Sitten, Strolche & Strategen. J. J. Juhnke
Unser Düsentrieb, den viele Kameraden auch "den Spiegel" nannten, weil er Kopien Spiegel genau anfertigen konnte, fuhr noch immer, trotz bester Auftragslage, seinen klapprigen 50er Jahre Lieferwagen weiter. Wir nannten ihr wirklich sehr, sehr gerne Düsentrieb. Er meinte mal: >Je länger der Spuk vorbei ist, desto größer die Nachfrage nach seinen Symbolen<. Tja, und heute kann man sagen, ein echter Rehm steht in mancher amerikanischen Veteranen Sammlung. Sei es als Büste des Führers, als Bild, oder als Buch von ihm, mit persönlicher Widmung an einen bedeutenden Wehrmachtsgeneral und viele andere NS Artikel aus dem reichhaltigen Programm. Eingeweihte behaupten ferner, er könne das Kreuz Jesu wieder herbeischaffen, aber da überfielen selbst ihm Skrupel. Obwohl Skeptiker dazu sagen: Es sei wie immer, nur eine Frage des Geldes. Zum Düsentrieb ging ein Gewährsmann, wenn jemand etwas nicht bei Karstadt, Horten, Merkur, oder sonst wo bekommen konnte, aber es nun mal unbedingt brauchte. Vater meinte jedenfalls, Düsentrieb müsste sich locker, bei der Auftragslage, einen Luxus Lieferwagen leisten können. Offiziell war er Unternehmer in Sachen Schrotthandel, Holzhandel, Imkerei und Käsehandel. In diesen Berufsfeldern klapperte er die Dörfer ab. Er galt als Einsiedler. Mit großem Grundbesitz auf dem ein Haus, Schuppen und eine alte Wellblechhalle standen. Alles etwas verwahrlost und gemäht wurde selten, sodass der Schrottplatz im Sommer unter Büschen und Gräsern versank. Überall lag Gestrüpp herum und wucherte Unkraut. Obstbäume, deren Früchte niemand erntete, Laubbäume in grünem Kleid, oder längst abgestorben. Manchmal findet sich dann im Sommer, im hohen Gras zwischen den Autowracks, eine Düsentrieb Produktionsreihe von antiken Messing Führerköpfen. Zur Glaubwürdigkeitsverbesserung der Witterung ausgesetzt. Jedes Stück bekam sichtbar einen individuellen Lebenslauf verpasst. Da war Rehm in seinem Element. >Vertraue keiner Kopie, die du nicht selber angefertigt hast<, so der Meister. Auf dem Schrottplatz sammelten sich immer mehr alte und verunfallte Mercedes Modelle. Einmal zeigt mir mein Bruder einen 300er Sportwagen. Das Flügeltürmodell. Der war total in Ordnung. Trotzdem soll Rehm ihn spottbillig erworben haben. In der Kiste verweste längere Zeit ein Selbstmörder und der Wagen muss deswegen total auseinandergenommen werden, sonst kriegt man den Gestank nicht raus. Wäre eine gute Arbeit für meinen Bruder Elvis, über Feier- und Urlaubstage hindurch. Allerdings habe ich nie was gerochen, oder den Wagen jemals zerlegt gesehen. Er und Rehm hielten den ganzen Schrott, mit Scheinwerfern dran, für eine Wertanlage. Immer öfter verbrachte mein Bruder jede freie Minute zwischen dem Blech. Im Keller seines Hauses war das "Laboratorium" untergebracht. Wo er die Basis für Serienproduktionen entwickelte, oder seltene Einzelstücke ins Leben rief. Auch standen in den Räumen diverse Metallverarbeitungsmaschinen. Welche zu Druckzwecken waren auch dabei. Ferner gab es einen riesigen Tisch mit starker Beleuchtung, Pinsel, Farben, Stifte, Lappen und verschiedenstes Werkzeug. Für einen derartig filigranen Künstler war sein äußeres Erscheinungsbild mehr als unpassend. Das Wort ungepflegt muss leider unmittelbare Verwendung finden. Unrasiert, ungekämmt, ständig einen Zigarrenstumpen im Mund mit den gelben Zähnen, das Oberhemd von Brandlöchern seiner ewigen Zigarren torpediert und darüber der ewige Blaumann, in Öl getränkt.
Aber vielleicht war das alles nur eine perfekte Tarnung die er über die Jahre entwickelt hat. Denn beim Kirchgang, an hohen Feiertagen, gab er sich wie ausgewechselt. Strahlend vor Sauberkeit, im flotten Zwirn, ließ er nur Scheine in den Klingelbeutel wandern. Als er später, an besonderen Tagen, mit dem wieder hergestellten 300er Sportwagen, durch den Ort glitt, ja da ergab sich ein ganz anders Bild vom Künstler mit Stil. Seinem Hanomag hielt er aber noch lange die Treue und mancher vermutete er ließe sich später mit dem Hobel zusammen beerdigen.
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