Der neue Dr. Laurin 28 – Arztroman. Viola Maybach

Der neue Dr. Laurin 28 – Arztroman - Viola Maybach


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bisschen fürchtete sie sich vor dieser Begegnung. Oscars Mutter hatte einen Schlaganfall gehabt, sie konnte nicht mehr gut sprechen. Vielleicht konnte sie auch nicht mehr gut denken, das war durchaus möglich… Wie aber sollte sie, Lisa, sich verhalten, wenn Oscars Mutter sie mit ihrer Mutter verwechselte? Sie hatte nicht gewagt, Lili oder Simon von ihrer Angst zu erzählen, die ja vielleicht völlig unbegründet war. Aber nun überlegte sie, ob sie sich Lili nicht doch anvertrauen sollte, bevor sie die USA erreichten.

      Als sie einen Blick zur Seite warf, sah sie, dass Lilis Augen geschlossen waren. Vielleicht schlief sie, vielleicht genoss sie auch nur die Musik aus ihren Kopfhörern. Auf jeden Fall schien dies der falsche Zeitpunkt zu sein, um ihrer älteren Schwester anzuvertrauen, welche Ängste sie plagten.

      *

      Leon Laurin war an diesem Samstag in die Kayser-Klinik gefahren, da seine Patientin Martina Blomberg überraschend eingeliefert worden war.

      Die junge Frau erwartete Drillinge, nachdem sie und ihr Mann jahrelang vergeblich versucht hatten, eine Familie zu gründen. Beide waren überglücklich gewesen, als sie von der Schwangerschaft erfahren hatten, und auch die Nachricht, dass sie drei Kinder bekommen würden, hatte sie nicht erschrecken können, im Gegenteil.

      Dennoch hatte Leon ihnen natürlich sagen müssen, dass die Chance, drei Kinder gesund zur Welt zu bringen, relativ gering war. Doch bislang gediehen die Drillinge gut, und die Hoffnung wuchs, dass es so bleiben würde.

      Doch nun hatte Frau Blomberg Schmerzen bekommen, und eine leichte Blutung hatte für erhebliche Aufregung gesorgt, auch bei Leon. Doch es hatte sich gezeigt, dass es keinen Grund zur Panik gab, die Schmerzen hatten sich gelegt, die Blutung war zum Stillstand gekommen, den Drillingen ging es weiterhin gut.

      »Sie sollten ein paar Tage zur Beobachtung hierbleiben, Frau Blomberg«, sagte Leon. »Wir wollen ja nichts riskieren.«

      »Aber meine Frau muss jetzt nicht den Rest der Schwangerschaft im Bett verbringen, Herr Dr. Laurin, oder?«, fragte Jonas Blomberg, der bei seiner Frau saß und ihr die Hand hielt.

      »Davon gehe ich nicht aus, aber im ungünstigsten Fall könnte es auf eine längere Bettlägerigkeit hinauslaufen«, erwiderte Leon.

      »Bloß nicht«, stöhnte seine Patientin. »Mir geht das ja jetzt schon auf die Nerven, dass ich liegen muss.«

      »Ich verstehe das, aber Sie sollten sich vor Augen halten, was der Lohn der Mühe sein könnte. Drei gesunde Kinder!«

      »Ich weiß!«, stieß sie hervor. »Sie glauben gar nicht, wie oft ich mir das sage, Herr Dr. Laurin. Aber ich bin einfach so ein unruhiger Geist …«

      »Das kann ich bestätigen«, erklärte Jonas Blomberg mit einem Lächeln. »Meine Frau kann nicht gut stillsitzen. Und liegen auch nicht.«

      »Dann lenken Sie sich ab, Frau Blomberg«, sagte Leon. »Stricken Sie, malen Sie, sehen Sie fern, lesen Sie, hören Sie Musik – aber denken Sie bloß nicht die ganze Zeit daran, dass Sie im Bett liegen.«

      Sie sah ihn nachdenklich an. »Stricken ist eine gute Idee«, sagte sie. »Das habe ich früher ganz gern gemacht.«

      »Obwohl man dabei in der Regel stillsitzen muss?«

      Sie lachte. »Dabei waren wenigstens die Finger in Bewegung.« Sie wurde wieder ernst. »Ist wirklich alles in Ordnung mit unseren Kindern?«

      »Im Augenblick ja. Und die kritischen ersten Monate haben Sie ja schon hinter sich. Wir müssen jetzt einfach besonders gut auf Sie achten.«

      »Wir sind sehr froh, dass Sie gleich hergekommen sind, Herr Dr. Laurin«, sagte Jonas Blomberg.

