Sophienlust Classic 55 – Familienroman. Aliza Korten
will.«
»Hat sie die Gänse denn mitgebracht?«, erkundigte sich Roland.
Carola erzählte ihm mit wenigen Sätzen Moiras Geschichte.
»Dann müsste ich mein Porträt schnell malen, sonst wird die kleine Moira womöglich abgeholt. Übrigens, die Gänse könnten in meinem Stall Unterschlupf finden.« Roland war von seinem Einfall begeistert. »Der Stall steht leer. Da hätten die Gänse ihren Frieden und die grüne Wiese, die sie brauchen, gleich vor der Tür.«
»Ich glaube nicht, dass meine Schwiegermutter oder Frau von Schoenecker etwas dagegen einwenden werden. Die Gänse wachsen sich hier nämlich bereits zu einem kleinen Problem aus«, antwortete Carola belustigt. »Wegen des Porträts werde ich selbst ein gutes Wort für Sie einlegen. Ich weiß, wie es ist, wenn man sich in den Kopf gesetzt hat, etwas zu malen.«
Roland Gerhardt konnte nun endlich die Frage nach Carolas Malerei und ihren Bildern einflechten. Sehr rasch entspann sich ein intensives Fachgespräch zwischen den beiden Gleichgesinnten. Zuletzt nahm Carola den Maler mit in den Anbau und zeigte ihm ein paar von ihren Arbeiten.
»Ausgezeichnet«, sagte Roland leise. »Sie können mehr als ich, das gebe ich neidlos zu.«
Carola wurde rot. »Es ist eigentlich nur eine Liebhaberei von mir. Aber durch irgendein kleines Wunder habe ich fast immer Erfolg mit meinen Bildern.«
»Sie verdienen den Erfolg, Frau Rennert.« Roland deutete eine kleine Verbeugung an. »Wenn Sie meine Arbeiten interessieren, dann bringen Sie doch Moira morgen zu mir. Dabei können Sie sich meine Pinseleien mal anschauen. Außerdem wissen Sie dann gleich, dass Moira bei mir gut aufgehoben ist – samt den Gänsen.«
»Einverstanden, Herr Gerhardt. Um ehrlich zu sein, es reizte mich schon eine ganze Weile, den geheimnisvollen Maler im leeren Haus in unserem Dorf kennenzulernen.«
»Das Haus ist jetzt nicht mehr leer«, korrigierte er lächelnd. »Ich habe es neu bemalt und hübsch eingerichtet. Und in den Stall kommen nun sieben Gänse.«
»Wir müssen die Entscheidung meiner Schwiegermutter noch abwarten. Aber ich bin ganz sicher, dass es so werden wird, wie sie es vorschlagen, Herr Gerhardt. Gefällt es Ihnen im Dorf?«
»Sehr, Frau Rennert. Ich möchte nie wieder weg. Man lebt wie im Paradies, und ich kann ungestört arbeiten.«
Als sie wieder in den Gutshof kamen, sahen sie eben, wie Moira mit dem Mut der Verzweiflung versuchte, den angriffslustigen Ganter zu vertreiben.
»Moira, wenn du willst, nehme ich deine Gänse in meinen Stall«, schlug Roland vor, indem er den Gänserich mit ein paar lauten, drohenden Rufen verscheuchte. Vor dem großen Mann zog sich das kriegerische Tier gleich zurück.
»Aber sie müssen auch Futter kriegen. Das mache ich immer selbst«, piepste Moira, ausnahmsweise einmal in korrektem Deutsch.
»Nun, für heute Abend schaffe ich es vielleicht, wenn du mir deine Herde anvertraust.«
»What?«
»Sie dürfen sich nicht so kompliziert ausdrücken«, schaltete sich nun Pünktchen ein, die eben zu der Gruppe gestoßen war. »Moira versteht nicht viel Deutsch.«
»Okay«, sagte Roland und wiederholte sein Angebot, für die Gänse zu sorgen, auf englisch.
»Thank you«, antwortete Moira höflich und zufrieden, wobei sie Roland den Griff der Karre in die Hand gab und ziemlich erleichtert aussah.
Wenig später verließ der Maler den Gutshof, die Karre vor sich her schiebend und selbstverständlich von der Gänsemutter begleitet, die ihn etwas argwöhnisch musterte.
Da hab ich mir was eingebrockt, dachte Roland Gerhardt belustigt. Zuerst taucht Barb auf und verschwindet auf Nimmerwiedersehen – und dann verrenne ich mich in die Idee, dieses Kind mit seinen Gänsen zu malen. Resultat, ich habe eine Gänseherde im Stall und muss sie natürlich auch versorgen.
Moira berichtete indessen ihrem besonderen Vertrauten Henrik in ihrem lustigen Sprachgemisch, dass die »geese« nun endlich ein »home« hätten. Die Gänse waren in ihren Augen nun untergebracht.
