Meine Trauer traut sich was. Andrea Riedinger

Meine Trauer traut sich was - Andrea Riedinger


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      Inhalt

       Prolog – Als es keinen Geburtstag mehr gab

       KAPITEL 1 Das kann nicht wahr sein

       Warum Sie mehr Kraft haben, als Sie denken

       KAPITEL 2 Der Mann vom TÜV

       Wie wichtig es ist, die richtige Sprache zu finden

       KAPITEL 3 In der Fremde

       Nur zusammen ist man weniger allein

       KAPITEL 4 Überfordert

       Wieso Schwäche zugeben Stärke ist

       KAPITEL 5 Das Leben ist jetzt

       Warum die Normalität erst einkehrt, wenn Sie das Nichtnormale akzeptieren

       KAPITEL 6 Scherben und Unordnung

       Warum die Schuldfrage irrelevant ist

       KAPITEL 7 Verwitwet? Ich? Das kann doch gar nicht …

       Warum Sie das alte Leben nicht festhalten können

       KAPITEL 8 Luftballons zum Geburtstag

       Wie das Leben weitergeht

       KAPITEL 9 Regenbögen fallen nicht vom Himmel

       Wieso Sie Ihr altes Leben nicht ausradieren müssen

       KAPITEL 10 Stärker als zuvor

       Warum es gut ist, dass Sie anders sind

       KAPITEL 11 Die Fahrradtour

       Wie es immer wieder weitergeht

       EPILOG – Somewhere over the Rainbow

       Danke

      Als es keinen Geburtstag mehr gab

      „Mama, hast du eigentlich auch mal Geburtstag?“ Mit diesen Worten hüpft meine dreijährige Tochter auf meinen Schoß und schaut mich erwartungsvoll an. „Ja, das habe ich. Im Februar“, antworte ich ihr sehr zögernd, und mir ist gar nicht wohl bei meinen Worten. „Wann ist denn Februar?“ Svenja lässt nicht locker. „Ein paar Wochen nach Weihnachten, also gar nicht mehr so lange“, erkläre ich. „Au prima, da freue ich mich schon drauf.“ Kaum ausgesprochen kraxelt sie wieder runter von mir und saust ins Kinderzimmer zurück.

      Und da sitze ich nun und starre die Decke an. Mein Geburtstag! Wie gerne hätte ich ihn wieder ignoriert und einfach ausfallen lassen, wie bereits im vergangenen Jahr. Nichts sehen, nichts hören, nicht reden. Einfach so tun, als wäre es ein ganz normaler Wochentag, der in keinster Weise mit mir in Verbindung steht. Nicht ans Telefon gehen und niemanden einladen. Am besten aus der Wohnung flüchten, damit ich ja keinem begegne. Doch mir wird klar, dass ich nach dem Gespräch mit Svenja aus dieser Nummer nicht so schnell wieder rauskomme. Sie würde nachbohren, bis der Tag endlich da ist, soviel steht heute schon fest. Was soll ich nur tun?

      Seit dem Ausbruch der Krankheit meines Mannes Andi hatte ich das Gefühl, dass es in meinem Leben einfach keinen Grund mehr zum Feiern gab. Ich war traurig und ich hatte Angst. Mit meinem Geburtstag konnte ich einfach nichts mehr anfangen, denn zu viel Schreckliches war in den letzten zwei Jahren passiert: eine Krebserkrankung, ein Todesfall, das Zurückbleiben als junge Witwe mit einem Kleinkind, das mit nur zwei Jahren seinen Papa verlor.

      Das Schicksal hatte mit voller Wucht zugeschlagen! Wums. Einfach so. Es war ungefragt und ohne Vorbereitung in mein Leben getreten. Da war es. Rücksichtslos und ohne jede Vorwarnung. Und es blieb, biss sich fest und ließ nicht mehr locker. „Ich will dich nicht, du hast in meinem schönen, friedlichen und geordneten Leben nichts zu suchen. Es gibt keinen Platz. Geh weg, ganz weit weg, denn so etwas passiert mir nicht. Und jetzt erst recht nicht.“ Doch weder Wut noch Entsetzen, weder Worte noch Gedanken helfen in solch einer Situation, den ungebetenen Gast zu vertreiben. Sie verpuffen, prallen ab und bleiben völlig unbeachtet.

