Scheidung kann tödlich sein. Andrea Ross

Scheidung kann tödlich sein - Andrea Ross


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Kapitel II

       Warum immer ich?

      

      

      

      Ich war schon immer anders. Anders, als ich hätte sein sollen, als es Menschen in meiner Umgebung sich gewünscht hätten. Als Kind konnte ich wohl zu meinem Vater, nicht aber zu meiner Mutter ein wirklich herzliches Verhältnis aufbauen. Das ist bis heute so geblieben, wenn sich auch manche Wogen mittlerweile geglättet haben. Sie hat eine gänzlich andere Struktur mit einem vollkommen verschiedenen Wertesystem als ich, das Ganze hat sich nie wirklich auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. So wurde mir schon früh in sehr vielen Situationen erklärt, dass meine Ansichten nicht in Ordnung sind, dass man darauf hören müsse, was die Leute sagen, materiell orientiert sein und immer nachgeben. Nur nirgends auffallen, nur nirgends herausragen. Strenge und Strafe hat meine Mutter immer groß geschrieben, wenn etwas nicht nach ihrer eigenen Lebensphilosophie gehandhabt wurde. Sie sah sich selbst als eine Art Maßstab, an dem ich mich jedoch so gar nicht messen lassen wollte. Ich war als Reaktion auf diesen Zwiespalt eher introvertiert, interessierte mich für das Lesen, die Natur und Menschen, die nicht intrigieren wollten und die friedfertig waren.

      1981 – Führerschein, hart erkämpft

      Ich liebe Rockkonzerte. Genau wie meine Kumpels, die ich in der Freizeit treffe. Es sind wirklich illustre Typen, alle hoch intelligent, doch von nicht alltäglichem Aussehen. Da ist zum Beispiel M.W. Der wird der Einfachheit halber so genannt, weil er in Wirklichkeit Martin-Wolfgang heißt, was nicht wirklich zu seiner Optik passt. Bei ihm muss man buchstäblich suchen, wo vorne und hinten ist, da die Länge seines Vollbartes ständig mit der Länge seines Haupthaares konkurriert, dazwischen eigentlich nur eine Brille als Anhaltspunkt dient. Damit man weiß, mit welcher Seite man sprechen muss. M.W. ist ein Diplomphysiker, der noch bei seiner Mutter wohnt. Die nennt er liebevoll »Schwester Annemarie«, weil sie als Krankenschwester arbeitet und er sie immer dafür bemitleidet.

      Oder Fischi. Sein Name ist ebenfalls stark vereinfacht worden, er heißt eigentlich Norman Fischbiereck. Daher musste er in der Kneipe auch immer an der Ecke des Tisches sitzen, keine Chance auf ein anderes Plätzchen. Abgesehen von einer Haarpracht, die sich ebenfalls sehen lassen kann, ist Fischi für seine Unkompliziertheit bekannt. Er wohnt in einem Gartenhäuschen, das er eines fernen Tages ausbauen will. In seinem Kopf sind schon sämtliche Pläne fertig, hier einmal eine Traktorhalle anzubauen und einen Bauernhof daraus zu machen. Die Pläne in seinem Kopf sind schon seit Jahren detailliert fertiggestellt, doch sitzt er lieber stundenlang im Garten und guckt den Schnecken beim Schleichen zu. Er hat die Ruhe weg, und dafür bewundere ich ihn. In ein paar Jahren wird er vermutlich den Grundstein für die Traktorhalle legen, welchen er dann weitere Jahre erst einmal stolz jeden Tag gleich nach den Schnecken besichtigen wird. Braucht Fischi zwischendurch einmal Geld zum Leben, dann fährt er eben ein wenig aushilfsweise Taxi. Aber nicht zuviel, das bringt einen aus dem Takt. Übrigens ist auch er ein Diplomphysiker und von erlesener Intelligenz.

      Dann ist da Sandi. Ein langer, schlaksiger Typ, der mit mir in

      derselben Schule war. Dessen Passion ist seine Bassgitarre, er will dereinst Rockmusiker werden. Hierfür setzt er seine ganze Energie ein, wenn er nicht gerade philosophiert. Denn ein Philosoph ist er schon jetzt. »Alles effektiv trivial«, so sein für alle Belange des Lebens passender Spruch, den er bei jeder Gelegenheit zum Besten gibt, worauf wir alle andächtig nicken. Ob nun angehende Beamtin oder Diplomphysiker, die einfachen Wahrheiten des Lebens sprechen eben alle an.

      Wir haben dann noch Siegbert, der genauso aussieht, wie eine berühmte, ausgesprochen beleibte Gottheit. Im Gegensatz zu dem berühmten Gegenstück jedoch leidet er unter seiner Körperfülle, die ihm gutes Essen und wenig Bewegung beschert haben, sowie eine unselige Veranlagung. Sigi ist eine Seele von Mensch, man kann prima mit ihm reden. Er ist gerade mit dem Abi fertig geworden und verteilt gerne mal einen Seitenhieb an meine Adresse, wie man denn nur Beamter werden kann. Das sei so ziemlich das Letzte, was er selber anstrebe. Selbstverständlich nur, um meine Seele zu retten. Denn Andrea als Beamtin, das konnten sich die Herren alle nicht so recht vorstellen.