*
»Natürlich geht es glatt«, sagte der breitschultrige Mann. »Ich habe mir alles gut überlegt. Wenn es sich machen ließe, würde ich dich gleich mitnehmen. Aber eins nach dem anderen, Daisy.«
Das Mädchen, blond und zart, ließ sich widerstrebend von dem Mann in die Arme nehmen. Auf einen unbeteiligten Zuschauer wirkten die beiden nicht gerade wie ein Liebespaar, das zärtlichen Abschied nahm.
Die Szene spielte sich auf dem New Yorker Kennedy-Flughafen ab. Daisy McMiller und ihr Freund Glenn Cassels sprachen englisch miteinander, denn sie waren beide Amerikaner.
Glenn Cassels war auffällig gekleidet. Außerdem schien jedes Stück, das er trug, eben aus dem Laden gekommen zu sein. Daisy machte daneben in ihrem schlichten Kleid einen etwas unscheinbaren Eindruck. Ihr hübsches schmales Gesicht war blass.
»Du wirst mir doch jetzt keinen Strich durch die Rechnung machen?«, drängte Glenn und legte seine Hand schwer auf ihre Schulter. »Genau betrachtet tun wir ein gutes Werk.«
»Wenn ich das Geld nicht genommen hätte …« Ihre Stimme klang unsicher. Zugleich schaute sie ängstlich zu Glenn auf.
»Aber du hast es genommen, Darling. Wir mögen uns doch?« Er küsste sie mit etwas übertriebener Leidenschaft.
Daisy blickte zu Boden, nachdem sie sich aus seiner Umarmung rasch befreit hatte. Einige Minuten später wurde der Flug nach Frankfurt aufgerufen. Das Mädchen atmete mit heimlicher Erleichterung auf.
»So long, Daisy. Ein bisschen kannst du mir den Daumen halten.«
»Ja, Glenn.«
Er schwenkte seine Flugtasche und schloss sich den anderen Reisenden an, die jetzt zum Gate gingen. Daisy blieb zurück. Als sie den Mann nicht mehr sehen konnte, drehte sie sich um und verließ das Gebäude, umso schnell wie möglich in die Stadt zurückzukehren.
Daisy McMiller war Kunststudentin und bettelarm. Sie musste sich das Geld für das Studium sowie für ihren Lebensunterhalt durch allerlei Gelegenheitsarbeiten verdienen und hatte Glenn Cassels kennengelernt, als sie Aushilfskellnerin in einer Imbissstube gewesen war. Ein paarmal waren sie zusammen ausgegangen. Glenn hatte ihr mit seiner sonnengebräunten Haut und seiner etwas unbeholfenen Art gefallen. Dass er vom Lande kam, konnte er nicht verleugnen.
Das junge Mädchen war bis dahin in der Millionenwüste New York sehr einsam gewesen. So hatte es sich dankbar an den neuen Freund angeschlossen, der ihr anvertraut hatte, dass er sich in einer wichtigen geschäftlichen Sache in New York befinde.
Als er sie gefragt hatte, ob sie ihn heiraten wolle, war sie etwas verblüfft gewesen. Er aber hatte ihre Hand genommen und ihr seine Geschichte erzählt.
Eine kleine Verwandte von ihm sei verwaist, hatte er berichtet. Er sei der einzige lebende Angehörige. Selbstverständlich wolle er das vierjährige Mädchen zu sich nehmen. Dazu brauche er aber eine rechtmäßige Ehefrau. Daisy gefalle ihm! Deshalb wolle er sie heiraten.
Daisy hatte sich Bedenkzeit ausgebeten. Die Aussicht, auf Glenns Farm Sicherheit und Geborgenheit zu finden, war verlockend für sie gewesen. Auch hatte sie Mitleid mit dem Kind gefühlt. das beide Eltern verloren hatte. Dagegen hatte ihr Wunsch gesprochen, es als Künstlerin zu etwas zu bringen. Allerdings war ihr längst klar geworden, dass der Weg zum Erfolg mühselig und dornenreich aussah – wobei der Erfolg nicht einmal sicher war. Für ein mittelloses Mädchen war es fast unmöglich, allein durchzukommen.
So weit wäre alles in Ordnung gewesen, wenn Daisy dann nicht durch Zufall erfahren hätte, dass Glenn ihr nicht die volle Wahrheit gesagt hatte. Leider hatte sie kurz zuvor schon einen größeren Geldbetrag von ihm angenommen. So war es für Glenn nicht schwer gewesen, dem unerfahrenen, verstörten Mädchen klarzumachen, dass es nun nicht mehr zurückkönne und mitspielen müsse, ob es ihr passe oder nicht.
Jetzt