Sophienlust Classic 50 – Familienroman. Patricia Vandenberg
und die Arbeiten weitergeführt.«
Angela schloss die Augen. »Ja, auf Alf kann ich mich verlassen. Es ist nun so lange ohne mein Wissen gegangen, dass es dumm von mir wäre, wenn ich mir jetzt nachträglich Sorgen machen wollte. Nicht wahr?«
»Natürlich, Angela. Später wird Herr Denninger Ihnen sicherlich eine Abrechnung vorlegen und Bericht erstatten. Im Moment ist es dazu noch zu früh.«
Erst als der Chefarzt das Zimmer verlassen hatte, weinte Angela sich aus. Denise schlang die Arme um die Kranke und ließ sie weinen, weil sie wusste, dass Tränen heilsam sein können.
Am folgenden Wochenende reiste Denise nach Sophienlust zurück. Es stand nun fest, dass Angela etwa zum Jahresende dort eintreffen würde. Denise war entschlossen, der jungen Witwe in Sophienlust mehr als eine zeitweilige Zuflucht zu bieten. Angela sollte eine Heimat finden – wenn sie wollte, für immer. Denn der Nachlass von Klaus Sattler hatte nur aus Schulden bestanden. Angela Sattler war bettelarm geworden. Sie wusste es nur noch nicht.
*
Es gab in diesem Jahr bereits im Oktober den ersten Frost, und die Bauern sagten einen kalten langen Winter voraus. Auch die Huber-Mutter, die mit dem Wetter und mit Krankheiten Bescheid wusste und nach Nicks felsenfester Überzeugung sogar in die Zukunft sehen konnte, rechnete mit strenger Kälte.
Angela Sattler traf im November bei klirrender Kälte ein. Es war der Tag, an dem ihr Töchterchen seinen vierten Geburtstag feiern sollte. Vielleicht war es der Wunsch der jungen Mutter gewesen, das Kind an diesem Tag wiederzusehen, der die Genesung beschleunigt hatte. Zwar wirkte die blonde Frau noch zart und schwach, doch die Krankheit war endgültig besiegt. Der berühmte Arzt hatte wieder einmal eine Patientin als geheilt entlassen können, bei der zuvor schon jede Hoffnung aufgegeben worden war.
Magda hatte sich selbst übertroffen und eine Torte gebacken, die einem Konditormeister alle Ehre gemacht hätte. Vier rosa Kerzen waren kunstvoll in die Verzierung der Torte gesteckt worden. Niemand anders als Bettinas Mutter sollte die Kerzen anzünden. Das verstand sich von selbst.
Wolfgang Rennert, der Hauslehrer von Sophienlust, war zusammen mit seiner jungen Frau Carola nach Frankfurt zum Flughafen gefahren, um Angela abzuholen. Nun warteten die Bewohner von Sophienlust gespannt auf die Rückkehr des Wagens.
Bettina, die kleine Hauptperson dieses wichtigen Tages, trippelte in einem neuen hellblauen Kleidchen umher. Sie hatte noch keine Ahnung davon, dass sie an diesem Tag endlich ihre Mutter wiedersehen sollte.
»Hurra – sie kommen!« Nick stürmte mit rotgefrorener Nase von draußen herein, wo er unverdrossen Ausschau gehalten hatte.
»Kein Gebrüll zum Empfang, Nick«, erinnerte die besonnene Malu, die in Carola Rennerts Abwesenheit auf deren Zwillinge achtgegeben hatte. »Vergiss nicht, dass Bettinas Vater gestorben ist.«
»Aber es ist Bettinas Geburtstag«, wandte Pünktchen ein, Nicks besondere Freundin. Sie verdankte ihren Namen den lustigen Sommersprossen auf ihrer kecken Nase, hieß aber eigentlich Angelina Dommin. »Wir wollen sie fröhlich empfangen. Tränen mögen wir nicht.«
»Wir singen das Geburtstagslied«, schlug Isabel Weyde vor. Sie besaß eine wunderbare Stimme und war schon als Kind eine kleine Sängerin gewesen.
So erklangen reine, klare Kinderstimmen, als Angela ihren Fuß über die Schwelle von Sophienlust setzte. Jemand nahm die Hand der jungen Frau und führte sie zu dem kleinen blonden Mädchen, das ihr mit seligem Lächeln entgegentrippelte.
»Mama!«
Es war wie ein Wunder. Nach so unendlich langer Zeit erkannte das kleine Ding die Mutter doch wieder. Das war für Angela Sattler das schönste Geschenk. Sie beugte sich nieder und hob Bettina auf die Arme.
Das Lied verklang.
»Sie müssen die Kerzen anzünden«, raunte jemand Angela ins Ohr. Sogleich waren auch Zündhölzer zur Hand.
