Rubinrot. Керстин Гир

Rubinrot - Керстин Гир


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Soße über die Schuluniform zu kippen. Das Besteck schepperte zu Boden, den Teller konnte ich gerade noch festhalten.

      »Das Zeug schmeckt ohnehin wie schon mal vom Boden aufgewischt«, sagte meine Freundin Leslie, während ich die Schweinerei notdürftig beseitigte. Natürlich schauten alle zu mir herüber. »Wenn du willst, kannst du dir meine Portion gerne auch noch auf die Bluse schmieren.«

      »Nein, danke.« Die Bluse der Schuluniform von Saint Lennox hatte zwar zufälligerweise die Farbe von Kartoffelpüree, trotzdem fiel der Fleck unangenehm ins Auge. Ich knöpfte die dunkelblaue Jacke darüber zu.

      »Na, muss die kleine Gwenny wieder mal mit ihrem Essen spielen?«, sagte Cynthia Dale. »Setz dich bloß nicht neben mich, Schlabbertante.«

      »Als ob ich mich freiwillig neben dich setzen würde, Cyn.« Leider passierte mir öfter ein kleines Missgeschick mit dem Schulessen. Erst letzte Woche war mir eine grüne Götterspeise aus ihrer Alu-Form gehüpft und zwei Meter weiter in den Spaghetti Carbonara eines Fünftklässlers gelandet. Die Woche davor war mir Kirschsaft umgekippt und alle am Tisch hatten ausgesehen, als hätten sie die Masern. Und wie oft ich die blöde Krawatte, die zur Schuluniform gehörte, schon in Soße, Saft oder Milch getunkt hatte, konnte ich gar nicht mehr zählen.

      Nur schwindelig war mir dabei noch nie gewesen.

      Aber wahrscheinlich hatte ich mir das nur eingebildet. In letzter Zeit war bei uns zu Hause einfach zu viel von Schwindelgefühlen die Rede gewesen.

      Allerdings nicht von meinen, sondern denen meiner Cousine Charlotte, die, wunderschön und makellos wie immer, neben Cynthia saß und ihren Kartoffelbrei löffelte.

      Die ganze Familie wartete darauf, dass Charlotte schwindelig wurde. An manchen Tagen erkundigte sich Lady Arista – meine Großmutter – alle zehn Minuten, ob sie etwas spüre. Die Pause dazwischen nutzte meine Tante Glenda, Charlottes Mutter, um haargenau das Gleiche zu fragen.

      Und jedes Mal, wenn Charlotte verneinte, kniff Lady Arista die Lippen zusammen und Tante Glenda seufzte. Manchmal auch umgekehrt.

      Wir anderen – meine Mum, meine Schwester Caroline, mein Bruder Nick und Großtante Maddy – verdrehten die Augen. Natürlich war es aufregend, jemanden mit einem Zeitreise-Gen in der Familie zu haben, aber mit den Jahren nutzte sich das doch merklich ab. Manchmal hatten wir das Theater, das um Charlotte veranstaltet wurde, einfach über.

      Charlotte selber pflegte ihre Gefühle hinter einem geheimnisvollen Mona-Lisa-Lächeln zu verbergen. An ihrer Stelle hätte ich auch nicht gewusst, ob ich mich über fehlende Schwindelgefühle freuen oder ärgern sollte. Na ja, um ehrlich zu sein, ich hätte mich vermutlich gefreut. Ich war eher der ängstliche Typ. Ich hatte gern meine Ruhe.

      »Früher oder später ist es so weit«, sagte Lady Arista jeden Tag. »Und dann müssen wir bereit sein.«

      Tatsächlich war es nach dem Mittagessen so weit, im Geschichtsunterricht bei Mr Whitman. Ich war hungrig aus der Cafeteria aufgestanden. Zu allem Überfluss hatte ich nämlich ein schwarzes Haar im Nachtisch – Stachelbeerkompott mit Vanillepudding – gefunden und war mir nicht sicher gewesen, ob es sich um mein eigenes oder das einer Küchenhilfe gehandelt hatte. So oder so war mir der Appetit vergangen.

      Mr Whitman gab uns den Geschichtstest zurück, den wir letzte Woche geschrieben hatten. »Offenbar habt ihr euch gut vorbereitet. Besonders Charlotte. Ein A plus für dich.«

      Charlotte strich sich eine ihrer glänzenden roten Haarsträhnen aus dem Gesicht und sagte »Oh«, als ob das Ergebnis eine Überraschung für sie sei. Dabei hatte sie immer und überall die besten Noten.

      Aber Leslie und ich konnten diesmal auch zufrieden sein. Wir hatten beide ein A minus, obwohl unsere »gute Vorbereitung« darin bestanden hatte, uns die Elizabeth-Filme mit Cate Blanchett auf DVD anzuschauen und dazu Chips und Eis zu futtern. Allerdings hatten wir im Unterricht immer gut aufgepasst, was in anderen Fächern leider weniger der Fall war.

