Schon Immer Mein Vicomte. Dawn Brower
öffnete er seine Augen. Er blinzelte einige Male. Vielleicht war er gestorben. Die Frau vor ihm war nicht groß oder stämmig. Sie war schlank gebaut, schmale Hüften eingeschlossen in ledernen Hosen, ein wogendes weißes Oberteil bedeckt von einer ledernen Weste. Ihr rotblondes Haar war an ihrem Rücken herunter geflochten. Diese saphirblauen Augen jedoch—er würde sie in einer Million Lebzeiten nicht vergessen. »Estella?«
Hölle und Verdammnis. Was machte Donovan auf ihrem Schiff? Sie hatte immer beabsichtigt ihn ausfindig zu machen, nachdem ihr Exil geendet war. Sie konnte noch nicht nach London zurückkehren. Ihr Stiefvater behielt den Überblick über sie. Zumindest glaubte er das. Er schickte willkürlich Spione, um sie zu besuchen. Was der Herzog nicht begriff, sie hatte ihre eigenen Spione. Sie wusste, dass sie kamen, bevor sie angekommen sind. Wenn sie es erfuhr, dachte sie immer daran Zuhause zu sein. Die meiste Zeit war sie das sowieso; dann und wann musste sie jedoch auf dem Schiff sein, um sicherzugehen, dass alles wie geplant lief.
Der Herzog hat ihr nicht viel Geld zum Leben gegeben. Er hatte tatsächlich nichts geschickt, seit sie am Anfang hier angekommen war. Sie musste einen Weg finden zu überleben und sie hatte das erste bisschen Geld genommen und es verdoppelt, dann das verdoppelt, bis sie genug hatte um durch das Jahr zu kommen. Als sie darauf hinab gestarrt hatte, erkannte sie, dass sie nicht weiter spielen konnte. Sie konnte auf diesem Weg nicht genug verdienen und die Chancen zu gewinnen waren jedes Mal niedrig. Sie hatte nichts dagegen ein Risiko einzugehen, aber es musste es wert sein. Dann hatte sie zufällig mitgehört, wie jemand über eine Verschiffungs-Unternehmung prahlte. Zu dieser Zeit hatte sie nicht begriffen, was die Unternehmung genau war, aber sie hatte so oder so aus dieser ihren Nutzen gezogen. Sie hatte das bedeutendste Kartenspiel ihres Lebens gespielt und das Schiff des Mannes gewonnen, und seinen Respekt. Er war jetzt ihr Erster Offizier und hielt einmal in der Woche um ihre Hand an.
Sie antwortete Donovan nicht. Er war eindeutig ziemlich betrunken. Vielleicht würde er vergessen, dass er sie gesehen hatte. Sie drehte sich zu ihren Männern und befahl: »Badet ihn. Wenn das erledigt ist, bindet ihn an das Bett in meiner Kammer.« Seine normalerweise schönen goldenen Locken strotzten vor Dreck und Fett. Seine Hautfarbe war weiß und grenzwertig durchscheinend, mit Ausnahme seiner Wangen. Sie hatten vom Alkohol eine rötliche Färbung. Wenn diese Farbe nicht wäre, hätte er tot ausgesehen. Seine Augen jedoch—sie waren das Schlimmste für sie. Die blauen Tiefen waren glasig und schauten beinahe durch sie hindurch. Da erkannte sie, wie schlecht es ihm ging, und dass sie ihm helfen musste.
»Ihr denkt dran ihn zu benutz’n?«, fragte einer der Männer, Schock klang in seiner Stimme nach.
Estella würde Donovan nie benutzen. Sie wollte nur nicht, dass er nach Belieben über das Schiff verfügen konnte. Ihn zu fesseln war ein Erbarmen, das sie niemand anderem gewährt hätte. Donovan jedoch, sie war es ihm schuldig. Sie konnte das den Männern jedoch nicht sagen. Sie verstanden Gewalt und sie musste sie glauben machen, dass sie zu allem fähig war. Sie betastete den Griff ihres Rapiers—dankbar für ihren Fechtunterricht, bevor ihre Mutter gestorben war. Sie gaben ihr die Fähigkeiten, die sie benötigte, um die blutrünstige Schmugglerin zu sein, die diese Männer erwarteten. Das Rapier war jedoch gefährlicher als das Florett, das sie normalerweise benutzte. »Stellst du mich in Frage?«
»Nein, Käpt’n«, sagte er und schluckte dann schwer. »Wir lass’n Euch wiss’n, wenn es erledigt is’.«
»Gut«, sagte sie und drehte sich, um zu gehen.
»Estella«, rief Donovan aus. Sie hielt an, aber blickte nicht zurück. Sie konnte nicht. Er ähnelte nicht einmal entfernt dem Mann, in den sie sich verliebt hatte. Was war mit ihm über die Jahre passiert? Sie hätte nach ihm sehen sollen und danach schauen, dass es ihm gut geht. Dies war ihre Schuld. Sie hatte ihn an den Rand des Ruins gebracht. Es war an ihr sicherzustellen, dass er einen Weg zurück fand.
