Schwester! Können Sie mal eben kommen?. Daniela Triebsch
Inkrafttreten des Pflegestärkungsgesetzes II am 1. Januar 2016 kamen schrittweise Veränderungen. 2017 wurde ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt. Dieser betrachtet die Selbstständigkeit und die Fähigkeiten eines pflegebedürftigen Menschen. Es geht also weniger um die somatische Sichtweise. Mit dem Neuen Begutachtungsassessment (NBA) wird gemessen, was der pflegebedürftige Mensch noch kann. Dabei wird der Grad der Selbstständigkeit in sechs pflegerelevanten Bereichen erhoben. Der Betreuungsbedarf von Menschen mit kognitiven oder psychischen Einschränkungen findet Berücksichtigung. Je nach Einschränkungen der Selbstständigkeit werden Pflegebedürftige einem der fünf Pflegegrade zugeordnet. Die bisherigen drei Pflegestufen wurden abgeschafft, mit ihnen die alten Leistungssätze. Durch die neuen Leistungssätze profitieren vor allem pflegebedürftige Menschen mit Demenz. Personen, die einem niedrigen Pflegerad zugeordnet sind und stationär untergebracht werden, erhalten weniger Zuschuss, denn es wird die Versorgungsform ambulant vor stationär angestrebt.
Um weiterhin Verbesserungen zu erzielen, können vollstationäre Einrichtungen einen Antrag auf Vergütungszuschläge zusätzlicher Pflegestellen stellen. Der Anspruch auf Vergütungszuschläge richtet sich nach der Einrichtungsgröße. Voraussetzung ist, dass der*die Antragsteller*in über zusätzliches Personal verfügt, dieses also über dem Personalstand liegt, der vorgehalten werden muss. Ein Großteil der ca. 13 000 zusätzlichen Pflegestellen, die nach Festlegungen des GKV-Spitzenverbandes nach § 8 Absatz 6 SGB XI pauschal aus Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung und durch die private Pflege-Pflichtversicherung finanziert werden, ist bis heute nicht besetzt. Das mag daran liegen, dass die Antragstellung komplex und die Voraussetzungen, um einen Antrag stellen zu können, nicht immer erfüllt sind.
Um die Pflegesituation in Deutschland zu verbessern, wurde im Juli 2018 die parteiübergreifende Konzertierte Aktion Pflege ins Leben gerufen, in der auch unser momentaner Bundesminister für Gesundheit Jens Spahn involviert war.
Es wurden unterschiedliche Initiativen besprochen und entsprechende Maßnahmen in die Wege geleitet, um bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege zu schaffen. Die einzelnen Maßnahmen können Sie im Abschlussbericht der Konzertierten Aktion Pflege nachlesen. Drei Punkte möchte ich hier aufgreifen:
☉ Gewinnung von Pflegefachkräften aus dem Ausland: Ganz ohne Fachkräfte aus dem Ausland geht es meiner Ansicht nach leider nicht. Man muss jedoch die sprachlichen und kulturellen Unterschiede beachten. Es braucht Zeit, bis die Menschen integriert sind, und erst dann können sie meiner Ansicht nach als kompetente Pflegefachkräfte in Deutschland agieren.
☉ Bessere Entlohnung: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales teilte im Januar 2020 mit, dass die Pflegekommission eine Anhebung des Mindestlohns und mehr Urlaubstage für Beschäftige in der Pflege beschlossen hat. Pflegefachkräfte sollen zum 1. Juli 2021 einen einheitlichen Mindestlohn in Höhe von 15 Euro pro Stunde erhalten. Ab April 2022 soll dieser auf 15,40 Euro pro Stunde angehoben werden. Auch Pflegehilfskräfte können sich über Lohnerhöhungen freuen. Über Tarifverträge wird aktuell weiterverhandelt. Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung.
☉ Investitionen in Digitalisierung: Um die Digitalisierung in der Pflege voranzutreiben und dadurch, langfristig gesehen, Entlastung in bürokratischen Angelegenheiten zu erfahren, haben Pflegeeinrichtungen die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung zu erhalten. Je nach Anschaffung digitaler Ausrüstungen beläuft sich diese auf bis zu 12 000 Euro.
Des Weiteren wurden durch das im Jahr 2017 verkündete Pflegeberufegesetz die drei Ausbildungen in der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege sowie der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege zu einer Ausbildung, der generalistischen Pflegeausbildung, „zusammengelegt“. Mit einer Informations- und Öffentlichkeitskampagne für die neue Ausbildung wurde im Oktober 2019 gestartet.
