Die Zuckermeister (2). Die verlorene Rezeptur. tanja Voosen

Die Zuckermeister (2). Die verlorene Rezeptur - tanja Voosen


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– bei dem Namen der Süßigkeit nicht weiter verwunderlich.

      Die drei Kreidestücke hatten die Farbe von Elfenbein und schimmerten ein wenig durchsichtig. In der Mitte jeder Zuckerkreide war ein filigranes Kompass-Symbol eingeritzt. Doch dieses zeigte nicht die üblichen Himmelsrichtungen, mit N, O, S und W im Uhrzeigersinn, sondern andere Buchstaben. Nämlich B, S, B und S. Vielleicht stand das ja für »bitter« und »süß«, auch wenn das keine Wegweiser waren.

      Charlie und Robin betrachteten fasziniert die Zuckerkreide und auch Elina staunte über die funkelnd-durchsichtige Beschaffenheit der magischen Süßigkeit.

      »Ihr müsst euch im Tunnel nicht fürchten«, fuhr Herr Schnotter fort. »Die Zwischenwander-Zuckerkreide leuchtet im Dunkeln.«

      »Und wie benutzen wir die?«, fragte Elina neugierig.

      »Das zeige ich euch gleich.« Er musterte die drei. »Jedoch müsst ihr mir vorher, wie gesagt, etwas versprechen. Hört bitte zu jeder Zeit auf mich und entfernt euch nie allzu weit von mir. Am wichtigsten ist aber, dass ihr euch unauffällig verhaltet. Niemand darf merken, dass Elina und Charlie keine Süßigkeitenwerker sind.«

      »Ist es gefährlich dort für die beiden?«, fragte Robin besorgt.

      »Nein«, sagte Herr Schnotter. »Nicht direkt gefährlich.« Er zögerte. »Zu der Allee haben jedoch nur Süßigkeitenwerker Zutritt und wir möchten schließlich nicht, dass die Zuckermeister von unserem Ausflug erfahren, richtig?«

      Charlie, Robin und Elina nickten zustimmend.

      »Gut«, sagte Herr Schnotter. Er überreichte Elina das Kästchen, damit er sich wieder auf seinen Gehstock stützen konnte, und ging los. »Folgt mir.«

      Beim Betreten des Tunnels spürte Elina einen kühlen Windzug, der sie frösteln ließ. Zwar war es hier nicht so düster-unheimlich, wie Charlie gemeint hatte, aber dennoch sah Elina alles nur schemenhaft. Sie war froh, als die Zuckerkreide im offenen Kästchen zu leuchten begann und ihnen wie eine gedämpfte Taschenlampe Licht spendete. Die Innenwände des Tunnels bestanden aus dunklen Steinen und jeder ihrer Schritte hallte wider, als befänden sie sich in einer unterirdischen Tropfsteinhöhle. Aber irgendwie lag ein Prickeln in der Luft, das Elina durch Mark und Bein ging, fast wie eine Art magischer Energie, die auf ihrer Haut knisterte.

      Irgendwann blieb Herr Schnotter stehen und lehnte seinen Gehstock gegen die Mauer. Elina trat vor, sodass er eine Zwischenwander-Zuckerkreide aus dem Kästchen herausnehmen konnte. Nachdem er das Kästchen wieder in seiner Tasche hatte verschwinden lassen, wurde es ein wenig dunkler. Elina runzelte verwundert die Stirn, als er die Zuckerkreide in kleine Stücke brach und diese an sie verteilte – nun hatte jeder einen Teil der Zwischenwander-Zuckerkreide zwischen den Fingern.

      »Bewahrt euer Stück unbedingt für die Rückreise auf«, mahnte er. Dann führte er die Zuckerkreide zum Mund. »Seht genau zu und macht es mir nach.« Er leckte die Spitze der Zuckerkreide ab, als wäre sie ein Lutscher, und sie leuchtete nun glühend hell auf. Das tat er einige Male und wandte sich schließlich der Tunnelwand zu. Mit dem Rest der Zuckerkreide schrieb er zwei Worte auf die dunklen Steine: Bittersüße Allee.

      »Wir sehen uns auf der anderen Seite. Lasst euch nicht ewig Zeit!«, drängte Herr Schnotter und griff nach seinem Gehstock. Elina beobachtete, wie er seine freie Hand auf die Tunnelwand legte, dann ertönte ein schmatzendes Geräusch, das wie eine zerplatzende Kaugummiblase klang, und Herr Schnotter war verschwunden.

