Die Buchwanderer. Britta Röder

Die Buchwanderer - Britta Röder


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      Britta Röder

       Die Buchwanderer

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       Röder, Britta: Die Buchwanderer, Hamburg, ACABUS Verlag 2011

      Originalausgabe

      PDF-ebook: ISBN 978-3-86282-018-4

      ePub-ebook: ISBN 978-3-86282-117-4

      Print (Paperback): ISBN 978-3-86282-017-7

      Lektorat: Annika Bauer, ACABUS Verlag

      Umschlaggestaltung: Annika Bauer, ACABUS Verlag

      Covermotiv: © magann - Fotolia.com, © Sergej Razvodovskij - Fotolia.com

       Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

      http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      Der ACABUS Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH,

      Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

      © ACABUS Verlag, Hamburg 2011

      Alle Rechte vorbehalten.

       http://www.acabus-verlag.de

      eBook-Herstellung und Auslieferung:

       readbox publishing, Dortmund

       www.readbox.net

      Für meine zwei Lieblingsmenschen

      „Der Mensch ist nichts anderes als sein Entwurf,

      er existiert nur in dem Maße, in welchem er sich verwirklicht.“

      Jean-Paul Sartre

      franz. Schriftsteller und Philosoph, 1905-1980

       Teil I: Verona

       1

      uf dem Weg zu einer Verabredung, die er an diesem Tag jedoch nicht mehr einhalten sollte, saß Ron in der Straßenbahn und sah aus dem Fenster. Er war neu in der Stadt und kannte daher noch niemanden. Gerade deshalb war ihm das unverhoffte Angebot seines Cousins Magus, mit ihm zu Mittag zu essen, sehr gelegen gekommen.

      Die letzte Begegnung mit Magus lag mehr als fünfzehn Jahre zurück und hatte auf dem Geburtstag irgendeiner gemeinsamen Großtante stattgefunden. Wohl hatten sein gutmütiger Charakter und ein unbestimmtes familiäres Pflichtgefühl Magus dazu veranlasst, den inzwischen erwachsen und völlig fremd gewordenen Ron einzuladen, um ihn zuerst durch die opulente Speisekarte seines Lieblingsitalieners und anschließend durch das überschaubare Zentrum seiner Heimatstadt zu führen. Ron erinnerte sich nicht besonders gut an Magus und befand, dass dies im Augenblick eindeutig zu dessen Gunsten sprach, da sich schlechte Eigenschaften in der Regel stärker ins Gedächtnis brannten als vermeintlich gute.

      Etwas müde ließ Ron seinen Blick durch die große Fensterscheibe der Straßenbahn gleiten. An den Anblick der fremden Häuser würde er sich schnell gewöhnen. Städte glichen einander in vielerlei Belangen so sehr, dass man sich überall fremd oder heimisch fühlen konnte, unabhängig davon, ob man wirklich darin zu Hause war oder nicht. Der Umzug in diese Stadt war reibungslos verlaufen. Seine neue Wohnung war klein, aber zentral gelegen. Die Umgebung war reizlos, aber obwohl er sich vorgenommen hatte, sie nur als eine Übergangslösung zu betrachten und die Probezeit seines neuen Jobs abzuwarten, wusste er bereits, dass er hier länger hängen bleiben würde als „vorübergehend“ eigentlich bedeutete. Denn Gewohnheit und Bequemlichkeit konnten selbst die offensichtlichste Reizlosigkeit entwaffnen, wenn sie, wie in diesem Fall, mit „praktisch“ und „preiswert“ einherging.

      Die Zeiger seiner Armbanduhr verrieten ihm, dass er bis zum Treffen mit Magus noch genügend Zeit haben würde, sich selbst ein wenig in der Stadt umzusehen. Überhaupt verfügte er über Zeit, wie schon lange nicht mehr. Seine Wohnungssuche war so schnell verlaufen, dass er mühelos noch einen dreiwöchigen Urlaub bis zum Beginn seines neuen Jobs hätte planen können. Doch dazu verspürte er nicht die geringste Lust. Umzug und Jobwechsel sollten vorerst einen Schlusspunkt unter eine Reihe ständiger privater Veränderungen setzten. Er wollte endlich wieder das Gefühl haben, an einem Ort anzukommen und sich fest einzurichten.