      »Superfroh!«, bestätigte seine Frau. »Mir geht es auch schon wieder viel besser.«

      »Das höre ich natürlich gern.«

      Als Leon sich wenig später verabschiedete, folgte ihm Jonas Blomberg auf den Stationsflur. »Wenn meine Frau längere Zeit im Bett bleiben muss, sehe ich schwarz«, sagte er düster. »Sie wird durchdrehen, das hält sie nicht aus.«

      »Noch ist es ja nicht so weit, Herr Blomberg. Es hat wenig Sinn, sich verrückt zu machen, bevor es einen Anlass dafür gibt.«

      »Die Blutung war aber doch ein Anlass, oder?«

      »Die Blutung war ein Grund, genau hinzusehen, ob es Probleme gibt, aber danach sieht es nicht aus. Ein paar Tage Bettruhe, dann darf Ihre Frau wieder nach Hause, aber sie sollte sich von jetzt an noch mehr vorsehen: nicht schwer heben, regelmäßige Pausen, in denen sie die Beine hochlegt, keinerlei Überanstrengung.«

      »Sie weiß das, aber manchmal geht es mit ihr durch, dann fühlt sie sich kräftig genug, um Bäume auszureißen und vergisst, dass sie das nicht darf.«

      »Ich werde sie, bevor wir sie wieder entlassen, noch einmal eindringlich daran erinnern.«

      »Danke, Herr Doktor!« Sichtlich erleichtert kehrte Jonas Blomberg zu seiner Frau zurück.

      Während Leon noch überlegte, ob er sofort nach Hause zurückkehren oder vielleicht kurz die Kolleginnen und Kollegen in der Notaufnahme begrüßen sollte, rief jemand: »Was machst du denn hier? Hast du nicht frei?«

      Es war Eckart Sternberg, der mit fragendem Gesicht näherkam. Leon erklärte ihm, warum er in der Klinik war.

      »Dann lass uns einen Kaffee zusammen trinken, wenn du schon einmal hier bist!«, schlug Eckart vor.

      Leon willigte ein, und so machte er sich erst eine halbe Stunde später wieder auf den Heimweg.

      *

      »Wieso machen wir das eigentlich nicht öfter?«, fragte Antonia Laurin ihre Freundin Britta Stadler, mit der sie sich an diesem Samstagnachmittag getroffen hatte, um ein wenig durch die Stadt zu laufen, sich über alles auszutauschen, was sie beide bewegte, und schließlich in einem gemütlichen Café einzukehren. Sie hatten draußen Platz genommen, wo sie nun seit einer Stunde über Gott und die Welt sprachen und sich wieder einmal darüber freuten, dass sie in so vielen Dingen einer Meinung waren.

      Antonias jüngste Tochter Kyra war mit Brittas Sohn Peter eng befreundet, die beiden gingen in dieselbe Klasse und waren unzertrennlich. Es war eine Freundschaft, die beiden Kindern guttat und über die ihre Mütter sehr glücklich waren. Kyra war ein empfindsames Mädchen mit einem großen Herzen, das schnell überfloss vor Mitleid, während Peter ein überaus kluger Junge war, seinen elf Jahren weit voraus. Nicht nur das hatte ihn zu Beginn in seiner neuen Klasse zum Außenseiter gemacht, sondern auch seine starke Kurzsichtigkeit, denn deshalb musste er eine Brille mit dicken Gläsern tragen und bewegte sich manchmal ein wenig unbeholfen. Für eine Operation war er noch zu jung.

      Kyra und Peter jedenfalls hatten sich schnell gefunden, und sie waren einander Halt und Stütze. Kyras unbedingte Bewunderung für Peters Klugheit schien auf andere in der Klasse abzufärben und wenn ihr wieder einmal das Herz brach vor Mitleid mit einer leidenden Kreatur, dann wusste Peter in der Regel zu sagen, wie Hilfe in dem betreffenden Fall auszusehen hatte – und daran beteiligte er sich dann auch.

      Jedenfalls waren beide durch ihre Freundschaft stabiler und selbstbewusster geworden, zur Freude ihrer Mütter. Britta, die Peter allein aufzog, war besonders glücklich über die Entwicklung, die ihr Sohn durchlaufen hatte, seit sie mit ihm nach München gezogen war. Er ging mehr aus sich heraus, zog sich nicht mehr so häufig in sein Schneckenhaus zurück, und er war gern bei Laurins, wo ihm der Umgang mit Kyras Geschwistern auch beibrachte, dass man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen durfte, denn bei Laurins wurde gelegentlich durchaus heftig gestritten.

      »Und dann«, hatte er neulich zuhause berichtet, »ist es plötzlich vorbei. Gerade eben schreien sie sich noch an, und dann lachen sie schon wieder. Das finde ich toll, aber ich kann das irgendwie nicht.«

      »Ich schätze«, hatte Britta erwidert, »das kann man lernen. Tut mir leid, dass du keine Geschwister hast, die dir das beibringen könnten.«

      »Ich finde es eigentlich ganz schön, dass wir allein sein dürfen, du und ich, Mama. Und ich kann


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