      Elina traute ihren Augen kaum. Wie bei einem Zuckerrausch begann alles in ihr vor Aufregung zu kribbeln und sie konnte nicht länger stillstehen. Das musste sie selbst erleben! »Nichts wie hinterher!«

      Sie machte dasselbe wie Herr Schnotter: Vorsichtig schleckte sie das Ende der Zuckerkreide ab und – wow! Die Zwischenwander-Zuckerkreide schmolz auf ihrer Zunge zu einem Puder zusammen, das herrlich sauer-süß schmeckte und ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Sie wurde von einem wohligen Gefühl überwältigt, das ihr bis in die Zehenspitzen schoss. Ihr ganzer Mund prickelte von dem Geschmack, als sie hastig die Worte Bittersüße Allee an die Tunnelwand schrieb. Mit dem kleinen stummeligen Zuckerkreidestück gar nicht so einfach! Neben ihr war Robin bereits mit einem ebenso lauten Plopp! wie Herr Schnotter weg.

      Elina steckte rasch den Rest der Zuckerkreide ein und sah zu Charlie, die auch gerade fertig geworden war und freudig rief: »Auf in die magische Allee!«

      Zeitgleich legten sie ihre Hände auf die Tunnelwand. Elina spürte, wie sich eine angenehme Wärme über sie legte, und jetzt kribbelte nicht mehr alles nur vor Aufregung, sondern auch vor lauter Magie! Vor ihren Augen begann der Tunnel zu verschwimmen. Elina hörte zweimal das laute Kaugummiblasen-Geräusch und schon tauchte sie gemeinsam mit Charlie in die Dunkelheit des Zwischenwanderpfads ein.

      Magie und Wunder und alles dazwischen – Elina war so was von bereit dafür! Sie hatte jedoch nicht mit der stinknormalen Gasse voller Plakate und Mülltonnen gerechnet, in der sie gelandet waren. Bittersüße Allee? Wohl eher Gammel-Gasse!

      Da vorne lag sogar ein leeres Pommes-Schiffchen auf dem Boden …

      Nie im Leben war das der magische Ort, von dem Herr Schnotter gesprochen hatte!

      Charlie schaute auch dumm aus der Wäsche.

      »Ihr müsst ziemlich überwältigt sein. Braucht ihr einen Moment?«, fragte Herr Schnotter.

      Elina sah vom fröhlichen Herrn Schnotter zu Robin, der staunend irgendwas anstarrte. Ob sie sich beim Reisen auf den Zwischenwanderpfaden irgendwo den Kopf angeschlagen und nun eine verkehrte Welt-Wahrnehmung hatte?

      »Was ist denn mit denen los?«, meinte Charlie.

      Herr Schnotter und Robin gingen ans Ende der Gasse, die auf einen riesigen Platz hinausführte, wo keine Menschenseele außer ihnen war. Zögerlich folgten Charlie und Elina ihnen und tauschten dabei verwirrte Blicke. Hier war doch gar nichts!

      »Charlie, Elina, seht mal!«, rief Robin begeistert.

      Elina folgte seinem Fingerzeig. Eine Taube sauste durch die Luft.

      »Glaubst du, er weint vor Freude, wenn sie ihm auf den Kopf kackt?«, fragte Charlie.

      Elina kicherte. »Irgendwas stimmt hier nicht. Ähm, Herr Schnotter?« Sie fasste den alten Herrn am Ärmel. »Charlie und ich sehen absolut nichts Magisches.«

      »Oh, natürlich!«, rief dieser. »Ohne ein Talent ist es schwer für euch, die Magie zu sehen, das hatte ich komplett vergessen … gut, schließt eure Augen.«

      Elina sah, wie Charlie die Augen schloss, und tat es ihr nach.

      »Ihr müsst wissen, magische Orte können nur von jenen gesehen werden, die von ganzem Herzen an Magie glauben«, sagte Herr Schnotter. »Jede von euch sollte jetzt an den ersten Moment denken, in dem sie wirklich und wahrhaftig an Magie geglaubt hat. Das dürfte helfen, die Sichere Sicht, die auf der Allee liegt, zu durchbrechen.«

      »Das ist alles?«, fragte Charlie.

      »Shh!«, machte Elina. Sie ging tief in sich und durchwühlte ihre Erinnerungen. Wann hatte sie wirklich und wahrhaftig das erste Mal an Magie geglaubt? Nach Charlies Verzauberung waren allerhand merkwürdige Dinge geschehen, Charlie war sogar ganz grün geworden und Elina hatte nicht mehr leugnen können, dass es den Fluch gab. Vielleicht als sie das erste Mal eine magische Süßigkeit gegessen hatte?

      Na klar! Als sie gemeinsam mit Charlie und Robin den singenden Brief geöffnet und sein Lied gehört hatte! Sie lächelte in sich hinein. Sie hatte sich gefühlt, als würde sie aus einem Traum erwachen … nach all den Schwierigkeiten, die ihnen der Bitterling eingebracht hatte, war die Magie in diesem Moment so einnehmend und schön gewesen, dass Elina allein bei der Erinnerung daran Glück verspürte.

      Danach hatte Elina etwas wahrhaft Gutes in der Magie gesehen.

      Langsam,


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