Die Rückseite der Wahrheit. Riccardo del Piero
Sie müssen sich wirklich nichts vorwerfen, Sie haben keinen Fehler begangen, eine ganze Ampulle zu spritzen.“
„Können die denn nicht lesen, dass nur die halbe Dosis verordnet wurde und im Kardex die volle Dosis eingetragen wurde?“, beharrte Sarah.
„Nein, sie haben mir gesagt, sowohl Zeitpunkt der Verabreichung als auch Gesamtdosis seien garantiert korrekt – und die müssen das schließlich wissen. Das habe ich dir aber auch schon hundert Mal erklärt.“
„Wollen wir es hoffen“, sagte Sarah leise.
„So, nun lass uns über Erfreulicheres reden“, meinte Fabienne beim Anstoßen. „Was hältst du davon, in den Ferien mit mir nach Schweden zu fahren?“
Der plötzliche Themenwechsel überraschte Sarah ebenso wie das unerwartete Angebot.
„Aber wolltest du nicht mit deinem Freund fahren?“, wandte sie ein.
„Ja, eigentlich. Aber unser Verhältnis hat sich stärker abgekühlt als der skandinavische Winter.“ Fabienne lachte.
„Ja dann …, warum eigentlich nicht? Ursprünglich wollte ich mit Barbara nach Griechenland, doch sie will nun nicht mehr, und ich muss diese Pläne begraben. Skandinavien ist zwar nicht ganz das Gleiche, aber ich komme sehr gerne mit dir mit, auch wenn es dort etwas kühler ist.“
„Super“, antwortete Fabienne erleichtert. „Das Dessert ist ein Vorgeschmack auf meinen geliebten Norden“, und sie holte ein Coup Danmark aus der Küche.
Sarahs Puls beruhigte sich wieder etwas, und sie lehnte sich nach dem letzten Löffel Eis zufrieden zurück.
Schwester Regulas unglaubliche Lüge beschäftigte sie jedoch noch lange, aber letztlich überwog die Freude auf die bald bevorstehenden Ferien. Dass sie eigentlich als Lückenbüßerin fungierte, verzieh sie Fabienne großzügig.
Leider sah Sarah ihren Anästhesiearzt nur noch selten. Sie erfuhr, dass er in der Augenklinik arbeitete. Falls es sich einrichten ließ, spazierte sie auf ihren Gängen durch das große Spital über diese Station oder auch am Büro der Anästhesisten vorbei. Leider ohne Erfolg. Die Kantine blieb der einzige Ort, wo auch er regelmäßig anzutreffen war, allerdings stets zu unterschiedlichen Zeiten. Falls sie ihn ab und zu in der Warteschlange erblickte, schien er sie kaum zu beachten, selbst wenn sie nahe hintereinander standen. Wenn sie grüßte, so grüßte er höflich zurück, doch viel mehr als ein „Wie geht’s“ folgte nicht mehr.
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