Ich darf nichts sagen.. Johanna E. Cosack

Ich darf nichts sagen. - Johanna E. Cosack


Скачать книгу
sommersprossiges Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen, während er eine Locke seiner rotblonden Haare wieder hinter dem Ohr befestigte. »Ich hoffe, dass Pierre heute nicht noch mal danach fragt – du kennst ihn ja.« Er betrachtete die Seiten der Präsentation, die auf Ninas Monitor geöffnet war, als ihr Telefon summte.

      Bevor sie sich melden konnte, hörte sie Michaels vertraute Stimme: »Nina, ich bin schon zu Hause und stelle dich jetzt mal auf Lautsprecher. Hör mal. Wie findest du diese Melodie?« Wie aus einer anderen Galaxie strömten die harmonischen Takte eines Klassikstücks aus dem Hörer, aber sie lauschte ungeduldig auf deren Ende.

      »Michi, das klingt wunderschön, von wem ist das?«

      Ferdi machte keine Anstalten, wieder zu seinem eigenen Schreibtisch zurückzukehren, sondern nippte genüsslich am Kaffee.

      »Baby, das ist von mir! Ich habe diese Melodie geschrieben. Heute Abend spiele ich dir das ganze Stück auf dem Flügel vor und …«

      Michael atmete hörbar tief ein.

      »Und außerdem habe ich eine riesengroße Überraschung für dich.« Er schwieg und erwartete offenbar eine Antwort. »Nina? Bist du noch dran? … okay, ich merke schon, du hast wie immer keine Zeit. Ich bitte dich, komm ein einziges Mal pünktlich heute Abend, es ist sehr wichtig … für uns beide.«

      »Schatz, ich verspreche dir, ich versuche, so schnell wie möglich zu Hause zu sein. Muss vorher noch Maxis Sachen von der Reinigung abholen und komme dann aber sofort.«

      Abrupt verstummten die Klaviertöne im Hintergrund.

      »Nina! Max ist fast siebenundzwanzig und die Reinigung ist ganz in der Nähe seiner Kfz-Werkstatt. Kann er das denn nicht selbst erledigen? Wie lange willst du deinen Bruder eigentlich noch bemuttern?«

      Nina erschrak über seinen harschen Ton und flüsterte: »Michi, ich kann jetzt nicht … bitte lass uns später weiterreden.« Schnell beendete sie das Gespräch. Es gab keine Antwort auf diese Frage.

      »Stress mit deinem Mann?« Ferdi sah sie mitfühlend an, aber erhob sich endlich und strich sein T-Shirt glatt.

      »Nein, Ferdi.« Nina schüttelte den Kopf. »Nur Kommunikationsbedarf … aber ich muss heute wirklich zeitig weg.«

      »Schon okay, Nina-Schatz. Das verstehe ich doch. Wir reden dann halt morgen über das Moodboard, und Pierre werde ich einfach heute Nachmittag noch mal vertrösten. Mach dir keine Sorgen, sondern einen schönen Abend mit deinem musikalischen Herzblatt!« Ferdi zwinkerte ihr im Weggehen aufmunternd zu und nahm den leeren Kaffeebecher wieder mit.

      Ihr von Max blitzblank geputzter Porsche quälte sich viel zu langsam durch die abendlichen Staus der Hanauer Landstraße in Richtung Nordend. Ihr Zuhause lag im zweiten Stock eines aufwendig renovierten Altbaus in der Wolfgangstraße. Vor ein paar Jahren hatte Nina Max ohne zu Zögern ein Zimmer angeboten, als der sich nach kurzer Liebelei wieder von einer Freundin trennte. Eine Entscheidung, die Michael schon längst bereute; es blieben stumme Blicke voller Vorwurf. Denn sein riesiger Flügel fand keinen Platz im Musikzimmer, wie geplant, er wanderte ins Wohnzimmer. Der schwarze Bechstein Academy war ein Geschenk seines Großvaters – und schlicht nichts anderes als Michis Lebensinhalt. Michael unterrichtete nicht nur klassische Musik an der Frankfurter Musikhochschule, er lebte sie – jede einzelne Zelle von ihm brauchte Musik und vor allem seinen Flügel zum Atmen.

      Beladen mit einem dicken Wäschepaket stürmte Nina die Treppen zu ihrer Wohnung empor. Temporeiche Akkorde eines Musikstückes empfingen sie, Michi saß wie immer am Flügel. Die Hände ihres Mannes flogen über die Klaviatur, während Michis Kopf den Bewegungen der Tempi folgte. Mit geschlossenen Augen schien er versunken in der mitreißenden Welt seiner Musik, seinem Universum.