Dann schauten Mutter und Kind in die vier Flammen. Die Welt versank für Angela Sattler, doch dem Schmerz um ihren Mann war die erste Bitterkeit genommen, weil sie wieder bei Bettina war und das Kind sie noch kannte und liebte.
Frau Rennert drängte die Kinder für ein Weilchen aus dem Biedermeierzimmer, in dem der Geburtstagstisch aufgebaut worden war. Die erfahrene Heimleiterin erkannte, dass man Angela und ihr Kind jetzt für ein Weilchen sich selbst überlassen musste. Sogar die Begegnung mit Denise von Schoenecker war erst für den Abend geplant. Bettina war die wichtigste Person für die vom Schicksal so hart getroffene junge Frau. In den winzigen Händen des Kindes lag die geheimnisvolle Macht des Trostes.
*
Die kleine Bettina wich keinen Augenblick von der Seite der wiedergefundenen Mutter. Immer wieder zwitscherte ihre helle Stimme selig: »Mama, Mama!«
Angela musste sie füttern, ausziehen, baden und zu Bett bringen. Selbst dann ließ die Kleine sie nicht weg. Die junge Mutter stimmte leise das Schlaflied an, das sie früher Abend für Abend für ihr Kind gesungen hatte. Da lächelte Bettina sie an.
»Papa?«
Tränen schossen Angela in die Augen. Doch sie sang zu Ende. Ruhig schlief das kleine Mädchen ein.
Ich darf nicht mehr traurig sein, sagte sich Angela tapfer. Bettina soll eine glückliche Kindheit haben und eine Mutter, die mit ihr lachen kann.
Zum Abendessen holte Alexander von Schoenecker die neue Bewohnerin von Sophienlust persönlich mit dem Wagen nach Schoeneich, wo ein festlicher Tisch gedeckt war.
»Willkommen, liebe Angela.« Denise umarmte die Besucherin. »Wir sind glücklich, dass Sie nun bei uns sind und hoffentlich auch bleiben werden.«
»Wenn ich bleiben darf?«, stammelte Angela scheu.
»Das wissen Sie doch«, fiel Nick etwas vorlaut ein. »In Sophienlust darf jeder bleiben.«
»Er war zwar nicht um seine Meinung gefragt«, sagte Alexander mit Herzlichkeit, »aber Nick hat vollkommen recht. Sie sind nun in Sophienlust zu Hause, liebe Frau Angela.«
»Wenn es mir bessergeht, werde ich versuchen, mich nützlich zu machen«, versprach Angela mit zitternder Stimme.
»Zunächst werden wir das nicht erlauben«, wandte Denise energisch ein. »Und jetzt wollen wir erst einmal gemütlich essen. Ich habe Hunger.«
Auf dem Tisch brannten Kerzen in schönen alten Silberleuchtern.
»Zu Ehren von Bettinas Geburtstag«, verkündete Henrik, der stolz war, dass er an der festlichen Runde ebenfalls teilnehmen durfte.
Ein ruhiges Gespräch ergab sich erst dann, als Nick und Henrik sich verabschiedet hatten. Die Erwachsenen saßen nun vor dem flackernden Kaminfeuer, wo es richtig gemütlich war.
»Uns Landwirte hat der frühe Winter zwar in Bedrängnis gebracht, aber hier im Haus, am warmen Kamin, finde ich es ausgesprochen schön, wenn es draußen stürmt und schneit«, meinte Alexander. »Glauben Sie, dass Sie sich in Sophienlust einleben können, liebe Frau Angela?«
Zuversichtlich nickte die junge Frau.
»Bettina ist da. Ich fühle mich bereits heute, am ersten Abend, drüben ganz daheim. Nur sorge ich mich ein bisschen, ob meine Kleine auch ruhig schläft.«
»Darum kümmert sich Schwester Gretli oder eines der jungen Mädchen«, tröstete Denise.
»Wenn wir Sie nachher heimbringen, können Sie gern noch ein letztes Mal zu Bettina hineinschauen. Welche Mutter täte das nicht vor dem Schlafengehen?«
»Man ist wirklich zu Hause bei Ihnen.« Angela seufzte dankbar auf. »Ich habe mich vor diesem Tag gefürchtet. Im Krankenhaus in Zürich war zwischen mir und der Wirklichkeit immer so etwas wie eine Wand aus Glas. Der Entschluss, ins Leben zurückzukehren – in ein Leben ohne Klaus –, ist für mich nicht leicht gewesen.«
»Haben Sie Ihre Sachen gefunden?«, fragte Denise ablenkend.
»Ja, es war für mich recht wunderlich, alles bereits