Die Buchwanderer. Britta Röder

Die Buchwanderer - Britta Röder


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ist schwer zu sagen“, seufzte Ron und fuhr sich mit einer nachdenklichen Geste an seinen neuen Bart. „Ich glaube, ich bin hier wegen einer Frau.“

      „Ach, mein Freund“, Benvolios Miene verdunkelte sich mitfühlend als spräche er mit einem Kranken. „Ihr seid verliebt?“

      „Verliebt? Es muss wohl so sein. Sonst wäre ich nicht hier.“ Die Einsicht, das Opfer eines ebenso seltsamen wie mächtigen Zufalls geworden zu sein, trübte Rons Stimmung schlagartig.

      Benvolio, der seinen neuen Freund nicht so mutlos lassen wollte, erhob eilig seinen Becher.

      „Dann trinken wir auf die baldige Erfüllung Eures Liebesglücks.“

      Doch Ron fehlte die rechte Überzeugung den Trinkspruch zu erwidern.

      „Mein Liebesglück? Dazu müsste ich sie erst einmal finden. Ja, ich müsste erst einmal wissen, wer sie überhaupt ist.“

      Benvolios sehnige Rechte umschloss mit zuversichtlichem Druck Rons Arm. „Wenn sie hier in Verona ist, dann werden wir sie finden. Glaubt mir, ich kenne mich aus mit den Schönen dieser Stadt.“

      Der Wirt brachte Teller, Besteck, riesige Schüsseln mit gut gewürztem Fleisch und delikaten Saucen, in die Benvolio genüsslich das frische Brot tunkte, ehe er es sich in den Mund steckte. Das Essen war vorzüglich und mit dem guten Gefühl eines satten Bauches empfand sich auch Ron bald wieder in seiner Zuversicht gestärkt.

      „Seht Ihr, Ronaldo, das Schicksal meint es gut mit Euch. Als Fremder kamt Ihr in die Stadt auf der fast aussichtslosen Suche nach einer schönen Unbekannten. Nun seid Ihr Gast in Verona, fandet einen treuen Freund, habt wohl gespeist und auch die Schöne werdet Ihr bald wiedersehen. Ja, ich glaube, ich kann es Euch fast sicher versprechen.“

      Beherzt lachte Benvolio über Rons überraschte Miene. Kopfschüttelnd schob er die leeren Teller zur Seite und näherte sich über den Tisch gebeugt verschwörerisch Rons ungläubigem Gesicht.

      „Ihr erinnert mich an meinen Freund Romeo. Ihr solltet, ja, Ihr werdet ihn sicher bald kennenlernen. Ein guter Mann. Eine Seele von einem Mann. Und ein Mann mit verletzter Seele. Auch ihn traf Amors Pfeil.“

      „Romeo? Ihr seid ein Freund Romeos?“

      Sofort waren Fiktion und Realität wieder zu einem dichten Nebel verwirbelt, der Rons Sinne taumeln ließ. Gerade erst hatte er kurz die Sicherheit gespürt, einen festen Weg gefunden zu haben, der es ihm erlaubte, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Nun schwand ihm wieder der Boden unter den Füßen.

      „Ihr kennt Romeo bereits?“ Benvolios Überraschung war voller Freude.

      „Oh nein, ich kenne ihn nicht, leider, noch nicht“, bemühte sich Ron, die Sache klarzustellen. Er wollte den vorgegebenen Ablauf der Handlung nicht behindern. Hoffentlich hatte er nicht schon viel zu viel durcheinandergebracht. „Ich hörte nur von ihm und seiner traurigen Liebesgeschichte“, fügte er voreilig hinzu und bereute bereits diesen letzten Satz, kaum dass der Ton seiner Stimme verklungen war. Wie unvorsichtig von ihm, das tragische Ende vorweg auszuplaudern, ohne den genauen Stand der Handlung zu kennen.

      Aber Benvolio schien keine Ungereimtheiten in Rons Rede bemerkt zu haben und nickte nur traurig.

      „Ja, die Spatzen pfeifen es bereits von den Dächern. Doch Romeo will einfach nicht zur Vernunft kommen und von Rosalia lassen.“

      „Rosalia?“

      „Die schöne Rosalia. Schön und kalt zugleich. Man sagt, sie schwor der Liebe ab und nun ist dieses Gelübde der Tod für meinen Freund Romeo, der sie so sehr liebt und so sehr deswegen leidet.“

      „Sie schwor der Liebe ab?“

      „Und nun spielt sie mit Romeo. Wie sie zuvor auch mit den Herzen anderer

      Verehrer spielte. Die glühende Bewunderung eines Mannes, die verzehrende Leidenschaft eines brennenden Herzens, die blinde Gefolgschaft einer Seele, das alles zählt ihr nichts. Sie lacht nur und vergrößert dadurch die gefährliche Waffe ihrer Schönheit, um damit ihr nächstes Opfer zu vergiften.“

      „Wow“, gab Ron beeindruckt von sich.