      Ohne festen Halt glitt sein Blick ins Wageninnere. Gedankenverloren musterte er die mitreisenden Fahrgäste, die wie er an diesem vorgerückten Vormittag mitten in der Woche keine besondere Eile zu haben schienen. Schüler und Rentner, Hausfrauen auf Shoppingtour, Gesichter, Jacken, Taschen, Plastiktüten, Arme, Schuhe und Frisuren reihten sich bedeutungslos aneinander. Uferlos trieben alle diese Eindrücke an ihm vorüber ohne sich zu einem bestimmten Bild zu verdichten. Erstaunt stellte er fest, wie unsympathisch und gleichgültig ihm diese fremde Umgebung mit ihren Menschen erschien. Die feindselige Kühle, mit der die Anderen seine Anwesenheit quittierten, traf ihn plötzlich empfindlich. Erschöpft schloss er die Augen, um in der dunklen Abgeschiedenheit seiner einsamen Gedanken ein wenig Halt zu finden.

      Ruckelnd beschrieb die Straßenbahn gerade eine unharmonische Kurve, als ein äußerst unsanfter Rempler ihn zurück in seine Realität stieß. Ein kantiger Rucksack hatte seine Schulter hart gestreift. Um Entschuldigung bittend drehte sich die junge Besitzerin des Rucksacks zu ihm um. Leuchtend grüne Augen trafen ihn schutzlos bis auf den tiefsten Grund seiner Seele. Smaragdaugen.

      „Tut mir leid.“ Ihre Stimme klang hell und klar.

      „Nichts passiert“, antwortete er und sprach, ohne es zu wissen, die größte Lüge seines Lebens aus. Benommen sah er ihr nach, wie sie ihm wieder den Rücken zukehrte, um ihren Weg zu einem freien Platz im vorderen Teil des Wagens fortzusetzen. Noch ein weiteres Mal stieß sie mit einem anderen Fahrgast zusammen, verschenkte ihr mädchenhaftes Lächeln, strich sich eine rotblonde Locke aus dem fein geschnittenen Gesicht und nahm schließlich mit dem Rücken zu ihm Platz. Einzelne Strähnen ihres langen Haares hatten sich aus dem locker geflochtenen Zopf gestohlen und fielen auf ihren schmalen Rücken. Sie trug Jeans und eine dunkelgrüne Bluse und Ron konnte sich gut vorstellen, dass sie auf dem Weg zu einer privaten Vormittagsverabredung oder zu einer Vorlesung in der nahe gelegenen Universität war.

      Mit einem Schlag war seine ganze Antriebslosigkeit verflogen. Seine gesamte Aufmerksamkeit richtete sich nun darauf, jedes weitere Detail der Fremden zu erhaschen. Ungeniert starrte er in ihre Richtung.

      Mit anmutiger Nachlässigkeit hob sie das schmale Gelenk ihrer Hand und schüttelte in einer fließenden, kaum sichtbaren Bewegung den weiten Ärmel ihrer Bluse nach unten, um einen Blick auf ihre Armbanduhr zu werfen. Hatte sie wirklich einen Termin oder eine Verabredung? Geduldig hob sie ihr ebenmäßiges Profil in Richtung Fenster und sah konzentriert nach draußen. An der Art, wie sie ihre schlanken Beine in Richtung Gang stellte und ihren Rucksack fester gepackt hielt, erkannte er, dass sie nun bald aussteigen würde.

      Eine leise Traurigkeit stellte sich bei ihm ein. Er wollte ihren Anblick jetzt noch nicht verlieren. Viel lieber hätte er ihre Stimme noch einmal gehört und die regelmäßigen Züge in ihrem wunderschönen Gesicht, das ihn an ein Botticelli-Gemälde erinnerte, noch eingehender studiert.

      Als die Straßenbahn anhielt und die Fremde durch die Tür nach unten auf die Straße stieg, sprang er auf und eilte ebenfalls nach draußen. Sein Entschluss, ihr zu folgen, kam so überraschend über ihn, dass er sich davon selbst völlig überrumpelt fühlte. Ausnehmend ungewöhnlich fand er sein Verhalten. Was lag da näher, mischte sich herzklopfend seine übertölpelte Logik ein, die das Geschehen noch immer etwas unbeteiligt beobachtete, wie die unerwartete Wendung in einem phantastisch-absurden Roman, als wenigstens konsequent zu bleiben und das begonnene


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