Die Frau meines Vaters. Anja Röhl

Die Frau meines Vaters - Anja Röhl


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      Anja Röhl

      Die Frau meines Vaters

      Erinnerungen an Ulrike

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      Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg Schützenstraße 49 a • D - 22761 Hamburg www.edition-nautilus.de Alle Rechte vorbehalten • © Edition Nautilus 2013 Originalveröffentlichung • Erstausgabe Februar 2013 Umschlaggestaltung: Maja Bechert, Hamburg www.majabechert.de Druck und Bindung: Freiburger Graphische Betriebe 1. Auflage Print ISBN 978-3-89401-771-2 E-Book EPUB ISBN 978-3-86438-132-4 E-Book PDF ISBN 978-3-86438-133-1

      Vorbemerkung des Verlags

      »Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich«, können wir in Tolstois Anna Karenina lesen.

      Dies ist ein Buch über Familie und Gesellschaft, über Kindheit und Erwachsenwerden, es handelt von Angst, Sehnsucht und Zuneigung. Nicht jede Erinnerung wird von anderen geteilt. Je nach Blickwinkel verzweigt sich das Erinnerte in der persönlichen Erzählung. Das liegt in der Natur der Sache. Die Wahrheit mag als zweifelhafter Anspruch angesehen werden, die Sichtweise auf Tatsachen und Geschehnisse mag abweichen, es bleibt aber der Schmerz früher Verletzungen, die einem Menschen auf seinem Lebensweg mitgegeben werden. Es sind keine exklusiven Erfahrungen, sondern geteilte, die von jedem auf eigene Weise erlebt und somit von allen nachempfunden werden können. Und es ist auch eigentümlich für das individuelle Erleben, dass das Glück flüchtiger ist als das Leid. Die angstfreie Lebensfreude bleibt so lange ein sehnsuchtsvolles Bemühen, wie die Familien die Pathologien des Unglücks produzieren, die das gesellschaftliche Leben vergiften.

      In diesem Buch geht es um Elementares: um Verlust und Glücksuche, Wahrhaftigkeit und Lüge, das Aussprechen des Schmerzes. Die Autorin unternimmt mit ihrem Erinnern eine Selbstvergewisserung, weder ist sie bestrebt herabzusetzen noch zu verleumden. Es ist nicht zuletzt ein Buch der Zuneigung.

      Die Mutter meiner Schwestern sollte der Roman ursprünglich heißen, und obwohl die Verbundenheit der Autorin mit ihren Halbschwestern nicht geleugnet werden kann*, so ist sie im Vorfeld der Veröffentlichung des vorliegenden Buches doch wieder Anlass für das Unglück der Familie Röhl: Unter Berufung auf ihr Persönlichkeitsschutzrecht wurden Anja Röhl und dem Verlag durch eine der Halbschwestern juristische Schritte angedroht, wenn nicht alle Passagen – auch Schilderungen solcher Sachverhalte, die bereits mehrfach öffentlich gemacht wurden, zum großen Teil sogar durch Bettina Röhl – aus dem Manuskript entfernt würden, in denen Anja Röhls Beziehung zu ihren Halbschwestern geschildert wird.

      Das Bemühen um einvernehmliche Einigung ging vom Verlag aus, mit dieser Absicht hat der Verlag der Mutter und den Schwestern vorab das Manuskript zukommen lassen. Mit Anja Röhls Mutter wurde so eine Einigung erreicht, für die wir uns an dieser Stelle ausdrücklich bedanken möchten. Und eine solche Einigung schien zunächst auch mit Anjas Halbschwestern auf gutem Wege. Zahlreiche Passagen wurden auf deren Bitte gestrichen, ebenso wurde der Titel geändert – doch unter Umkehr aller Gepflogenheiten bei der Kompromissfindung wurden die Forderungen immer größer, bis zum Ansinnen, in Anja Röhls autobiografischem Buch müssten die Halbschwestern gänzlich unerwähnt bleiben.

      Da unsere Bemühungen um einen fairen Ausgleich mit den Halbschwestern scheiterten, sieht sich der Verlag nun, um unfruchtbaren juristischen Auseinandersetzungen aus dem Wege zu gehen, gezwungen, diesen Streichungsforderungen nachzukommen, sie aber durch Schwärzungen zu kennzeichnen. Das darf als Zeichen des Protests verstanden werden.