      Mr Whitmans Unterricht war einfach so interessant, dass man gar nicht anders konnte, als zuzuhören. Mr Whitman selber war auch sehr interessant. Die meisten Mädchen waren heimlich oder auch unheimlich in ihn verliebt. Und Mrs Counter, unsere Erdkundelehrerin, ebenfalls. Sie wurde jedes Mal knallrot, wenn Mr Whitman an ihr vorbeiging. Er sah aber auch verboten gut aus, da waren sich alle einig. Das heißt alle, außer Leslie. Sie fand, Mr Whitman sähe aus wie ein Eichhörnchen aus einem Trickfilm.

      »Immer wenn er mich mit seinen großen braunen Augen anguckt, will ich ihm Nüsse geben«, sagte sie. Sie ging sogar so weit, die aufdringlichen Eichhörnchen im Park nicht mehr Eichhörnchen zu nennen, sondern nur noch »Mr Whitmans«. Dummerweise war das irgendwie ansteckend und mittlerweile sagte ich auch immer: »Ach guck doch mal da, ein dickes, kleines Mr Whitman, wie süß!«, wenn ein Eichhörnchen näher hüpfte.

      Wegen dieser Eichhörnchensache waren Leslie und ich sicher die einzigen Mädchen in der Klasse, die nicht für Mr Whitman schwärmten. Ich versuchte es immer wieder mal (schon weil die Jungen in unserer Klasse irgendwie alle total kindisch waren), aber es half nichts, der Vergleich zu einem Eichhörnchen hatte sich unwiderruflich in meinem Gehirn eingenistet. Und niemand hegt romantische Gefühle für ein Eichhörnchen!

      Cynthia hatte das Gerücht in die Welt gesetzt, Mr Whitman habe neben dem Studium als Model gearbeitet. Als Beweis hatte sie eine Reklame-Seite aus einem Hochglanzmagazin ausgeschnitten, in dem ein Mann, der Mr Whitman nicht unähnlich sah, sich mit einem Duschgel einseifte.

      Außer Cynthia glaubte allerdings niemand, dass Mr Whitman der Duschgel-Mann sei. Der hatte nämlich ein Grübchen im Kinn und Mr Whitman nicht.

      Die Jungen aus unserer Klasse fanden Mr Whitman nicht so toll. Vor allem Gordon Gelderman konnte ihn nicht ausstehen. Bevor Mr Whitman an unsere Schule gekommen war, waren die Mädchen aus unserer Klasse nämlich alle in Gordon verliebt gewesen. Ich auch, wie ich leider zugeben muss, aber da war ich elf Jahre alt gewesen und Gordon irgendwie noch ganz niedlich. Jetzt, mit sechzehn, war er nur noch doof. Und seit zwei Jahren in einer Art Dauer-Stimmbruch. Leider hielt ihn das abwechselnde Gekiekse und Gebrumme nicht davon ab, ständig blödes Zeug zu reden.

      Er regte sich schrecklich über sein F im Geschichtstest auf. »Das ist diskriminierend, Mr Whitman. Ich habe mindestens ein B verdient. Nur weil ich ein Junge bin, können Sie mir keine schlechten Noten geben.«

      Mr Whitman nahm Gordon den Test wieder aus der Hand und blätterte eine Seite um. »Elisabeth I. war so krass hässlich, dass sie keinen Mann abbekam. Sie wurde deshalb von allen die hässliche Jungfrau genannt«, las er vor.

      Die Klasse kicherte.

      »Ja und? Stimmt doch«, verteidigte sich Gordon. »Ey, die Glupschaugen, der verkniffene Mund und voll die bescheuerte Frisur.«

      Wir hatten die Gemälde mit den Tudors darauf in der National Portrait Gallery gründlich studieren müssen und tatsächlich hatte die Elisabeth I. auf den Bildern wenig Ähnlichkeit mit Cate Blanchett. Aber erstens fand man damals vielleicht schmale Lippen und große Nasen total schick und zweitens waren die Klamotten wirklich super. Und drittens hatte Elisabeth I. zwar keinen Ehemann, aber jede Menge Affären – unter anderem eine mit Sir .. . wie hieß er noch gleich? Im Film wurde er von Clive Owen gespielt.

      »Sie nannte sich selber die jungfräuliche Königin«, sagte Mr Whitman zu Gordon. »Weil. . .« Er unterbrach sich. »Ist dir nicht gut, Charlotte? Hast du Kopfschmerzen?«

      Alle sahen zu Charlotte hinüber. Charlotte hielt sich den Kopf. »Mir ist nur. . . schwindelig«, sagte sie und sah mich an. »Alles dreht sich.«

      Ich holte tief Luft. Es war also so weit. Unsere Großmutter würde entzückt sein. Und Tante Glenda erst.

      »Oh, cool«, flüsterte Leslie neben mir. »Wird sie jetzt durchsichtig?« Obwohl Lady Arista uns von klein auf eingetrichtert hatte, dass wir unter gar keinen Umständen mit irgendjemandem über die Vorkommnisse in unserer Familie reden dürften, hatte ich für mich selber beschlossen, dieses Verbot bei Leslie zu ignorieren. Schließlich war sie meine allerbeste Freundin und allerbeste Freundinnen haben keine


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