      Ein Schicksalsschlag trifft hart und löst sich nicht einfach wieder in Luft auf. Er wird zum Wegbegleiter und jeder Betroffene muss lernen, mit ihm zu leben. Auch ich musste diese bittere Erfahrung machen.

      „Wir haben da was gefunden. Ich bin sofort bei Ihnen.“ Kaum aufgetaucht, rauscht der Arzt mit wehendem Kittel auch schon weiter den Flur entlang. Wir starren uns entsetzt an. Der Schokoriegel, der unser Abendessen ersetzt, bleibt mir fast im Hals stecken. Langsam verhallen die Schritte und wir sind wieder allein in einem abgelegenen Teil der Augenklinik. Es ist bereits dämmrig und durch das Fenster sehen wir die vielen Lichter von Stuttgart aufblitzen. Der Buggy mit unserer schlafenden Tochter steht zwischen uns. Nach langem Kampf hat ihre Müdigkeit endlich gesiegt. Wie soll ein Kind auch zur Ruhe kommen, wenn es die innere Anspannung beider Elternteile spürt, sich stundenlang in stark frequentierten Krankenhausgängen aufhält und statt dem vertrauten abendlichen Milchfläschchen auf einmal einen Plastikersatz mit Milch vorgesetzt bekommt, den wir kurzfristig samt Windeln in einem Drogeriemarkt erstanden hatten, da wir auf so einen langen Tag auswärts gar nicht vorbereitet waren.

      Die Ärzte haben etwas gefunden. Das Etwas befindet sich im Kopf meines Mannes, denn die vorausgegangene Untersuchung, auf deren Ergebnis wir seit einer gefühlten Ewigkeit warten, war eine Kernspintomografie des Schädels. In den ersten Sekunden sind wir weder fähig zu sprechen noch uns zu bewegen. Es ist gespenstisch still in diesem Wartebereich. Wir halten uns fest an den Händen und versuchen beide, die ungeheuerlichen Worte zu begreifen. „Der kann uns doch mit diesem Satz nicht einfach sitzen lassen.“ Meinem Entsetzen folgt Wut, mit der ich mich ein Stück weit abzulenken versuche von der näherkommenden Bedrohung, gegen die ich mich innerlich mit aller Macht wehre. Ich bin wütend auf diesen unsensiblen Arzt, stellvertretend für alle, die uns seit heute Morgen immer wieder warten lassen: auf diverse Augenuntersuchungen, die Entscheidung, dass eine Notfall-Kernspintomografie gerechtfertigt ist und schließlich auf die eigentliche Aufnahme. Denn als dieser Termin am Spätnachmittag endlich erreicht war, verzögerte sich die bildgebende Untersuchung immer wieder aufgrund dringenderer Notfälle. Letztendlich saßen wir allein drei Stunden vor dem Untersuchungsraum der Radiologie. Mittlerweile ist es 21 Uhr abends. Meine Nerven sind kurz vor dem Zerspringen. Und nun dieser eine Satz. Er bringt unser Leben ins Wanken. Das kann ich förmlich spüren. Doch begreifen will ich es nicht.

      Andi sieht seit gestern immer wieder Doppelbilder, als spielten ihm seine Augen einen Streich. Morgens war es noch eine Unschärfe gewesen, doch im Verlauf des Tages verschoben sich die Bilder immer mehr. Er hatte den Tag geschäftlich in Bremerhaven verbracht und kam erst in den Abendstunden zurück. Als er das Wohnzimmer betrat, saß ich vor dem Fernseher und schaute das „heute-journal“. „Ich sehe die Marietta heute zweimal.“ Er zeigte auf die Nachrichtensprecherin. „Und von den Vasen da oben gleich vier.“ Ich folgte seinem Blick auf die Schrankwand, auf der zwei Glasvasen standen. „Wie bitte?“ Das klang so grotesk, dass ich im ersten Moment zu lachen anfing. Aber es verging mir schnell, denn seine Stimme klang nicht so, als würde er mich auf den Arm nehmen.

      Doch mit seinen Augen ist alles in Ordnung. Aus diesem Grund sitzen wir immer noch hier und warten unruhig auf den Arzt.

      Das Leben steht Kopf

      Völlig unvorhergesehen und ohne jede Vorwarnung


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