Notarzt Dr. Winter 6 – Arztroman. Nina Kayser-Darius
Julia freundlich. »Es muß einen Grund dafür geben, und den sollten wir herausfinden, bevor wir Sie wieder entlassen, Frau Willbrandt.«
Die junge Frau preßte ganz fest die Lippen zusammen, dann fragte sie: »Und wie wollen Sie das herausfinden?«
»Wir werden ein CT machen – eine Computertomographie also. Das tut nicht weh. Vielleicht gibt es uns Aufschluß über das, was passiert ist.«
»Das möchte ich nicht«, erklärte die Patientin. »Dazu wird man doch in so eine Röhre geschoben, nicht?«
Beide Ärzte nickten.
»Ich habe Platzangst. Das will ich nicht!« wiederholte Doris Willbrand, diesmal mit allen Anzeichen von Panik in der Stimme.
»Beruhigen Sie sich bitte«, sagte Adrian Winter ruhig. »Wir werden Sie zu nichts zwingen, Frau Willbrandt. Wir dachten nur, daß wir Ihnen so vielleicht am besten helfen können.«
»Ich bin spätestens morgen wieder fit«, erklärte die junge Frau. »Ich war hungrig und müde, da hat mein Kreislauf schlapp gemacht – das ist alles. Lassen Sie mich nur ein bißchen schlafen und essen, dann sind Sie mich auch schon wieder los.«
»So eilig haben wir es gar nicht, Sie loszuwerden«, erklärte Adrian mit einem kleinen Lächeln. »Vor allem wollen wir, daß Sie wieder völlig gesund sind und nicht mehr an rätselhaften Ohnmachten leiden.«
Sie preßte die Lippen fest zusammen, erwiderte aber nichts mehr.
Julia und Adrian wechselten einen schnellen Blick, dann sagte Julia: »Ich bringe Sie jetzt zunächst einmal auf die Innere, Frau Willbrandt. Alles andere sehen wir später.«
Mit Adrians Hilfe schob sie die Liege aus der Kabine und machte sich auf den Weg zum Fahrstuhl. Adrians nachdenklicher Blick folgte den beiden. Irgend etwas stimmte hier nicht. Aber was?
*
Thomas Laufenberg, der neue Verwaltungsdirektor der Kurfürsten-Klinik, sah seine Mitarbeiterin Sabine Meyer fragend an. »Was soll das heißen?« erkundigte er sich stirnrunzelnd. Er war ein gutaussehender Mann von dreiundvierzig Jahren, mit braunen Haaren, die sich an den Schläfen bereits silbrig färbten. Ihm gefiel das nicht besonders, aber Frauen fanden es in der Regel äußerst interessant. Davon wußte er allerdings nichts, denn das hatte ihm noch keine gesagt.
Die junge Frau, die jetzt vor ihm stand, hatte noch nicht viel Berufserfahrung, und sie hatte außerdem Angst vor Thomas Laufenberg. Es gab dafür zwar keinen Grund, denn er war bisher immer freundlich zu ihr gewesen, aber sie fürchtete sich trotzdem. Er war immerhin ein »hohes Tier« an diese Krankenhaus, und sie hatte große Angst, schrecklich zu versagen und dann ihren Arbeitsplatz zu verlieren.
Sabine Meyer war eigentlich klug, aber die Angst zu versagen blockierte gelegentlich ihr Gehirn, was ein großer Jammer war. Thomas Laufenberg selbst wäre nie auf die Idee gekommen, daß sie Angst vor ihm hatte – er fragte sich deshalb manchmal, ob er sich vielleicht für die falsche Mitarbeiterin entschieden hatte. Aber sie hatte bei allen Tests hervorragend abgeschnitten…
Jetzt strich sie sich die schulterlangen braunen Haare aus dem Gesicht und sagte mit einer Stimme, die kaum wahrnehmbar zitterte: »Die Patientin wurde von der Notaufnahme in die Innere verlegt – sie war unterkühlt, und die Ärzte befürchteten, sie hätte sich vielleicht eine Lungenentzündung zugezogen.«
»Na, und?« fragte der Direktor, der allmählich ungeduldig wurde. »Das ist doch völlig in Ordnung, Frau Meyer. Ich kann kein Problem erkennen.«
Sabine Meyers Stimme zitterte heftiger, aber sie sprach tapfer weiter. »Wir haben von der Frau keine Adresse, keine Krankenversicherungsnummer, nichts…«
»Offenbar weiß sie die Antwort nicht – oder sie tut vielleicht auch nur so. Jedenfalls hat sie jetzt schon zweimal gesagt, daß sie sich an nichts erinnern kann. Oder sie hat andere Ausflüchte vorgebracht. Es war wohl schon schwierig, ihren Namen aus ihr herauszuholen, und deshalb weiß hier niemand etwas über sie, obwohl sie schon seit gestern vormittag hier ist. Und sie ist bei Bewußtsein, daran liegt es also nicht.«
Allmählich fing Thomas Laufenberg an, sich für diesen Fall zu interessieren. Es war zwar eigentlich nicht seine Aufgabe, sich um solche Einzelfälle zu kümmern – aber wenn er es nicht tat, dann tat es vermutlich niemand. Und er mußte es schaffen, dieses Krankenhaus neu und besser zu organisieren, sonst drohte der Kurfürsten-Klinik, wie anderen Häusern auch, Bettenabbau und vielleicht sogar noch schlimmeres.
