch auf der Rezipient*innenseite gibt es noch Unterschiede zwischen Ost und West, die im weiteren Verlauf medienspezifisch ausführlich dargestellt werden sollen, was zur Folge hat, dass sich beide Seiten nicht immer auf Augenhöhe begegnen.

      Jugendzeit ist Medienzeit. Dabei taucht die 1999 vom Freizeitforscher Horst W. Opaschowski beschriebene Generation @ in eine Multimediawelt ein, die sie gleichzeitig durch die Kanäle zappen und zugleich telefonieren lässt, ein typisches Konsumverhalten der Generation der 1990er Jahre. Seit den 1950er Jahren ist die Mediennutzung, insbesondere das Radiohören, bei den Jugendlichen neben dem Ausgehen die wichtigste Freizeitbeschäftigung. Auch Jutta Gysi weist aus DDR-Sicht darauf


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