Wir bauen eine Krise. Rainer Runzer
Es gibt einen zweiten Weg sich zu verändern und den eigenen Standpunkt zu verlassen. Den Weg von Klarheit, Leidenschaft und Begeisterung. Diese Möglichkeit soll in diesem Buch nicht verborgen bleiben.
So viel zu meiner Motivation, dieses Buch zu schreiben. Nun noch ein paar Worte zum Inhalt.
Dieses Buch erzählt die Geschichte eines Menschen, der einen Schnellkurs zum Thema Krise erhält. Unfreiwillig.
Ich habe mich gegen den normalen Aufbau eines Sachbuches entschieden, weil sich mein Thema um etwas dreht, was uns täglich begegnet, somit kann ich die nötigen Informationen in einer Geschichte erläutern, die Ihnen die Möglichkeit gibt, sich mit dem Gelesenen zu identifizieren.
Ich möchte die 7 Bausteine einer Krise erklären. Den Marschallplan, todsicher eine Krise zu bekommen. Warum? Weil wir nur das verändern können, was wir verstehen. Also sehen wir uns erst mal an, wie eine Krise entsteht, bevor wir uns von ihr befreien.
Für diejenigen, die keine Zeit haben, weil sie bereits mittendrin stecken oder Geschichten einfach nur langweilig finden, habe ich diese Notizfelder angelegt. Sie bieten eine kurze Zusammenfassung der Geschichte. Die Informationen in diesen Notizfeldern sind kürzer, beinhalten aber nur eine grobe Zusammenfassung.
„Vier Tage!“ Eine Flut aus Wut und Angst erfasst mich.
„Jetzt reg dich nicht künstlich auf. Das hast du schon schneller geschafft.“
„Da gab es bereits eine vorhandene Recherche oder schon ein paar Interviews.“
Ich zeige auf die Pappmappe, die mir Markus zugeschoben hat.
„Das da ist ein halbes DIN A 4 Blatt und eine Visitenkarte von dem Seelenmechaniker. Das ist nicht mal ein Konzept, sondern ein Hirnfurz.“
Ich mache eine Kunstpause.
„Gib mir ne Woche.“
Markus faltete die Hände vor seinen Bierbauch. Er schwingt auf seinem Bürosessel hin und her, was bei ihm ein Kopfschütteln ersetzt, seit er einen chronisch eingeklemmten Nackenwirbel hat.
„Keine Chance. Du kannst froh sein, dass Marin krank geworden ist, sonst hätte ich gar nichts für dich.“
„Bei der Vorbereitung hat er sich wahrscheinlich die Kugel gegeben.“
„Jetzt heul hier nicht rum. Du wolltest einen Auftrag. Das ist er. Wenn du das Geld nicht brauchst, finde ich jemanden, der noch verzweifelter ist als du.“
Das Pochen in meinem Hals weitet sich auf meine Schläfen aus. Jetzt heißt es ruhig bleiben, sonst verbringe ich Weihnachten unter Mordanklage.
Markus scheint meine Gedanken zu erraten. „Eigentlich stehen Katrin und Mikka auf der Liste über dir. Ich tu dir hier einen gefallen, Nathan.“
OK. Nachricht angekommen: keine Fristverlängerung.
„Dann gib mir wenigstens nen Praktikanten, der für mich recherchiert.“
„Klar, aber der geht von deinem Gehalt ab.“
„Das geht nicht. Ich brauch die Kohle.“
„Dann wirst du’s allein schaffen müssen. Tut mir leid.“
„Klar doch.“
Ich ziehe die Mappe vom Tisch und gehe. Noch bevor die Tür ins Schloss fällt, wählt mein Handy die Nummer von Zuhause.
„Hallo?“
Ihre Stimme klingt nach Stress und blank liegenden Nerven. Wahrscheinlich machen die Kinder wieder Terror. Verdammte Ferien.
„Ich bin’s. Du kannst die Bestellungen abschicken.“
„Und das Geld?“
„Bekomm ich bald.“
Schweigen am anderen Ende. Ein stummes „Du überzeugst mich nicht“.
„Dafür muss ich die nächsten vier Tage Vollgas geben.“
„Und das klappt?“
„Es muss.“
1. Der Königsweg
Mit reichlich Schwung stellt die Kellnerin die Tasse auf meinen Tisch. Ich glaube sie heißt Gabi. Aus ihrem Gesicht strahlt mir ein stechend roter Lippenstift entgegen, der zum Lack ihrer Fingernägel passt. Nur nicht zu ihrer Miene, die sich nur einmal im Jahr an Weihnachten zu rühren scheint.
