Die Salbenmacherin. Silvia Stolzenburg

Die Salbenmacherin - Silvia Stolzenburg


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zahllosen Töpfe, Tiegel und Weidenkörbe wandern, bis dieser an einem Behältnis mit Süßholz haften blieb.

      Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Mit mehr Wucht, als eigentlich nötig gewesen wäre, schloss sie den Folianten wieder und stemmte ihn zurück an seinen Platz. Nachdem sie ein kleines Säckchen mit geraspelter Süßholzwurzel gefüllt hatte, ließ sie es in der Tasche ihres Gewandes verschwinden. Ein Teil ihres Planes war somit vorbereitet. Jetzt galt es nur noch, dafür zu sorgen, dass der Fang, den sie damit zu machen gedachte, ihr nicht durchs Netz schlüpfen konnte! Sie räumte den Korb aus, säuberte die Schale, in der sie das Pferdehaar und den Schwefel entzündet hatte, und griff nach einer Flasche voller Seifenlauge. Wenngleich sie immer noch hungrig war, wusste sie, dass sie nicht dazu in der Lage sein würde, etwas zu essen. Viel zu groß war die Aufregung, die Furcht davor, einen Fehler zu begehen. Sie bemühte sich, die Unruhe zu vertreiben, und verließ nach kurzem Zögern die Offizin. Vor der Tür sah sie einige Momente lang unschlüssig von rechts nach links. Dann straffte sie entschlossen die Schultern und steuerte auf die Treppe zu. Diese führte etwa zwanzig Schritte von der Arzneiküche entfernt ins Obergeschoss, wo sich die Wohnräume der Familienmitglieder befanden. Kurz bevor sie die Stiege erreichte, fing sie eine der osmanischen Sklavinnen ab.

      »Lale«, rief sie und winkte das Mädchen zu sich. »Geh und bereite mir ein Bad.« Sie drückte der Dienerin die Seifenflasche in die Hand.

      Erst als die zierliche Gestalt in der Badestube am anderen Ende des Hofes verschwunden war, erklomm Olivera die Stufen. Oben angekommen, folgte sie dem Arkadengang, bis sie die kleine Eckkammer über der Kornmühle erreichte, in der sie schlief. Kaum hatte sie die Tür geöffnet, schlug ihr drückende Hitze entgegen. Obwohl die Fenster weit offen standen, trug der Wind an diesem Tag nicht einmal den Hauch einer Meeresbrise herbei. Selbst den Zypressen hinter dem Haus schien es zu heiß, da sie schlaff und verdorrt wirkten. Mit einem Prusten schlüpfte die junge Frau aus ihren verschwitzten Gewändern und stand einige Augenblicke vollkommen unbekleidet im Raum. Was sollte sie nur anziehen? Gewiss würde ihr Vater die Besucher am Abend zum Essen laden, und Olivera war fest entschlossen, Eindruck auf den Fremden zu machen. Sie würde ihn mit ihrer Schönheit bezaubern, ihn gefangen nehmen und betören, als wäre sie eine Prinzessin aus Tausendundeine Nacht! Er würde den Blick nicht mehr von ihr abwenden können. Und sobald sie sicher war, dass er frei war, dass er weder Gemahlin noch Braut hatte, würde sie ihn für immer an sich binden. Es konnte kein Zufall sein, dass er ausgerechnet jetzt in ihr Leben zurückgekehrt war!

      Sie trat an den hohen Silberspiegel, der – genau wie viele ihrer Seidenkleider – ein Geschenk ihres Onkels war. Dieser befand sich zurzeit mit Oliveras jüngeren Brüdern auf einer Handelsreise nach Samarkand, von der er ihr gewiss wieder eine Kostbarkeit mitbringen würde. Allerdings war ihr im Moment – im Gegensatz zu anderen Tagen – vollkommen gleichgültig, was es sein würde! Sie streckte die Hand nach dem Spiegel aus und drehte ihn ein wenig, sodass mehr Sonnenlicht auf ihn fiel. Die auf Hochglanz polierte Fläche warf ihr Bild unverzerrt und klar zurück. Ihr Blick strich über ihre straffe Brust, den leicht gewölbten Bauch und die schlanken Beine. Wenn sie ihr Haar löste, fiel es in einem dichten Vorhang bis auf ihre Hüften. Sie hob die Hand und strich sich mit dem Zeigefinger die Augenbrauen glatt. Diese waren ebenso schwarz wie ihr Haar und ihre Augen. Es war einzig ihre Nase, die ihr hie und da Verdruss bereitete. Ein wenig zu groß und nicht ganz gerade, erschien sie ihr manchmal wie ein Störenfried in ihrem ansonsten makellosen Gesicht. Auch heute erlag sie der Versuchung, sie zu rümpfen und eine Fratze zu schneiden. Doch anders als sonst, erheiterte sie das Ergebnis nicht besonders.

