Bezwingt des Herzens Bitterkeit. Hilde Bürger

Bezwingt des Herzens Bitterkeit - Hilde Bürger


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       HILDE BÜRGER

       „Bezwingt des Herzens Bitterkeit! Es bringt nichtgute Frucht, wenn Hass dem Hass begegnet.“

      Friedrich von Schiller, Maria Stuart,1800

      3. Akt, 3. Auftritt

      Georg Talbot, Graf von Shrewsbury

       Hilde Bürger

      BEZWINGT DES HERZENS

      BITTERKEIT

       Drei Leben –vor, in und nach Theresienstadt

      tredition

      Hamburg 2020

      2. Neuauflage, Erstausgabe 1984

      © 2020 Renate Bürger

       Herausgeber: Werner Imhof

      Umschlaggestaltung: Werner Imhof

      Lektorat, Korrektorat: Werner Imhof

      Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44,

      22359 Hamburg

ISBN Paperback978-3-347-11509-5
ISBN Hardcover978-3-347-11510-1
ISBN E-Book978-3-347-11511-8

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      Umschlag Werner Imhof unter Verwendung eines Motivs von Barbara Wiesinger und eines Fotos von H. Schrempp

       Bildnachweis

      Alle Abbildungen entstammen dem Privatarchiv der Familie Bürger.

       Meiner lieben Familie gewidmet

       Inhalt

      Kindheit und Jugend in ärmlichen Verhältnissen

      Lehr- und Berufsjahre unter dunklem Stern

      Diskriminierung, Krankheit, Deportation

      Theresienstadt

      Befreiung, Heimkehr, Rachegefühle

      Hochzeit und drittes Leben

       Nachwort Renate Bürger

       Nachwort Sonja Knüppel

       Nachwort Miriam Knüppel

       Begleitwort des Herausgebers

       Hilde Bürger als Schwester im Jüdischen Krankenhaus

       Kindheit und Jugend in ärmlichen Verhältnissen

      Wenn ich an die Jahre zurückdenke, so kommt es mir vor, als hätte ich mehrere Leben gelebt: die Kindheit, Berufsleben von 1934 – 1938, Lernschwester und Stationsschwester im Jüdischen Krankenhaus, KZ Theresienstadt, Heirat und danach ein glückliches und zufriedenes Familienleben.

      Am 19. Mai 1916 bin ich in der Hildegardstraße in Berlin-Wilmersdorf zur Welt gekommen. Meine Mutter, Margareta Pohlmann, war als Jüdin in Berlin geboren. Ihr Vater, mein Großvater – Beruf: Metallbläser –, kam aus Ostpreußen. Ihre Mutter, meine Großmutter – Beruf: Hausangestellte –, stammte aus Posen. Der Großvater starb schon mit zweiundvierzig Jahren an einer Tbc, die er sich durch den Metallstaub als Metallbläser bei der Firma Hauptner, Tierärztliche Instrumente, in der Luisenstraße, Berlin, geholt hatte. Mein Vater, Albert Kallenbach, war in der Türkei von einem deutschen Vater und einer armenischen Mutter geboren. Er hatte die französische Staatsangehörigkeit.

      Bei meiner Geburt lebten meine Mutter und mein Vater zusammen, die Großmutter hatte ihnen die Wohnung eingerichtet. Die Heiratspapiere auf dem französischen Konsulat ließen angeblich immer auf sich warten, das behauptete jedenfalls mein Erzeuger, bis er eines Tages verschwand. Da er Ausländer war, entschied das Gericht auf eine einmalige Abfindung für mich auf ein Sperrkonto; in der Inflationszeit war das Geld dann futsch.

