Der Tee der drei alten Damen / Чаепитие трех старух. Книга для чтения на немецком языке. Фридрих Глаузер

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nicht« , sagte sie. »Er murmelt nur von Zeit zu Zeit unverständliche Worte. Ich glaube fast, es ist englisch.«

      »So, englisch…«

      Dr. Thévenoz, ein etwa 35-jähriger Mann, mit spärlichem blondem Haar, blickte zum Fenster hinaus. Das ging auf grüne Laubbäume. Im Zimmer stand nur ein Bett. An der Wand war ein weißes Becken angebracht, mit zwei weißen Hähnen darüber.

      Der Patient warf sich unruhig in seinem Bett herum.

      »Don’t sting« , stöhnte er. »Go to hell.«

      »Hallo, Rosenstock, sprachenkundiger Ahasver, was heißt ›sting‹?«

      Doktor Wladimir Rosenstock, Assistenzarzt, klein, leicht verfettet trotz seines jugendlichen Aussehens, schien sich beim Gehen immer im Schlittschuhlauf zu üben. So glitt er ins Zimmer.

      »Sting?«  wiederholte Rosenstock fragend. »ein ungebräuchliches Wort, heißt stechen, wenn es sich um eine Biene handelt, oder um eine Wespe, oder sonst um ein Insekt.«

      »Hallo!« Dr. Thévenoz schnalzte mit den Fingern. »Stimmt auffallend. Sehen Sie sich diesen Arm an. Nun? Der Flecken da am Ellbogengelenk?… Sieht der nicht wie eine Injektion aus? Eine intravenöse Einspritzung?. Vergiftet? Aber welches Gift? Was meinten Sie, mein blonder Engel?«  Die letzten Worte galten Schwester Annette, die sich Mühe gab, zu erröten.

      »Rosenstock, geliebtester meiner Schüler, welche Diagnose wird Ihrem Hirn entsteigen, weisheitsgepanzert, wie seinerzeit eine griechische Göttin dem Schädel ihres Vaters – was übrigens eine merkwürdige Art vegetativer Vermehrung war, verzeihen Sie den schlechten Witz! -. Woran krankt der junge Mann? Welches Gift tobt in seinen Adern, um mich jener Ausdrucksweise zu bedienen, die geldverdienenden Schreibern eigen ist? Reden Sie, Rosenstock! Vergessen Sie Ihre Abstammung! Vergessen Sie das Sprichwort, welches das Schweigen mit dem Goldstandard in Verbindung bringt. Bekehren Sie sich zum Bimetallismus, lassen Sie das Silber Ihrer Rede erklingen, ich lausche.«

      Schwester Annette kicherte ein Backfischlachen, auch Rosenstock lächelte, er liebte es, gehänselt zu werden. Doch als er antworten wollte, unterbrach ihn Doktor Thévenoz wieder.

      »Wie, Rosenstock, Sie wollen ein Gutachten abgeben? Ohne den Patienten untersucht zu haben? Sie wollen sprechen und noch wissen Sie nichts von der Anamnese des Falles? Rosenstöcklein, bedenken Sie, Sie sind noch kein Professor, der mit nachtwandlerischer Sicherheit Kohl verzapfen darf – intuitiv – verstehen Sie? Sie sind erst Assistent, und als solcher zu höchster, zu strengster Gewissenhaftigkeit verpflichtet. Ich will Ihnen helfen. Der junge Mann hier – ruhig, junger Mann! Ich bin daran, Ihren Fall zu explizieren, ich muss Sie dringendst bitten, mich nicht zu unterbrechen« – der Patient stöhnte nämlich leise, warf sich herum, murmelte auch. »was sagen Sie, junger Mann?«

      »Er hat Durst« , bemerkte Rosenstock.

      »Glaub' ich, wir könnten ihm vielleicht…«

      Schwester Annette hatte schon ein Glas in der Hand und stützte den Patienten, um ihm das Trinken zu erleichtern.

      Doktor Thévenoz seufzte tief:

      »Ich möchte auch einmal krank sein und mich von Ihnen pflegen lassen, Sie sind so sanft, mein blonder Engel, und ich muss mich die ganze Zeit mit einer energischen Frau herumschlagen, die gar kein Gefühl hat für meine Zartheit.«

      Es war bekannt im Spital, dass Dr. Thévenoz mit einer Kollegin verlobt war, die in der Irrenanstalt Bel-Air als Assistentin Dienst tat. Und auch an die Klagen des Arztes war man gewöhnt; die Dame – sie hieß Madge Lemoyne, war in Amerika geboren und auch dort aufgewachsen – musste sehr energisch sein.

      »Ja, Rosenstock, das Leben ist schwer. Denken Sie, Madge hat mir heute Morgen angeläutet, sie müsse mich unbedingt sprechen. Dabei haben wir uns gestern Abend noch gezankt. Was will sie nur?«

      Thévenoz versank in Nachdenken, während Rosenstock den Körper des Patienten abklopfte. Es war ein sauberer Körper, braun gebrannt, sehnig, die Haut roch schwach nach Lavendel. Störend war einzig der große rote Fleck in der Ellbogenbeuge, der aussah, wie ein beginnender Ausschlag.