      „Weib?“ Benvolio hatte sich so in Rage geredet, dass er Ron nur mit halbem Ohr zuhörte. „Ja Weib! Da habt Ihr recht, Ronaldo. Ein Weib, wie es im Buche steht. Und noch viel mehr, das ist sie.“

      Rons nachdenkliches Schweigen erinnerte Benvolio daran, dass er eigentlich seinem neuen Freund versprochen hatte, ihm bei der Suche nach der schönen Unbekannten zu helfen.

      „Der gleiche Weg, der Romeo heilen wird, wird auch Euch die passende Medizin zuführen“, zwinkerte er listig. „Wollt Ihr meinen Plan hören?“

      Ron nickte.

      „Also hört, mein Freund. Durch Zufall erfuhr ich von einem Fest, das heute Abend im Hause der Capulets gegeben wird. Der halbe Adel dieser Stadt wird dort zusammenkommen. Denn wie Ihr sicher schon bemerkt habt, ist die Stadt durch eine Fehde in zwei Parteien gespalten. Das Haus des reichen Capulet ist das Haupt der einen Partei. Die andere Seite, das sind wir, die Familie Montague. Doch das tut nichts zur Sache. Dieses Fest versammelt die Hälfte der schönsten Frauen Veronas unter dem Dach des alten Hagestolzes Capulet. Eine gute Chance auch Eure schöne Unbekannte dort zu entdecken. Und meine letzte Hoffnung Romeos Herz vom Leiden an Rosalia zu heilen. Denn wenn er im Glanze dieses fürstlichen Festes die Schönheit so vieler heißblütiger Frauenherzen sieht, dann sollte ihn dies endgültig von der gefühlskalten Schönheit Rosalias heilen.“

      Ron erkannte nun nur zu gut, an welcher Stelle in diesem Drama er sich befand. Die Geschichte stand noch völlig am Anfang und er beschloss, sich rechtzeitig wieder aus dem Staub zu machen, bevor sie sich weiter zuspitzte. Wie gefährlich dieser Konflikt zwischen den Häusern werden konnte, hatte er für sein persönliches Dafürhalten bereits ausreichend erfahren. Darum nahm er sich auch zusammen und behielt seine Bedenken an diesem Plan, für Romeo ein neues Objekt der Begierde ausgerechnet im Haus seines Feindes zu suchen, für sich. Doch die Idee, im Hause Capulets nach seiner eigenen Schönen zu suchen und auch Zeuge einer solch erlesenen Festivität zu werden, reizte ihn sehr.

      „Sagtet Ihr nicht, Benvolio, das Fest sei im Hause Eures Feindes? Man wird Euch kaum einladen.“

      Benvolio lachte sein unbekümmertes Jungenlachen.

      „Wir werden um nichts bitten, was man uns nicht bieten möchte. Ungebeten laden wir uns selber ein. Im Schutz von abendlicher Dunkelheit und Maskenspiel ist unser beherztes Eintreten selbst die Einladung, die wir uns geben.“

      Erleichtert fiel Ron in Benvolios Lachen ein. Ein Kinderspiel würde es werden, da dieser eben entworfene Plan in Wahrheit bereits längst beschlossene Sache war. Vertrauensvoll gab er seine Zustimmung, bei diesem Streich dabei zu sein.

      Benvolio warf zur Bezahlung einige Münzen auf den Tisch und erhob sich. „Kommt, mein Freund, ich zeige Euch nur noch, wo wir uns heute Abend treffen und dann werden sich unsere Wege vorerst trennen, denn ich habe noch einige Geschäfte zu erledigen.“

      Seite an Seite kehrten sie zurück an den Schauplatz ihrer ersten Begegnung. Benvolio deutete mit einem dezenten Blick auf das prächtigste Gebäude am Platze, ein mit reichverzierten Fresken geschmückter Palazzo, der Ron bereits am Morgen aufgefallen war.

      „Hier ist das Haus der Capulets. Dort drüben seht Ihr die Pforte einer kleinen Kirche. Wendet Ihr Euren Schritt nach links in den schmalen Durchgang daneben, so gelangt Ihr zum Seiteneingang derselben. Dort werden wir uns treffen noch ehe die Uhr zehn geschlagen hat.“

      Sie reichten einander die Hände und Benvolio schlug Ron kameradschaftlich auf die Schulter. Ein letztes verschwörerisches Zwinkern aus seinen braunen Augen und ein munteres Lächeln aus seinem schön geschnittenen Gesicht, und Benvolio war im nachmittäglichen Trubel verschwunden.

       3

      ls


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