Ohne zu fragen, ob ich noch etwas bestellen möchte, dreht sie sich um und geht. Ignorant wie immer.
Mein Stimmungsbarometer sinkt noch tiefer. Wenigstens der Espresso ist genießbar. Doch wegen des Kaffees bin ich nicht hier, sondern weil ich hier am besten nachdenken kann. Direkt vor der Glasfront des Cafés verläuft die Fußgängerzone. Gäste aller Gehaltsstufen treffen sich hier. Ein Großteil meiner besten Ideen kam mir genau hier.
Ich ziehe die Mappe hervor, die Marin so gewissenhaft vorbereitet hat. Die Visitenkarte gehört einem Dr. Karl Späth, Psychotherapeut. Das zweite Blatt sieht aus wie der Anfang eines Konzepts.
Krise
Nichts vermag unser Leben so grundlegend zu verändern wie eine Krise. Krisen markieren die häufigsten Wendepunkte unseres Lebens. Sie stehen für Angst vor Verlust und Versagen, aber auch für die Chance der Entwicklung. Krisen sind die Ausnahmesituationen unseres Daseins. Sie bringen uns an unsere Grenzen.
Das sollte wohl die Einleitung der Reportage werden. Noch während ich den Text lese, höre ich Marins tiefe, ernste Stimme, wie er den Zuhörern einen Crashkurs zum Thema Krise verpasst.
Ich stehe also tatsächlich ganz am Anfang. Die Bibliothek kann ich vergessen, dafür fehlt mir die Zeit, und das Internet meide ich bei Recherchen grundsätzlich. Frisst zu viel Zeit und bringt doch keine fundierten Ergebnisse. Ich krame mein Handy aus meiner Ledertasche und wähle die Nummer des Therapeuten.
„Praxis Dr. Späth, Kammer am Apparat.“
„Guten Tag, hier ist Nathan Voght, Radio Zeitlos. Ich mache eine Reportage zum Thema Krise und würde gerne einen Interviewtermin mit Dr. Späth vereinbaren.“
„Einen Augenblick bitte.“
Ein verzerrtes Klavierstück quält sich durch meinen Kopfhörer.
Weiß der Teufel, wo die Leute diese Aufnahmen her nehmen. Ich vermisse das Schweigen in der Leitung, wie es noch vor zwanzig Jahren üblich war. Da behielt man das Telefon am Ohr ohne Würgereiz zu bekommen.
„Herr Voght?“
Nein hier ist sein Sekretär. Herr Voght verziert gerade die Holzfliesen mit seinem Frühstück. „Ja?“
„Herr Dr. Späth ist gerade in einer Sitzung. Kann er sie später zurückrufen?“
„Natürlich. Auf der Nummer, die sie in ihrem Display sehen, bin ich den ganzen Tag zu erreichen.“
„Vielen Dank. Auf Wiederhören.“
„Ja, Wiederhören.“
Dann muss ich mit was anderem anfangen. Am besten hole ich mir erst mal die Zeitung. Da wimmelt es nur so von Krisen. Vielleicht ist ein Aufhänger für mich dabei.
Ich schlurfe durch das leere Café. Vorbei an einem alten Mann mit grauem Rauschebart, der ein Buch liest. Stammgast, so wie ich. Das Buch sieht nach Akademikerlektüre aus: liebloser Einband mit viel zu langem Titel. Vor ihm steht ein Teller mit Krümeln und eine halbleere Tasse mit Tee. Sind diese Dinger aus Glas nun Teegläser oder Glastassen? Vielleicht beides.
Die Zeitung hängt an einem Haken in der Nähe der Glasfront. Hier sitzt noch ein früher Gast. Eine Frau in gelbem Kostüm, die in die Fußgängerzone hinaussieht und mechanisch in ihrer Tasse rührt. Der Schmuck ist dezent, verrät aber einen gewissen Wohlstand. Wie gesagt: hier treffen alle Schichten aufeinander. Zur Mittagspause werden sicher wieder ein paar Handwerker und Studenten hier aufschlagen. Ein bunter Mix, der die Fantasie anregt.
Wieder