»Wie heißt die Patientin?« fragte er knapp.
»Doris Willbrandt«, antwortete Sabine Meyer jetzt mit fester Stimme wie aus der Pistole geschossen. »Aber sie ist nicht aus Berlin, sie ist aus Hamburg. Sie hat hier nur einen Kurzurlaub gemacht.«
»Soso, das immerhin hat sie erzählt«, murmelte er. »Wer hat sie aufgenommen?«
»Dr. Winter.«
»Natürlich«, stöhnte Thomas Laufenberg. Das hatte ihm zu seinem Glück gerade noch gefehlt.
Dr. Adrian Winter gehörte zu denjenigen Ärzten der Kurfürsten-Klinik, die dem neuen Verwaltungsdirektor nach wie vor äußerst mißtrauisch, wenn nicht sogar mit versteckter Feindseligkeit gegenüberstanden. Thomas wußte eigentlich gar nicht, warum das so war, denn er bemühte sich wirklich nach Kräften, das medizinische Personal der Klinik in jeder Hinsicht zu unterstützen – aber es war ihm bisher nicht gelungen, Dr. Winter davon zu überzeugen, daß er auf seiner Seite stand und nicht etwa gegen ihn arbeitete.
Und nun also gab es einen Fall, der wieder für einen Zusammenstoß sorgen würde. Denn natürlich konnte es nicht akzeptiert werden, daß Patienten sich weigerten, ihre Personalien vollständig anzugeben. Und wenn Dr. Winter die Patientin aufgenommen hatte, dann mußte er auch dafür sorgen, daß alle notwendigen Informationen über sie vorlagen. Er brauchte sie ja nicht unbedingt selbst zu beschaffen, aber er mußte zumindest dafür sorgen, daß sich jemand um die Angelegenheit kümmerte.
»Geben Sie mir bitte die Unterlagen, ich werde mal sehen, was sich tun läßt«, sagte er und streckte seine Hand aus.
Sabine Meyer reichte ihm die schmale Mappe mit so sichtbarer Erleichterung, daß er unwillkürlich lächeln mußte. »Sie sind wohl froh, daß Sie die lästige Angelegenheit los sind, Frau Meyer, was?«
Sie nickte und floh aus seinem Zimmer, aber das merkte er schon nicht mehr, denn er hatte sich bereits in die spärlichen Informationen vertieft, die die Kurfürsten-Klinik bisher über die Patientin Doris Willbrandt hatte zusammentragen können.
*
Lukas Bromberger war nervös. Er war am Vortag erst sehr spät abends aus Frankfurt zurückgekehrt und hatte es deshalb nicht gewagt, Feli noch anzurufen, obwohl er sie zuvor mehrmals nicht erreicht hatte. Er wußte ja, daß sie eine Menge zu tun hatte, nicht nur mit ihrer Arbeit – sie war Innenarchitektin –, sondern jetzt auch mit den Vorbereitungen für die Hochzeit. Er konnte nicht erwarten, daß sie jederzeit erreichbar war. Sie schaltete ihr Handy oft ab, wenn sie ihre Ruhe haben wollte, obwohl er sie vor seiner Abreise gebeten hatte, das nicht zu tun. Er haßte Tage, an denen er Feli nicht sah, aber noch schlimmer wurden sie, wenn er nicht einmal mit ihr sprechen konnte.
Sein bester Freund Wolfgang Ostermann hatte ihm schon oft gesagt, daß er ihn zu besitzergreifend fand, und insgeheim gab Lukas ihm recht. Er versuchte sich auch immer wieder zusammenzunehmen, aber leider gelang ihm das häufig nicht. Und wenn dann noch eine Situation eintrat wie die jetzige – Feli war nicht zu Hause, sie war auf dem Handy nicht zu erreichen, und die Sekretärin ihres Chefs fragte sich ebenfalls schon, wo sie blieb –, in solchen Situationen fehlte nicht viel, um Lukas vollständig die Fassung verlieren zu lassen.
Er biß die Zähne zusammen und rief ihre Eltern an. »Hier ist Lukas«, meldete er sich, als er die Stimme von Felis Mutter hörte. Bevor er weitersprechen konnte, rief Marianne Markwart erleichtert: »Gott sei Dank, endlich meldet sich wenigstens einer von euch beiden mal, Lukas! Was ist denn in Feli gefahren, daß sie plötzlich von der Bildfläche verschwindet, wo wir so viel zu besprechen haben? Wo ist sie?«
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