5 Romane Auswahlband Ärzte und Schicksale Februar 2019. A. F. Morland
in falsche Hände.“
Dr. Lorentz kniff die Augen zusammen. „Sie machen das nicht zum ersten Mal, habe ich recht? Sie haben darin schon einige Übung.“
Bruno hob die Schultern und meinte mit Unschuldsmiene: „Das Leben ist teuer. Wenn man nicht mit leeren Taschen herumlaufen möchte, muss man sich was einfallen lassen.“
„Aber an ehrliche Arbeit denkt einer wie Sie natürlich nicht.“
„Richtig“, gab Bruno Pfaff dem Chirurgen ungeniert recht. „Und ich kann dir auch den Grund dafür nennen: Weil man für ehrliche Arbeit bestraft wird. Weil ehrliche Arbeit schlecht bezahlt wird. Weil man für ehrliche Arbeit mit einem Hungerlohn verhöhnt wird.“ Er legte die Hand auf seine Brust, dorthin, wo sich die Fotos befanden. „Du kannst die Negative kaufen.“
„Wie viel wollen Sie dafür?“, fragte Torben Lorentz mit belegter Stimme. Wenn er stärker gewesen wäre als dieser Verbrecher, hätte er ihn ganz schrecklich verprügelt, aber der andere war ihm kräftemäßig überlegen.
„Hunderttausend Mark“, sagte Bruno Pfaff nüchtern.
„So viel Geld habe ich nicht flüssig.“
„Du wirst es beschaffen müssen, sonst gibt es einen mordsmäßigen Skandal. Wenn ich diese Bilder deinem Chef, deinen Kollegen, etlichen Zeitungsredaktionen und einigen Privat-TV-Anstalten zukommen lasse, bist du deinen Job los und kannst nur noch nachts aus dem Haus gehen. Und wie würde wohl erst Dr. Nicola Sperling reagieren, wenn ich ihr diese widerwärtigen Aufnahmen schicken würde?“
Dr. Lorentz hatte das Gefühl, ein Eissplitter würde sein Herz durchbohren. Nicola … Großer Gott, wenn sie diese geschmacklosen Fotos zu sehen bekam, durfte er ihr nie mehr vor die Augen treten.
Bruno sagte: „Ich bin in meiner Forderung nicht maßlos. Ich weiß, was ich einem Mann in deiner gesellschaftlichen Position zumuten kann, bleibe absichtlich unter der Schmerzgrenze, damit sich das Geschäft so rasch wie möglich abwickeln lässt. Mit nur hunderttausend Mark kannst du beruflich und privat deinen Hals retten, das solltest du dir vor Augen halten. Ich finde, so viel müssten dir dein Glück und deine Karriere wert sein. Oder sehe ich das falsch?“ Er stach mit dem Zeigefinger gegen Torbens Brustbein. „Hunderttausend Mark. Treib sie auf, so schnell es geht. Wenn ich mich wieder mit dir in Verbindung setze, musst du sie haben. Alles klar?“ Er tippte sich grüßend an die Stirn. „Mach’s gut, mein Freund. Du hörst bald wieder von mir.“
Er drehte sich um und entfernte sich ohne Eile.
Dr. Lorentz stand wie vom Donner gerührt da und schaute ihm nach, und der junge Mann war der erste Mensch in seinem Leben, dem er alles erdenklich Schlechte an den Hals wünschte.
Als der Erpresser nicht mehr zu sehen war, schloss Dr. Lorentz wie in Trance seinen Wagen auf und ließ sich hinter das Lenkrad fallen – unfähig, das Fahrzeug in Betrieb zu nehmen.
Jemand klopfte an die Seitenscheibe. Torben erschrak und öffnete das Fenster. Dr. Thomas Rüsch, der Chefanästhesist, beugte sich zu ihm herunter. „Kann ich irgend etwas für Sie tun, Herr Kollege?“, fragte er.
„Nein“, antwortete Torben heiser.
„Sind Sie sicher?“ fragte Dr. Rüsch zweifelnd.
„Ja.“
„Ist alles in Ordnung?“
„Ja, alles bestens.“
Obwohl Dr. Rüsch (in der Klinik nannte man ihn Onkel Tom, weil er zu allen Schwestern „Kindchen“ zu sagen pflegte) nicht davon überzeugt war, nickte er, richtete sich auf, zuckte mit den Schultern, sagte „Tja, dann …“, wünschte Torben einen schönen Abend und ging seiner Wege.
In Torben Lorentz’ Kopf überschlugen sich die Gedanken, und je intensiver er über seine Situation nachdachte, desto mehr geriet er in Panik.