      Auch nicht Stephan. Mit diesem Herrn kann ich am wenigsten anfangen, er hat etwas Arrogantes, Besserwisserisches an sich. Er verwendet seinen zweifellos brillanten Verstand gerne als Waffe. In punkto Figur ist er noch dicker als Sigi. Fasziniert beobachte ich immer, dass es für seinen wirklich unförmigen Körper noch nicht einmal mehr passende Jeans gibt. Setzt er sich hin, so quillt der obere Körperteil derart aus der Hose, dass man sich schon fragt, wie das Material so etwas überhaupt aushalten kann. Er hat für alles und jeden sarkastische Kommentare auf Lager, sieht sich selbst als Chef der Truppe. Allerdings nur er selbst, wir anderen nehmen das mehr mit Humor. Nun ja, er muss schließlich dringend irgendetwas für sein Selbstbewusstsein tun. Zu seiner unübersehbaren Fettleibigkeit ist er mit einem hässlichen Boxergesicht und filzigen Haaren gestraft, die er sich auch noch als eine Art Afro-Look stehen lässt, der sein Gesicht gleich noch runder und teigiger machte. Aber Ahnung von Musik hat er, das muss man ihm lassen. Er kann auch immer die seltensten »Bootlegs« besorgen, hat Kontakte nach Amerika. Daher ist er für uns hauptsächlich ein Dealer von LP-Schwarzpressungen, und die muss man einfach haben.

      Einmal habe ich seine Mutter gesehen, als wir ihn abholten. Von da an wunderte mich gar nichts mehr. Eine ebenso fettleibige, hässliche Frau öffnete uns die Tür, die mittags noch mit einem wattierten schweinchenrosa Morgenrock angetan war und Schläppchen mit Federpuscheln in brutalpink dazu trug. Dem total verquollenen Gesicht war mühelos anzusehen, dass sie wohl zuviel Alkohol erwischt hatte, und das garantiert nicht zum ersten Mal. Da konnten auch die zu Dutzenden im struppigen Haar verteilten Lockenwickler nichts verbessern, die zu allem Überfluss mit einem Haarnetz nebst rosa Schleife verziert waren. Zu alledem besaß sie die Grazie eines Nilpferdes, als sie sich mit einem Seufzer auf die aufgeplatzten Kunstledersessel fallen ließ. Gegen seine Mutter ist Stephan glatt noch eine Schönheit. Sein Vater muss wohl unter akutem Notstand gelitten haben, wenn er es über sich gebracht hat, diese Frau auch nur anzufassen. Anders ist Stephans Existenz nicht zu erklären.

      Ich habe keine Ahnung mehr, auf welche Weise das Kuli-Muli zu uns gestoßen ist. Im Gegensatz zu mir, welche von der Truppe voll als gleichwertig akzeptiert wurde, war sie eine Art Bedienung für die Herren. Daher rührte auch der phantasievolle Name, in Wirklichkeit hieß das Mädel Silli, sie fuhr einen badewannenblauen Fiat 127. »Das« Kuli-Muli wurde für Tätigkeiten gebraucht, für die Stephan und Konsorten zu faul waren. Bier holen, Joint drehen, als Wärmekissen im Winter (man zerrte sie dann einfach auf seinen Schoß und schmiegte sich an) oder Taschen tragen. Benötigte man ihre Dienste, so schnippte man einfach mit den Fingern, und sie war da. Natürlich nehme ich diese »Dienste« nicht in Anspruch, ich finde das etwas entwürdigend, sowohl für »das Kuli-Muli«, als auch für mich.

      Erstaunlich ist nur, dass Silli nicht nur keinen Anstoß an dieser Form der Behandlung nimmt, sondern es hochzufrieden damit ist. Erfreut springt sie auf, wenn sie gebraucht, pardon, benutzt werden soll. Es gibt scheinbar mehrere Wege zur Zufriedenheit, und sie hat den ihren gefunden. Mich hingegen hat man neulich zum »Ehrenmann« ernannt, weil ich abgesehen von der äußeren Form fast wie ein solcher funktioniere, haben sie gesagt. Ich hätte erstaunlicherweise ein logisch denkendes Gehirn und wisse es zu benutzen. Da war ich schon ein wenig stolz.

      Dann gibt es noch eine dritte Frau in der Truppe. Meine Freundin Gisa, die etwas schüchtern ist und auch nur über ein rudimentäres Selbstbewusstsein verfügt, das ich ihr ständig ein wenig aufpolieren helfe. Es wird langsam, manchmal spreche sie sogar in der Runde an. Aber man merkt ihr nach wie vor an, dass sie sich ein wenig minderwertig fühlt. Ein Opfer ihrer Erziehung. Gisa ist hübsch, weiß es aber nicht. Dafür bemerkten es andere, zum Beispiel der dicke Stephan. Eines Tages waren wir bei Stephan zu Hause in dessen Zimmer und dealten mal wieder mit LPSchwarzpressungen von Led Zeppelin. Ich hatte soeben ein seltenes Exemplar erworben und war darüber hocherfreut, auch wenn mich das Teil wieder einen beträchtlichen Teil meines BeamtenanwärterGehalts gekostet hatte. Als ich meine Augen vom kopierten Cover der LP nahm,


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