Es wurden Maßnahmen zur Entbürokratisierung getroffen und ein neues Prüfsystem zur Erfassung der Ergebnisqualität auf den Weg gebracht.
Es ist also nicht so, dass nichts passiert ist. Das Problem wurde jedoch noch nicht bei den Wurzeln gepackt. Solange in der Pflege die Möglichkeit besteht, gewinnfokussiert zu agieren, wird der Pflegenotstand trotz aller Bemühungen nicht zu beheben sein.
Pflege als gesellschaftliche Herausforderung
Die Pflegemissstände sind nahezu allen bekannt, wenn nicht direkt, dann über Berichterstattungen der Medien. Dass Pflege zum Thema wurde, lag u. a. daran, dass einige mutige Leute geschildert haben, wie die Pflegesituation tatsächlich aussieht. Beispielsweise wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2017 von einem Auszubildenden der Gesundheits- und Krankenpflege in der ARD-Wahlarena mit den Missständen konfrontiert. Verschiedene Parteien haben folglich das Thema Pflege auf ihre Wahlkampfagenda gesetzt. Nach und nach scheint das Thema jedoch wieder an Präsenz zu verlieren. Woran liegt das?
Die breite Berufsgruppe der Pflegenden schaut einfach nur zu. Der Großteil wird nicht aktiv. Im privaten Bereich und in sozialen Netzwerken wird sich zwar heftig über die Situation beklagt, Veränderungen in ihrem Denken und Tun nehmen sie jedoch nicht vor. Ich denke, dass vielen Pflegenden nicht bewusst ist, welche Kraft, Veränderungen zu erzielen, sie hätten, wenn sie sich organisieren und gemeinsam aktiv werden würden. Dann müssten die Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen verbessern. Offensive, mutige Pflegekräfte werden häufig gemobbt und aus der Pflege rausgeekelt, anstatt Unterstützung zu erfahren. Angst, das gewohnte Milieu verlassen zu müssen, kann ein Grund für das Verhalten sein.
Aber auch Leitungskräfte in der Pflege sind nicht unschuldig. Sie lassen sich teils in Strukturen pressen und erwarten von ihren Pflegekräften Unmögliches – perfekte Pflege bei niedriger Personaldichte beispielsweise. Bei manchen geht es sogar, wie schon angesprochen, um Gewinn und nicht um die Menschenwürde.
Und auch die Politik müsste sich folglich ernsthaft dem Thema stellen – nur:
Warum auch? Es läuft doch.
Die Politik steht in der Verantwortung, einen Rahmen zu schaffen, der gute Pflege ermöglicht. Doch die vereinzelten Aufschreie sind noch gut zu überhören und der völlige Pflegekollaps ist noch nicht greifbar genug.
Tatsache ist, dass es Fälle in der Pflege gibt, in denen gegen Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoßen wird: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Von würdevollem Handeln kann nicht die Rede sein, wenn z. B. einer Bewohnerin bzw. einem Bewohner Essen in den Mund „geschoben“ wird, obwohl diese*r nicht essen möchte.
Dass Menschen, die krank und hilfebedürftig sind, leiden müssen, scheint nicht zu reichen, um das Steuer in die Hand zu nehmen. Wenn die Politik das nämlich tun würde, wären die Aufschreie von Personen, die viel Geld mit der Ausbeutung von Pflegenden verdienen, sehr laut. Und diese Personengruppe scheint eine große Lobby zu haben und entsprechend stark ist der Einfluss auf politische Geschehnisse.
Die Gesellschaft muss über die Pflege sprechen und nicht nur dann, wenn wieder ein Missstand in einem Pflegeheim aufgedeckt wurde. Es muss verstanden werden, dass nicht der Pflegeberuf als solcher schlecht ist, sondern die erschaffenen Rahmenbedingungen. Da viele mit dem Thema Pflege konfrontiert sind oder in Zukunft sein werden, ist es die Aufgabe jeder einzelnen Person, sich für bessere Bedingungen einzusetzen. Wenn nicht aus eigenem Interesse, dann vielleicht aus Zivilcourage oder Nächstenliebe. Das kann z. B. in Form von politischem Engagement, Nachbarschaftshilfe oder ehrenamtlichen Tätigkeiten im Pflegegebereich geschehen. Wem das zu viel Zeit und Kraft abverlangt, der sollte zumindest an seiner wertschätzenden