      Wir bedauern, dass diesen Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend und an den großen Einfluss, den ein einziger verständnisvoller, zugewandter Mensch hier haben kann, so nun ein Ruch von Skandal anhaften wird und die Aufmerksamkeit nicht auf das kurze Glück der Autorin, sondern wieder einmal auf das Unglück der Familie gelenkt wird. Wir haben versucht, es zu vermeiden, es ist uns nicht gelungen.

       Edition Nautilus, Hamburg im Februar 2013

      Vorbemerkung der Autorin

      Der folgende Text beschreibt eine Kindheit zehn Jahre nach Kriegsende – aus der Perspektive des Kindes. Diese Geschichte ist bei weitem kein Einzelfall. Viele Kinder wuchsen in den fünfziger und sechziger Jahren so auf, die Strukturen in den Kindergärten und Heimen waren noch geprägt von den Erziehungsmethoden der Nazis. Trennungskinder hatten es besonders schwer, da alleinerziehende, voll arbeitende Frauen oft keine Möglichkeit hatten, ausreichend Zeit mit ihren Kindern zu verbringen und außerdem auch noch sozial geächtet waren. Autoritäre Erziehungseinrichtungen und ungenügende elterliche Beschäftigung mit den Kindern waren und sind Zeitphänomene.

      Ich habe Ulrike Meinhof als neue Frau meines Vaters und als Mutter meiner Halbschwestern kennengelernt. Die Darstellung dieser Begegnung ist subjektiv. Sie soll subjektiv sein. Um dem Leser diese Subjektivität zugänglich und verständlich zu machen, sind den Erinnerungen an Ulrike Meinhof andere Kindheits- und Jugenderinnerungen zur Seite gestellt. Nur in diesem Rahmen lässt sich die Bedeutung, die Ulrikes Handeln und ihre Briefe für das Kind, das Mädchen, für mich hatten, nachvollziehen.

      Das Buch ist allen Scheidungs-, Trennungs- und Heimkindern gewidmet.

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      Meiner Mutter und mir tut es heute sehr leid, dass wir uns einst so viel Kummer bereitet haben und eine so konfliktreiche Zeit durchleben mussten. In den vergangenen Jahren haben wir aber wieder einen Weg zueinander gefunden.

      In diesem Buch stehen die negativen, sehr subjektiven Erinnerungen an meine Mutter im Vordergrund. Daher möchte ich betonen, dass es auch viele positive gemeinsame Erlebnisse gegeben hat.

      »Haut heißt Haut, weil man darauf haut.«

       Der Vater zum Kind, 1960

      »Absurd … da ist nichts dran … Wir hatten eine schöne Zeit. Natürlich schlief Anja in meinem Bett. Aber da war nichts. Das einzige Problem war Schlittenfahren, da war ein kleiner Hügel und den wollte sie nicht runter. Sie war so ein Angsthase. Ich konnte damit nicht umgehen. Ich haute ihr eine runter. Sie war damals etwa fünf Jahre alt. … Ich hatte viele Frauen. Mit Ulrike führte ich eine hocherotische Beziehung. Schon von daher gab es keinen Anlass.«

      Klaus Rainer Röhl am 6.5.2010, im Stern

      Es ist Sonntag, der 9. Mai 1976 um 5.10 Uhr, als die junge Frau die Haustür hinter sich zuzieht und sich auf den Weg zur Arbeit macht. Hätte sie an diesem Tag nicht Frühdienst, würde man sie um diese Zeit kaum auf den Straßen von Berlin-Neukölln zwischen wankenden Alkoholikern und unausgeschlafenen Hundebesitzern beobachten können. Wie gewöhnlich nimmt sie die U-Bahn, die sie in den Süden des Stadtteils bringt, vorbei an den grauen Arbeitervierteln, den Fassaden, an denen der Putz abblättert, hin zu Gärten mit zwitschernden Vögeln, violettem Flieder und weißen Obstblüten, hinter denen kleine Reihenhäuschen aneinander kleben. Wie gewöhnlich betritt sie das Neuköllner Krankenhaus durch das vom übermüdeten Pförtner bewachte Tor, fährt mit dem Fahrstuhl in den zweiten Stock zu ihrem Arbeitsplatz und macht sich sogleich daran, die Patienten zu waschen und zu betten, Verbände auszuwechseln und Spuckgläser auszuleeren. Als sie Herrn K. das Frühstück bringt,


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