»Geh nicht«, flehte er. »Warum musstest du gehen …?« Pein erstreckte sich über diese Frage und stach auf sie ein, wo es am meisten wehtat. Ihr Herz brach von neuem. Das war zu viel. Ihr Stiefvater würde dafür bezahlen, was er getan hatte. Sie hatte das vor langer Zeit gelobt und sie beabsichtigte es einzuhalten. Zuerst schuldete sie Donovan eine Erklärung. Wenn er mehr er selbst war, würde sie ihm alles erzählen. Wenn er entschied sie zu hassen, würde sie ihn nicht aufhalten. Wenn sie nach England zurückkehrten, würde sie sicherstellen, dass er es in einem Stück zurück nach London schaffte.
»Käpt’n?«
Sie blickte über ihre Schulter auf das Mannschaftsmitglied. »Ja?«
»Kennt Ihr ihn?«
»Sei nicht albern«, sagte sie. »Er ist nur ein Mann—ein feiner Pinkel, nicht mehr. Ich bin mit niemandem aus dem gehobenen Kreis bekannt.«
Niemand besuchte sie und das machte es einfacher diese Vortäuschung aufrechtzuerhalten. Sie war für sie nicht Lady Estella Sims und würde es nie sein. Wenn sie ihre Erbschaft erhielt, würde sie England verlassen und niemals zurückblicken. Die einzige Sache, die sie zu bleiben versuchte, war Donovan. Für ihn würde sie alles überdenken und alles tun.
»Er glaubt er kennt Euch«, sagte er geistesabwesend. »Sein Hirn muss noch immer in Alkohol eingelegt sein.«
»Unzweifelhaft«, stimmte sie zu. »Jetzt geh an die Arbeit.«
Er nickte und ging zurück zu Donovan. Der Vicomte kämpfte eine Weile und wurde dann komplett bewusstlos. Es war wahrscheinlich das Beste. Warum hatte er aufgegeben? Hatte es ihn so sehr beeinflusst sie zu verlieren? Möglicherweise war sie es überhaupt nicht. Vielleicht hatte er einen anderen Grund sich an den Rand des Todes zu trinken. Sie konnte nicht der einzige Grund sein, warum er am Leben verzweifelt war. Ihr Donovan war glücklich und charmant gewesen. Er hatte sie von ganzem Herzen geliebt—bis sie es in Stücke zerschlagen hatte. Sie würde all seinen Schmerz von ihm nehmen, wenn sie könnte. Vor allem wollte sie niemals ihre Liebe zerstören. Als ihr böser Stiefvater ihre Beziehung entdeckt hatte, hatte er alles getan, was er konnte, um sie zu zerstören. Schließlich hatte er Erfolg gehabt. Estella hatte zwei Möglichkeiten: Einen alten Mann heiraten und Donovans Herz brechen, oder die Dinge mit ihm zu beenden. Beide hatten dasselbe Ergebnis, doch eine gab ihr die Hoffnung sich selbst zu erretten.
Vielleicht hatte ihr das Schicksal schließlich die Gelegenheit dafür gegeben …
KAPITEL ZWEI
Estella schlenderte über das Deck ihres Schiffs und begutachtete es, um sicherzustellen, dass alles glatt lief. Der Wind war gut und sie machten gute Fahrt. Sie sollten den Abholpunkt gut vor der Dämmerung erreichen. Das würde ihnen genügend Zeit geben den Austausch vorzunehmen. Die Fässer mit Brandy würden einen netten Preis einbringen. Die Engländer mögen ihre Nase über die Franzosen rümpfen, aber sie genossen gewiss ihre Spirituosen. Sie konnte es ihnen nicht verdenken. Besonders da deren Wünsche ihre Rechnungen zahlten. So lange sie guten französischen Brandy wollten, würde sie liefern. Zumindest für weitere sechs Monate—dann hätte sie ihr Erbe und könnte mit dem Schmuggelgeschäft aufhören. Vielleicht sogar ihr Schiff für legitimeren Handel nutzen. Sie hatte ein paar Ideen und hoffte diese auszubauen, sobald sie Zugang zu ihren Geldmitteln hatte. Der Herzog würde es hassen, aber er würde keine weitere Kontrolle über sie haben. Sobald sie ihren einundzwanzigsten Geburtstag erreichte, wäre sie in der Lage zu tun, was auch immer sie wollte.
»Käpt’n Estes«, rief ihr ein Mann zu.
Sie hielt an und blickte hoch. Er kletterte die Takelage herunter. Als er das Ende erreichte, rutschte er ein Tau hinab und landete vor ihr auf dem Deck. Estella wartete, dass er sie ansprach.
»Da kommt ein Schiff näher«, sagte er. »Französische Flaggen.«
Verflixt und zugenäht. Was würde sie deswegen tun? Sie waren ein englisches Schiff und sie würden es ihnen wahrscheinlich nicht erlauben friedlich vorbeizuziehen. Sie musste etwas finden, um sie damit zu bestechen.
»Bist du sicher?« Sie musste fragen.
»Aye«, bestätigte er. »Zumindest sind es keine Piraten.«
Estella verdrehte ihre Augen. Sie trafen auf diesen