      Als er sie bemerkte, erhob er sich sofort. Michael war über einen Kopf größer als Nina. Glattes und von ersten grauen Strähnen durchzogenes Haar umrahmte sein schmales Gesicht, in das sich tiefe Falten um die Mundwinkel eingegraben hatten. Michael liebte Rollkragenpullover. Sie spürte die weiche Kaschmirwolle an ihrer Wange und seine Hände sanft über ihren Rücken streicheln. Minutenlang verharrten sie in ihrer Umarmung, eine schützende Festung und der einzige Ort, an dem sie kurzzeitig eine Art Ruhe fand. Michi schien die Anspannung seiner Frau zu spüren. Er hielt sie fest umschlungen und stellte keine Fragen, denn er wusste, dass sie jedes Wort als einen Vorwurf gegen ihren übertriebenen Arbeitseifer verstanden hätte. Behutsam löste er sich und flüsterte ihr zu, dass er sich nur kurz um das Essen kümmerte. Dann verschwand er in der Küche.

      Nach zu vielen Büro-Tagen, die erst spät in der Nacht geendet hatten, freute Nina sich auf den Abend in der stillen Geborgenheit ihrer Zweisamkeit – und auf die versprochene Überraschung. Vielleicht ein neues Stück seiner Komposition? Heute Nachmittag hatte er ihr einen Teil daraus vorgespielt, aber Nina hatte die Melodie schon vergessen. Oder hatte Michi noch eine andere Überraschung für sie? Sie sah sich um – aber alles war wie immer. Das warme Licht einer Stehlampe fiel auf die beiden Sessel, die vor dem großen Bücherregal standen. Davor der glänzende Flügel, der durch den aufgeklappten Deckel noch imposanter wirkte. Ihr Blick wanderte weiter zum gedeckten Esstisch. Ein paar Kerzen darauf flackerten leicht, als sie sich näherte. Sie schenkte zwei Gläser Wein ein. Michael stellte eine Platte mit Antipasti auf den Tisch.

      »Bin gleich fertig, Baby. Es wird im wahrsten Sinne ein italienischer Abend … unser Abend.« Im Vorbeilaufen küsste er sie auf die Wange und verschwand wieder in die Küche.

      Obwohl das Handy nur leise klingelte, klang es in Ninas Ohren wie ein Warnsignal. Ein schneller Blick auf ihre Uhr genügte – und Nina war überzeugt, dass einer der Kollegen wie gewöhnlich eine dringende Rückfrage hatte. Nein, bitte jetzt keine Fragen mehr! Nichts sollte diesen Abend stören. Doch ein ungutes Gefühl sagte ihr, dass genau dieses Klingeln keine Arbeit bedeutete.

      Es war der Auslöser einer für sie unvorstellbaren Katastrophe. Aber Nina ahnte nicht, wie sehr der Anruf ihr Leben verändern würde. Vorsichtig griff sie zum Telefon.

      Nur Max. »Hallo, mein Kleiner!«, Sie war erleichtert.

      Ihr Bruder lallte in wirren Sätzen, dass er in einer Bierkneipe in der Nähe der Werkstatt festsitze. Die Freunde waren verschwunden, sein Portemonnaie ebenfalls und die Getränkerechnung unbezahlt.

      Nina schluckte. Einen Augenblick war sie unschlüssig, ob sie erheitert oder wütend auf ihren Bruder sein sollte, aber am Ende war das in dieser Situation bedeutungslos. Michael, der die letzten Sätze des Telefongesprächs gehört hatte, stand verloren im Türrahmen. »Nina! Nein! Du gehst jetzt nicht! Bleib hier, bitte. Wir müssen reden.« Er stellte sich ihr in den Weg und breitete die Arme aus.

      Nina drängte vorbei. »Aber, Schatz … aber das können wir doch auch noch hinterher … ich hole ihn ganz schnell und dann essen wir einfach später.«

      »Nina, ich bitte dich inständig, lass ihn ein einziges Mal selbst aus den Schlamassels rauskommen, die er sich dauernd einbrockt, und hör auf ihn dauernd zu bemuttern. Bleib hier – unseretwegen.«

      »Stell dich doch nicht so an. Michi, ich kann Max doch nicht einfach hängen lassen. Er ist mein Bruder …«

      »… und wer bin ich? Oder was bedeute ich dir überhaupt noch? Es sollte doch unser Abend werden. Seit du zwölf bist, sorgst du für ihn. Glaubst du nicht, dass du deine Fürsorge so langsam übertreibst?«

      »Wieso? Was ist denn nur los? Max kann ja noch nicht einmal sein Taxi bezahlen. Ich muss hin. Versteh mich doch.«

      Seine schmale Gestalt fiel in sich zusammen und ein Ausdruck verzweifelter Traurigkeit überschattete Michis hageres Gesicht. Die dunklen Augen schienen Nina durch die Intensität seines Blickes festzuhalten. »Seit fast fünfzehn Jahren versuche ich schon, dich zu verstehen, Nina. In der ganzen Zeit habe ich Rücksicht genommen, auf deinen Job und noch mehr auf deine Verantwortung für deinen Bruder. Aber ich brauche dich doch auch! Und zwar ganz und nicht nur den Teil von dir, der nach deinem Beruf und deinem Bruder noch für mich übrig ist.«

      Mit Tränen in den Augen, aber den Autoschlüssel schon in der Hand, hielt Tina vor der Haustür inne: »Michi, Schatz! Jetzt


Скачать книгу