Lash (Gefallener Engel 1). L. G. Castillo

Lash (Gefallener Engel 1) - L. G. Castillo


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war neugierig, aber er wollte auf gar keinen Fall, dass Gabrielle das mitbekam. Er kippte auf dem Sitz nach hinten, balancierte auf dessen Hinterbeinen und legte die Füße auf den Tisch. »Es ist mir völlig egal.«

      »Ich habe Raphael gesagt, er soll seine Zeit nicht verschwenden.«

      Sein Stuhl schwankte und er drohte die Balance zu verlieren. Schnell korrigierte er seine Haltung. Ohne die Augen von ihr abzuwenden, sagte er: »Da sind wir tatsächlich mal einer Meinung.«

      Gabrielle warf das Papier in die Mitte des Tischs. »Ob es dir egal ist oder nicht, geht mich nichts an. Was du damit machst, ist deine Entscheidung.«

      Lash warf aus dem Augenwinkel einen Blick auf das Papier. Er wusste, dass sie ihn weiterhin beobachten würde, nachdem sie gegangen wäre, um zu sehen, ob er doch einen Blick darauf warf. »Du gehst schon?« Er ließ die Vorderbeine des Stuhls auf dem Boden aufsetzen, als sie aufstand.

      »Ich habe Wichtigeres zu tun, als dir beim Verschwenden deiner Gaben zuzusehen. Michael hätte sie dir alle wegnehmen sollen, als er dich rausgeworfen hat.«

      »Gaben? Ich bitte dich. Mach keine Witze. Was ich in meiner menschlichen Form tun kann, ist begrenzt, das weißt du.« Seine Fähigkeit zu sehen und zu hören war immer noch besser als die der Menschen und er war um einiges stärker als sie, aber die Entfernung, die er fliegen konnte, war stark eingeschränkt. Er hasste das.

      »Ach, du Ärmster«, sagte sie, bevor sie sich abwandte und zur Tür ging. »Ich bin hier fertig.«

      »Warte!«, rief Lash hinter ihr her. »Warum hat Michael dich geschickt, um den Auftrag zu überbringen?«

      Gabrielle drehte sich um, ihre durchdringenden Augen begegneten seinen und ihre Lippen verzogen sich zu einem durchtriebenen Lächeln. »Ich habe mich freiwillig gemeldet.«

      Ihre Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. Sie wusste, dass er die Nachricht ablehnen würde, wenn sie sie selbst überbrachte. Es musste etwas wirklich Wichtiges sein, wenn sie verzweifelt genug war, sicherzustellen, dass er sie nicht entgegen nehmen würde.

      Lash griff nach dem Zettel und Gabrielles Lächeln gefrohr. Er lachte leise. »Du willst wirklich nicht, dass ich das sehe, oder?«

      Gabrielle Gesichtszüge glätteten sich und sie zuckte mit den Schultern. »Wie gesagt, mir ist es ziemlich egal.« Sie öffnete die Tür und ließ das Licht des Nachmittags in den dunklen Club strömen. Als sie zur Tür hinaustrat, murmelte sie leise: »Schwächling«, und knallte die Tür hinter sich zu.

      »Schlampe!«, rief Lash hinter ihr her, wohlwissend, dass sie ihn auch dann hätte hören können, wenn er geflüstert hätte. Ohne nachzudenken griff er nach dem Zettel, zerriss ihn in Stücke und warf sie in die Luft. Während die weißen Stücke zu Boden segelten, stürzte er den Rest seines Whiskeys hinunter und knallte das Glas auf den Tisch, dass es zerbrach.

      Verdammter menschlicher Körper und dessen Schmerzempfinden. Er zuckte zusammen, als er seine Faust öffnete, um Glassplitter aus seiner Handfläche zu pflücken. Blut quoll hervor und tropfte auf den Tisch.

      »Süßer, bist du – ach herrjeh, du blutest ja!«, sagte eine Frau mit gedehnter Stimme. Sie lief hinüber zur Bar und kam mit einem Geschirrtuch zurück. »Wickel dir das hier um die Hand.«

      Lash entriss ihr das Tuch. Er war wütend, weil Gabrielle ihn überlistet hatte.

      »Hey!«, rief die Frau. »Du musst nicht so gemein sein.«

      Lash sah auf und blickte in ein Paar grüner Augen, die denen Gabrielles nicht unähnlich waren, nur viel freundlicher. Sie schnappte nach Luft.

      »Du bist wunderschön«, murmelte sie fasziniert. »Kann ich dir irgendwas bringen?«

      Lash grinste. In ihrer menschlichen Gestalt wurden alle Engel von den Menschen als umwerfend wahrgenommen, selbst die gefallenen. Zu seinem Glück bemühte sich jede Frau, der er seit seinem Rauswurf begegnet war, um seine Aufmerksamkeit und tat alles, worum er sie bat. Zuerst hatte er das nicht ausnutzen wollen, aber als ihm klar geworden war, dass er auf sich allein gestellt war, musste er von irgendetwas leben. Wunderschöner Körper hin oder her, er musste bekleidet, ernährt und untergebracht werden. Menschen waren so pflegebedürftig.