      »Als ob du nichts Besseres zu tun hättest«, schalt sie sich selbst und kehrte dem Spiegel den Rücken. Mit einem Kopfschütteln bückte sie sich, um den Deckel einer kostbar verzierten Holztruhe zu öffnen, in der sich Ober- und Untergewänder stapelten – manche einfach geschneidert, andere prunkvoll und aufwendig bestickt. Unentschlossen wühlte sie eine Zeit lang darin herum, zog Kleider heraus, nur um sie gleich darauf wieder hineinzulegen. Auf keinen Fall durfte sie etwas tragen, womit sie das Misstrauen ihres Vaters oder ihrer Großmutter erweckte! Sollten diese auch nur im Geringsten ahnen, was sie vorhatte, war ihr Plan zum Scheitern verurteilt. Nach langem Suchen entschied sie sich schließlich für ein kirschrotes Untergewand mit weiten Ärmeln und ein eng geschnittenes saphirblaues Obergewand, dessen Säume mit Goldfaden verziert waren. Zusammen mit einer silbernen Brosche und einer Korallenhalskette würde sie damit sicherlich Eindruck machen, ohne allzu herausgeputzt zu wirken. Wenn sie sich dann noch das Haar flechten ließ und einige Duftnelken darin verbarg, würde er sich ihrem Zauber nicht entziehen können. Dafür hätte sie am liebsten ein Gebet zum Himmel geschickt. Doch war sie sich seit Langem sicher, dass Gott kein Ohr für die Anliegen der Frauen hatte. Sie faltete die Gewänder sorgfältig zusammen und schlüpfte zurück in die alten Kleider. Dann verließ sie ihre Kammer und eilte in die Badestube. Wenn sie rechtzeitig zum Abendmahl fertig sein wollte, musste sie sich beeilen. In weniger als einer Stunde würde die Sonne untergehen!

      Als sie eine halbe Stunde später aus der Badestube zurück ins Freie trat, fühlte sie sich frisch wie eine Blume. Allerdings hatte sich ihre Aufregung mit jeder Minute, die verstrich, verstärkt, sodass es in ihrem Inneren inzwischen summte wie in einem Bienenstock.

      »Olivera!«

      Der Ruf ließ sie zusammenfahren und erschrocken herumwirbeln. Von dem überdachten Gang im Obergeschoss winkte ihre Großmutter zu ihr hinab. Sie klatschte ungeduldig in die Hände.

      »Wo steckst du denn? Das Mahl wird gleich aufgetragen.«

      Oliveras Puls machte einen Satz und ein Stich der Vorfreude fuhr ihr in die Glieder. »Ich komme!«, rief sie und raffte die Röcke, um auf ihre Großmutter zuzueilen. Sobald sie die alte Frau erreicht hatte, schüttelte diese tadelnd den Kopf.

      »Du weißt doch, dass dein Vater ärgerlich wird, wenn er warten muss«, schalt sie. »Besonders heute, wo er Gäste hat.« Sie ergriff Oliveras Hand und zog ihre Enkelin auf die Stirnseite des Gebäudes zu. Dort – direkt über dem Kontor und den Verkaufsräumen – befand sich die Stube, in der die Familie ihre Mahlzeiten einnahm, wenn Besuch im Haus war. Hinter den bunt verglasten Fenstern herrschte schon reges Treiben. Olivera spürte, wie ihre Hände feucht wurden. Ehe sie sich versah, öffnete ihre Großmutter die Tür und schob sie über die Schwelle in den mit Zierfliesen geschmückten Raum. Die Tafel war bereits gedeckt und die Küchenmägde verteilten frisch gebackene Brotfladen und Krüge mit schäumendem Rotwein. Die Farben des Wandteppichs über der Feuerstelle schillerten im Licht des Kerzenleuchters. Doch Olivera hatte keine Augen für dessen Schönheit. Stattdessen wurde ihr Blick von der Gruppe Männer angezogen, die soeben – heftig diskutierend – aus der angrenzenden Kammer die Stube betraten. Allen voran polterte ihr Vater herein, dicht gefolgt von ihrem Bruder Markos und dem Goldschmied, den Oliveras Freundin bald heiraten würde. Als Letzter erschien der hochgewachsene Fremde im Rahmen. Und Olivera musste alle Selbstbeherrschung aufbringen, um ihn nicht anzustarren. Er überragte seine beiden Begleiter um mehr als Haupteslänge. Das rotblonde Haar war unter einer kleinen schwarzen Kappe verborgen und die dunkle Kleidung betonte seine helle Haut. In seinem Gürtel steckte ein prachtvoller Dolch, dessen Scheide mit Edelsteinen besetzt war. Als er die Augen auf Olivera und ihre Großmutter richtete, durchrieselte die junge Frau ein Schauer. Für den Bruchteil eines Augenblicks hielt sie dem halb prüfenden, halb überraschten Blick stand. Dann senkte sie den Kopf und starrte auf ihre Zehenspitzen. Das Herz in ihrer Brust flatterte wie ein Vogel. Warum hatte sie nur auf ihre Vernunft gehört und nicht ihr bestes Gewand angezogen?, war alles, was ihr durch den Kopf schoss, als er auf sie zutrat.

      Kapitel 3

      Konstantinopel, Juli 1408

      Laurenz Nidhard war erstaunt. Vielleicht war er sogar ein wenig mehr als erstaunt, doch er versuchte, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen.

      »Meine Tochter Olivera«, wiederholte sein Gastgeber.

      Und Laurenz verneigte sich hastig vor der jungen Frau, die der Grund für seine Verblüffung war. Konnte diese Schönheit dasselbe Mädchen sein, an das er sich von seinem letzten Besuch erinnerte? Er rang um eine ausdruckslose Miene. Bedauernd riss er sich von dem liebreizenden Anblick los, da er nicht rüde erscheinen wollte. Wenn es sich um dasselbe


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