Seine Überlegungen machten sich selbständig und liefen in die verkehrte Richtung. Er kam zu völlig falschen Schlüssen, die zu äußerst bedenklichen Reaktionen zu führen drohten.
Wenn er die hunderttausend Mark auftrieb – wer garantierte ihm, dass der Erpresser nicht weitermachte und ihn schon bald wieder zur Kasse bat?
Der Gedanke, Nicola könnten die abstoßenden Fotos in die Hände fallen, machte ihn wahnsinnig. War es da verwunderlich, dass er in einer dermaßen vertrackten Lage völlig falsch reagierte?
In ihm kam der heftige Wunsch auf, zu fliehen, fortzulaufen von all diesen Widerwärtigkeiten, sich vor der gesamten Welt zu verstecken. Obwohl er nichts für das konnte, was man ihm angetan hatte, schämte er sich ganz entsetzlich.
Wenn Nicola die Fotos sieht, macht sie auf der Stelle Schluss mit mir, dachte er. Sie würde mir nicht glauben, dass ich nicht bei Besinnung war, als die Aufnahmen entstanden. Jesus, warum muss es so schlechte, niederträchtige und durchtriebene Menschen geben?
Torben verstrickte sich in Hirngespinste, die ihn nicht mehr rational denken ließen.
Er fuhr nach Hause. Dass er dabei keinen Unfall verschuldete, war nicht ihm, sondern der Aufmerksamkeit der anderen Verkehrsteilnehmer zu verdanken.
Er puppte sich total ein in seinen Wahn und machte Fehler um Fehler. Er setzte sich hin und schrieb einen langen Brief an Nicola, in dem er sie bat, ihn zu vergessen, weil er nach reiflicher Überlegung zu der Erkenntnis gekommen sei, dass er nicht der richtige Mann für sie wäre.
Anschließend rief er Dr. Ulrich Seeberg privat an und log ihm etwas von einem einmaligen Angebot vor, das er unbedingt annehmen wolle.
Angeblich sollte er die Leitung der Humboldt-Klinik in Hannover übernehmen, und da er sich auf diese große Aufgabe optimal vorbereiten wollte, bat er Ulrich Seeberg, ihn mit sofortiger Wirkung zu beurlauben.
Dr. Seeberg sagte, er würde ihm nichts in den Weg legen, er solle aber in den nächsten Tagen zu einer gründlicheren Aussprache in seine Klinik kommen.
Torben versprach es, obwohl er wusste, dass er da nie mehr erscheinen würde. Er dachte in seiner Einbildung wirklich, alle Brücken hinter sich abbrechen und sang- und klanglos von der Bildfläche verschwinden zu können. Er hielt das tatsächlich für die allerbeste Lösung, begriff nicht, wie weh er Nicola mit seinem Brief tat, und wie sehr er Freunde und Kollegen mit seinem verrückten Verhalten vor den Kopf stieß. In seinem Gehirn funktionierte einfach nichts mehr richtig.
27
Als Dr. Sven Kayser von Torbens wirrer Handlungsweise erfuhr, griff er zum Telefon und rief Dr. Heinrich C. Fischer, den Leiter der Humboldt-Klinik in Hannover, an, mit dem er zufällig sehr gut bekannt war. Sie waren einander auf mehreren Ärztekongressen begegnet und liefen sich bei solchen Gelegenheiten immer wieder über den Weg.
Im Verlaufe dieses Telefonats stellte sich heraus, dass Dr. Fischer nicht die Absicht hatte, seinen Platz zu räumen – weder für Dr. Torben Lorentz noch für sonst jemanden. Er war so alt wie Dr. Kayser und wollte die Klinik noch mindestens fünfzehn Jahre leiten.
„Wie kommt der Mann dazu, sich so eine närrische Lüge einfallen zu lassen?“, fragte Dr. Fischer. „Man kann seine Angaben doch jederzeit ganz leicht nachprüfen, auch wenn man nicht so gut bekannt ist wie wir beide.“
Sven Kayser seufzte. „Irgend etwas muss ihn geistig ziemlich verwirrt haben.“
„Er ist Chirurg?“
„Ja.“
„Man sollte ihn in der Seeberg-Klinik bis auf Weiteres an der Ausübung seines Berufs hindern.“
„Das ist nicht nötig“, entgegnete Dr. Kayser. „Er ist nämlich spurlos verschwunden, nachdem er seinen Chef gebeten hatte, ihn zu beurlauben.“
Nach diesem Gespräch mit Heinrich Fischer fuhr Sven Kayser zu Nicola Sperling, die ihm mit rotgeweinten Augen Torbens Brief zeigte.
„Warum