      Dr. Thévenoz war ans Fenster getreten, um seinem Assistenten Platz zu machen. Von dorther kam seine Stimme, sachlich referierend. »Heute Nacht hatte ich Dienst. Um 2.15 wurde ich angerufen. Professor Dominicé, einer meiner Lehrer, teilte mir mit, er habe an der Place du Molard einen jungen Mann gefunden, der offenbar an einer Vergiftung erkrankt sei. Er bat mich, das Sanitätsauto zu schicken, der Fall scheine schwer, es wäre gut, wenn der Patient bald in fachgemäße Behandlung käme. Auf meine Frage, ob er den Patienten kenne, hängte der Professor ab. Er sprach sonderbar unfrei am Telefon, er wiederholte sich oft. Ich hatte Mühe, ihn zu verstehen. Nun, hier ist der junge Mann, was haben Sie gefunden?. »Ja« , sagte Rosenstock und schwieg.

      »Nun, los, los, Rosenstock! Sie werden mich doch nicht blamieren wollen!«

      »Also, mir scheint« , begann Rosenstock. »es könnte sein, dass der Einstich in der Ellbogenbeuge in ursächlichem Zusammenhang mit der Vergiftung stünde.«

      Er schwieg wieder und kratzte an seiner Nase, die dick war und knollig.

      »Ein merkwürdiger Einstich!«

      Er tippte mit dem Finger, der die Nase verlassen hatte, auf die entzündete Stelle.

      »Es sieht aus, als hätte eine ungeschickte Hand eine intravenöse Injektion versucht. Und zwar scheint ein beträchtliches Quantum Gift eingespritzt worden zu sein. Dieses Gift. – Nun, die Alkaloide des Opiums, als da sind Heroin, Codein, Morphin, schalten aus. Von wegen den vergrößerten Pupillen. Es käme nur die Gruppe der Tropeine in Betracht, und wir haben die Auswahl zwischen Atropin, Scopolamin und Hyoscyamin. Hyoscyamin! « wiederholte Rosenstock und kostete das Wort aus wie einen Leckerbissen. »es klingt wie ein Frauenname aus einem Maeterlinckschen Stück. Das aktive Prinzip von Hyoscyamus niger, dem Bilsenkraut, einem Nachtschattengewächs. Bilsenkraut! – Das hatte eine große Beliebtheit bei den Hexen des Mittelalters, ihre Flugträume hingen mit den Wirkungen dieser Pflanze zusammen. Sie nahmen das Zeug äußerlich, die Hexen, als Salbe, soviel ich mich erinnere. Haben Sie die Frage einmal studiert, Dr. Thévenoz? Sehr interessant! Wir sind hoffnungslos phantasiearm geworden, finden Sie nicht auch? Ich empfehle Ihnen, den Hexenhammer zu lesen, unglaubliche Geschichten werden Sie darin finden. Dinge, die auch Fräulein Dr. Lemoyne interessieren dürften, da sie doch zur Seelenkunde übergegangen ist.. »Hören Sie auf, hören Sie auf! Schwätzer! Man merkt, dass Sie von Talmudisten abstammen. Ich bin ja einverstanden mit Ihnen. Hyoscyamin natürlich. Wird schwer nachzuweisen sein. Isomer und solche Geschichten. Wenn wir nur endlich einmal wüssten, wer.«

      Da ging die Türe auf. Eine Frau, trotz der sommerlichen Hitze in dunkles Blau gekleidet, betrat das Zimmer. Sie schritt zum Bett, sah lange auf den Kranken und legte ihm die Hand auf die Stirn.

      »Armer Junge!.« sagte sie.

      »Wer sind Sie? Wie kommen Sie herein? Was fällt Ihnen ein?«  Doktor Thévenoz überstürzte seine Fragen. Die Frau sah ihn einen Augenblick an, dann wandte sie sich zur Tür.

      »Ich habe nur gehört von dem Unglück. Und ich wollte sehen« , sagte sie still. Und dann fiel die Tür hinter ihr zu. Thévenoz wollte ihr nachlaufen, aber in der Tür stieß er mit einer Schwester zusammen.

      »Es will Sie jemand am Telefon sprechen« , sagte die Schwester.

      »Mann oder Frau?«  fragte Thévenoz wild.

      »Es war eine Männerstimme« , antwortete die Schwester, und lächelte dazu ein wenig impertinent.

      »Gut« , nickte Thévenoz. Er hatte den geheimnisvollen Besuch scheinbar vergessen, denn er verschwand.

      »Also, jetzt erzählen Sie einmal klar und deutlich, mein lieber Malan; aus Ihrem Rapport wird ja niemand klug.«

      Kommissär Pillevuit ließ die Hand über seinen langen gelben Bart gleiten und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Polizist Malan stotterte…

      »Nein, so geht das nicht. Warten Sie!«

      Kommissär Pillevuit holte eine Flasche aus einem Fach seines Schreibtisches, füllte ein Glas mit einer wasserklaren Flüssigkeit


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