SKULL 3: Die Würfel fallen. Stefan Burban
ebenfalls beide getötet worden. Wenn Lennox noch lebte, dann war die Wahrscheinlichkeit, dass sein Freund und Unteroffizier auch noch unter den Lebenden weilte, sehr hoch.
In der – soweit er das beurteilen konnte – fünften Woche nach seiner Ankunft auf der Asylum wurde er in den normalen Vollzug überstellt.
Seine Kerkermeister hatten sich wohl entschieden, die Taktik zu ändern. Wenn sie auf diese Weise fortfuhren, ohne dass er redete, dann bestand die reale Gefahr, dass er starb. Sei es durch Kreislaufversagen oder einen schlichten Herzinfarkt, der menschliche Körper konnte derlei Belastungen nicht unbegrenzt ertragen. Lennox stelle für den Zirkel eine wichtige Informationsquelle dar, zumindest falls sie es je schafften, etwas von Wert aus ihm herauszuholen. Lebend war er für diese Menschen bedeutend wertvoller als tot. Höchstwahrscheinlich hatten sie sich deshalb entschieden, die Zügel etwas zu lockern. Zuckerbrot und Peitsche, eine starke Kombination. Lennox wusste das aus Erfahrung. Während des Krieges hatte er diese Taktik selbst das eine oder andere Mal angewendet.
Er hatte damals nie groß darüber nachgedacht. Nun, da er sich auf der anderen Seite des Verhörs befand, bereute er es, dies gefangenen Rebellen damals angetan zu haben. Manche Dinge erstrahlten in einem anderen Licht, wenn man sie selbst zu spüren bekam.
Nun verstand der Marine-Colonel, warum Dexter Blackburn partout nicht mehr auf die Asylum hatte zurückkehren wollen. Dieses Schiff war vielleicht nicht die Hölle, aber auf jeden Fall eine Vorstufe davon. Er knirschte mit den Zähnen und schwor sich, falls es irgendwie in seiner Macht lag, würde er dieses Gefängnisschiff aus der Gleichung herausstreichen. Er wusste nicht, warum die Insassen dieses Gefängnisses hierhergebracht worden waren, aber niemand verdiente diese Art der unmenschlichen Behandlung.
Lennox betrat auf wackligen Beinen den Gemeinschaftsraum. Augenblicklich richteten sich Dutzende von Augenpaaren auf ihn. Einige Häftlinge spielten Karten, andere beschäftigten sich mit Sport oder Gewichtheben. Eine hünenhafte Gestalt bewegte sich auf ihn zu. Als Lennox aufsah, blickte er in die besorgte Miene Alejandro Barreras, der ihn ernst musterte.
Das Gesicht des Gunnys war ebenfalls mit Prellungen übersät. Die meisten machten allerdings den Anschein, bereits am Abheilen zu sein. Der Mann legte Lennox mitfühlend die Hand auf die Schulter. Die Berührung ging äußerst behutsam vonstatten. Dennoch hatte Lennox das Gefühl, er stehe kurz davor zusammenzubrechen.
»Sie sehen nicht gut aus«, meinte der Gunny.
»Ich fühle mich wahrscheinlich besser, als ich aussehe«, erwiderte Lennox leichthin, in dem Versuch, unbeschwert zu klingen.
Barrera schnaubte. »Das hoffe ich doch. Würden Sie sich so fühlen, wie Sie aussehen, müsste ich Ihnen einen Priester besorgen.«
Lennox zwang sich zu einem Lächeln. »Witzbold.«
»Am besten, wir besorgen Ihnen erst einmal was zu essen«, erklärte der Gunny. »Danach werden Sie sich bedeutend besser fühlen.«
Lennox nickte erschöpft. Barrera drehte sich um und machte den Anschein, erst jetzt zu bemerken, wie alle Häftlinge sie interessiert musterten. »Habt ihr nichts Besseres zu tun?«, bellte Barrera, woraufhin sich die Häftlinge eilig wieder ihren jeweiligen Beschäftigungen zuwandten.
Lennox war beeindruckt. Barrera hatte sich wohl schon Respekt unter den Gefangenen verschafft. Das war zumindest ein vielversprechender Anfang.
Barrera führte Lennox zu einem der Tische. Kaum hatten sie Platz genommen, da räumten alle anderen ihre Sitzgelegenheiten und mit einem Mal saßen die beiden Söldner allein.
Lennox sah sich aufmerksam um. Er begegnete dem allgegenwärtigen Misstrauen oberflächlich betrachtet mit Gleichmut. Innerlich war er aber in höchstem Maße alarmiert.
»Haben wir Mundgeruch oder haben die Typen Schiss vor uns?«
Barrera schüttelte leicht den Kopf. »Nicht vor uns.« Er nickte in Richtung einer kleinen Gruppe von Männern, die sich alle um einen Glatzkopf mit Vollbart postiert hatten.