      Das war nun ein großes Unglück für meine sittenstrenge Großmutter. Meine Mutter, die meinen Erzeuger über alles geliebt hatte, zog mit ihrem Bankert, wie Großmutter mich nannte, wieder zurück in die Einzimmer-Hinterhauswohnung des Berliner Nordens, Schwedterstraße. Zunächst wohnten wir dort zu viert: Großmutter, die zwei Jahre ältere Schwester meiner Mutter, Jenny, und wir beide, Mutter und ich. Tante Jenny lernte bald einen Soldaten kennen, der im Ersten Weltkrieg an der Ostfront eingesetzt und auf Urlaub in Berlin war: Martin. Der Zufall wollte es, dass er Jude und sogar in Jerusalem geboren war. Nach einer Kriegstrauung und gleich nach Ende des Krieges bezogen die beiden eine Zweizimmerwohnung in Berlin-Reinickendorf, wo ich später immer meine Schulferien verbrachte.

       Meine Mutter 1915

      Onkel Martin erzählte oft und gern, wie er in Europa ankam, und ich hörte ihm ebenso gern zu. Die Eltern von Onkel Martin waren aus Russland nach Palästina ausgewandert und hatten dort für Deutschland optiert. Seine Mutter war eine stolze, resolute Frau und wollte, dass ihre Kinder einen angesehenen Beruf erlernen sollten. So schickte sie beide Söhne, nachdem sie in Palästina eine deutsche Schule besucht hatten, nach Deutschland. Der älteste Sohn wurde Apotheker und war schon einige Jahre in Frankfurt am Main, bevor Onkel Martin dort eintraf. Da die Eltern in Jerusalem fromme Juden waren, hatten sie die Söhne auch dementsprechend auf die Reise geschickt. Onkel Martin erzählte: „Ich kam mit Bart, Schläfenlocken, langem Kaftan und Käppchen in Frankfurt an. Mein Gepäck bestand aus einem verschnürten Karton und einem Oberbett. Die Adresse meines Bruders hatte ich bei mir, doch ich wusste nicht, wie ich dahin gelangen sollte. Ein Mann hatte mich beobachtet und kam zu mir. Er schaute auf den zerdrückten Zettel und fuhr mit mir in einer Pferdekutsche in Frankfurts Peripherie, wo mein Bruder in einer Apotheke arbeiten sollte. Der gütige Helfer bezahlte den Kutscher, denn ich hatte keinen Pfennig bei mir. In der Apotheke stellte sich heraus, dass mein Bruder inzwischen die Stellung gewechselt hatte. Der dortige Chef wusste aber die Adresse, wo mein Bruder in einem möblierten Zimmer wohnte. Der gute Mann, der mir vom lieben Gott geschickt worden war, brachte mich auch dorthin und verabschiedete sich dann. Ich wollte mir gerne seine Adresse geben lassen, doch der Mann winkte ab. Später habe ich in Frankfurts Straßen vergeblich nach ihm Ausschau gehalten.

      Also klingelte ich an der Wohnungstür, an der auch der Name meines Bruders stand. Es öffnete eine ältere, unfreundliche Frau. In gebrochenem Deutsch fragte ich nach meinem Bruder. Sie gab mir zu verstehen, dass er nicht zu Hause wäre und erst abends zurückkäme. Dann schlug sie mir die Tür vor der Nase zu. Verzweifelt setzte ich mich auf die Treppe, um zu warten, dabei schlief ich ein. Plötzlich wurde ich gerüttelt, und mein Bruder stand vor mir. Er war außer sich, dass man ihn nicht benachrichtigt hatte, und er schleuste mich vorsichtig in sein Zimmer ein. Ganz erschrocken war ich, dass mein Bruder keinen Bart und keine Schläfenlocken mehr hatte und einen westlichen Anzug trug. Er meinte: »So musst du auch bald aussehen, denn man darf hier nicht auffallen.«“

      Der Onkel zog dann zu seinem Bruder. Er hat in einem Laden für Wirtschaftsartikel als Verkaufshilfe gearbeitet und von dem verdienten Geld die Gauß-Schule besucht. Mit gutem Resultat machte er den Abschluss als Elektroingenieur und bekam bei AEG in Berlin eine Stellung. Dann wurde er im Ersten Weltkrieg eingezogen.

       Onkel Martins Mutter 1887

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