      »Nein, mir geht’s gut«, antwortete Lash, wischte sich die Hand ab und steckte sie in seine Jackentasche. »Es ist nur ein Kratzer.« Er wusste, dass die Wunde in einigen Minuten verheilt sein würde. Das war eine der Fähigkeiten, die er hatte behalten dürfen und die sich über die Jahre als praktisch erwiesen hatten.

      »Bist du sicher? Es sah ziemlich übel aus.«

      »Ja, ich bin sicher.« Er musterte sie, während sie vorsichtig die Glassplitter aufsammelte und sie in einen Mülleimer in der Nähe warf. In der schummrigen Bar sah sie aus wie eine jüngere Version von Gabrielle. Als sie sich umdrehte, folgten seine Augen den Einstichspuren ihre Arme hinauf. Seine Hand stieß auf ein Plastiktütchen in seiner Tasche und er lächelte. Ihm kam ein Gedanke, wie er es Gebrielle heimzahlen und gleichzeitig ein wenig Spaß haben konnte.

      Er schenkte der Frau seinen glühensten Blick. »Wie heißt du?«

      Ihre Augen verdunkelten sich. »Megan«, sagte sie atemlos.

      Er lehnte sich vor und schob ihr eine Strähne blonden Haars hinters Ohr. »Hast du Lust auf ein bisschen Spaß?«

      Lash konzentrierte sich auf auf den Druck, der sich in seinem Magen anstaute. Sein Körper bewegte sich vor und zurück. Er genoss das Glühen auf der Haut – es war die einzige Art von Wärme, die ihm eine Ruhepause von der Taubheit der letzten fünfunddreißig Jahre verschaffen konnte.

      Anfangs hatte er das Leben unter den Menschen für ein Abenteuer gehalten. Er war wirklich neugierig gewesen, wie es sich anfühlte, sich auf der anderen Seite zu befinden. Er hatte gedacht, man würde ihm vergeben und ihn wieder in die Gemeinschaft aufnehmen. Es war ja nicht so, als ob er eine Todsünde begangen hätte oder so was. Aber Monate waren zu Jahren geworden und Jahre zu Jahrzehnten. Als ihm klar geworden war, dass er nie nach Hause zurückkehren würde, war ihm alles egal geworden.

      Er schloss fest die Augen und versuchte, den zufriedenen Ausdruck auf Gabrielles Gesicht in dem Moment, als er verstoßen worden war, auszulöschen, aber er schwelte weiter in seinen Gedanken.

      Es störte ihn, dass er so einfach rausgeworfen worden war. Hatten sie nicht anerkannt, wie schwer es für ihn gewesen war, Menschen zu helfen, die so undankbar waren? Es war so weit gekommen, dass viele sich zu dem berechtigt fühlten, was er zu geben hatte. Die Leute glaubten, dass alles was sie tun musssten, war, darum zu bitten und sie würden es erhalten. Ja, es gab Zeiten, in denen er gegen Anordnungen verstoßen hatte, aber letztendlich hatte es sich immer ausgezahlt und seinen Schützlingen war es dadurch besser gegangen. Als es um das kleine Mädchen gegangen war, das es wirklich verdient hatte, zu leben, hatte er aus reinem Instinkt heraus gehandelt. Er war sich sicher gewesen, dass Michael in dieser Sache auf seiner Seite stehen würde. Na, scheiß drauf – und scheiß auf den Job.

      Ein Stöhnen lenkte ihn von seinen Gedanken ab und er blickte hinab auf dessen Ursprung. Strähnen künstlich blonden Haars schwangen synchron mit seinen Hüften und streiften seine Oberschenkel. Das Gefühl von feuchter Hitze verschlang ihn, als er schneller in die glitschigen Tiefen ihres Mundes stieß. Er lechzte verzweifelt nach Wärme und nach dem Loslassen der Dunkelheit, die ihn überwältigt hatte.

      »Fuck!«, rief er, als der Druck in seinem Innern explodierte. Für diesen kurzen Moment entkam er den unsichtbaren Ketten, die ihn an die Kälte fesselten, und Wärme breitete sich in seinem Körper aus. Er war wieder zuhause, wandelte unter dem leuchtend blauen Himmel und die Sonne schien ihm aufs Gesicht.

      So schnell, wie es gekommen war, verschwand das Gefühl. Ein Frösteln kroch seinen Rücken hinauf und ließ ihn schaudern. Plötzlich überfiel ihn der Gestank von verfaulten Eiern und Urin und er riss die Augen auf. Er befand sich wieder in dem Drecksloch, das jetzt sein Leben war. Gestern war es das »Triple Leaf Motel« gewesen; heute war es das »The Lucky Seven Inn«. Sie waren alle gleich. So wie die Frauen, die ihm halfen, alldem zu entkommen, selbst wenn es nur für einen Augenblick war.

      Grüne


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