»Dimitri Jankovic«, informierte Barrera seinen Vorgesetzten. »Aufseiten der Häftlinge hält er hier alle Fäden in der Hand. Schwarzmarktgeschäfte. Drogen hauptsächlich. Aber man sagt auch, er hält die Häftlinge für Renard auf Linie. Unterdrückt einen Aufruhr bereits im Keim. Wer den Wachen zu viele Probleme bereitet, der erleidet während eines Arbeitseinsatzes einen Unfall und kommt nicht mehr zurück.«
Lennox runzelte die Stirn. »Was hat er davon?«
»Vergünstigungen«, erwiderte Barrera. »Für Jankovic ist das hier wie ein Hotel. Gutes Essen, ein luxuriöses, eigenes Quartier. Man sagt, Renard eröffnet ihm hin und wieder sogar Zugang zum Frauentrakt und er darf sich dort eine aussuchen.«
Lennox spie aus. »In was für einer schönen Zeit wir doch leben.«
Barrera schnaubte abfällig. »Ist doch immer das Gleiche. Renard will möglichst wenige Probleme haben und eine ruhige Kugel schieben. Jankovic ist sein Mann fürs Grobe und der wiederum hat sich eine kleine Privatarmee unter den Gefangenen rekrutiert.« Der Gunny schüttelte fassungslos den Kopf. »Die besitzen sogar Kommlinks, um ständig in Kontakt zu bleiben und ihr Vorgehen koordinieren zu können.«
»Ist ja toll«, kommentierte Lennox. »Wir haben es also nicht nur mit den Wachen zu tun, sondern auch noch mit diesem Abschaum.« Lennox überlegte. »Wie viele Leute hat er?«
»Alles in allem fünfzig oder sechzig. Aber die Anzahl ist nicht das Problem.«
»Sondern?«
»Die Angst, die sie bei den anderen auslösen. Wer sich verweigert oder aus der Reihe tanzt, den machen sie zuerst fertig. Der Rest mutiert zu einer gehorsamen Schafherde. Fügsam und ganz nach Renards Vorstellungen.«
Lennox ließ niedergeschlagen die Schultern sacken. »Hab ich sonst noch was verpasst?«
»Das war es im Prinzip. Ich wurde auch befragt, sogar ziemlich intensiv. Immer die gleichen Fragen: Wo sind die Skulls? Was ist euer Plan? Wie stark seid ihr im Moment?« Er zuckte die Achseln. »Ständig dasselbe Zeug. Aber dann schienen sie fürs Erste das Interesse an mir zu verlieren und ich kam hierher.« Sein Blick glitt in Richtung Jankovics, der ungeniert zu ihnen herüberstarrte. »Bisher haben sich Jankovics Jungs noch nicht an mich herangetraut.«
»Oder sie haben noch kein grünes Licht bekommen«, gab Lennox zu bedenken.
Ein junger Mann mit Sommersprossen und wirrem roten Haar setzte sich ungefragt zu ihnen an den Tisch und grinste die beiden Marines über das ganze Gesicht an, als wäre es das Natürlichste der Welt.
Lennox runzelte die Stirn und warf Barrera einen fragenden Blick zu. Dieser winkte lediglich ab. »Verschwinde, Maus.«
Der Mann mit dem Spitznamen Maus grinste, machte aber keine Anstalten, der Aufforderung Folge zu leisten. Stattdessen nickte er in einer knappen Geste in Lennox’ Richtung. »Dein Freund sieht ziemlich fertig aus.« Maus hob sein T-Shirt und darunter kamen, mit Klebeband an seinem Bauch befestigt, allerhand Döschen zum Vorschein. In jeder davon befanden sich Pillen in unterschiedlichen Farben und Größen. »Vielleicht braucht er eine Kleinigkeit, um wieder hochzukommen.«
Lennox sah sich hektisch nach den Wachen um. »Verdammt, nimm das T-Shirt wieder runter! Willst du uns alle ins Loch bringen?«
Zu seiner Verblüffung zeigte weder Maus noch Barrera irgendwelche Anzeichen von Besorgnis. Der Gunny schnaubte lediglich. »Ist schon in Ordnung. Maus ist einer von Jankovics lizenzierten Kleindealern. Die Wachen sehen weg, weil sie ihren Anteil daran bekommen. Allen voran der miese Leuteschinder Walsh.«
Lennox verzog die Miene. »Hübsches, kleines System, das die sich hier aufgebaut haben.«
»Allerdings«, stimmte Barrera zu. Er warf erneut einen warnenden Blick in Richtung des Dealers. »Verschwinde, Maus. Ich sag es dir nicht noch einmal. Bring deine Waren woanders an den Mann.«
»Schon gut, schon gut«, erklärte Maus und zog etwas beleidigt sein T-Shirt wieder herunter. Ein Schatten fiel auf die drei Gefangenen. Sie alle blickten auf. Über ihnen