Blindenführhund Tessy - Mein Leben auf der Gerstlfarm. Rosmarie Gerstl

Blindenführhund Tessy - Mein Leben auf der Gerstlfarm - Rosmarie Gerstl


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und animiert mich zum Flinterherdüsen. Na also, nichts wie ab, ich bekomm Dich schon, Du kleines Miststück. Oh je, ein Schrei und der Flaustürschlüssel kam schon geflogen. So schnell konnte ich überhaupt nicht schauen. Ich dachte mir, Frauchen sieht nichts, aber jetzt hat sie mich fast getroffen. Das war knapp daneben. Na ja, eigentlich weiß ich ja, dass ich keine Katzen jagen darf, aber da ging mein jugendliches Temperament mit mir durch. Der kleine Frechdachs weiß aber auch genau, wie sie uns Hunde provozieren kann. Sie ist mit unseren Vorgängern Kai und Boris aufgewachsen und hat schon von klein auf gelernt, wie man uns aus der Reserve locken kann. Na ja, aber ich lass das jetzt lieber mal bleiben - wer weiß, welche unbekannten Flugobjekte das nächste Mal geflogen kommen. Und Frauchen ist mir auch lieber, wenn sie nett und freundlich ist.

       Jahrhundertsommer 2003

      Ich sag euch, mir ist vielleicht warm. Jetzt hat es doch schon seit gut drei Monaten so eine Hitze. Fast durchgehend 35 Grad und mehr und es ist kein Ende in Sicht. Wir haben jetzt gerade Anfang August. Wie lange wir hier wohl noch dahinschmoren müssen? Nicht mal in der Nacht kann man die Fenster aufmachen, weil es hier kaum abkühlt Da werde ich überhaupt nicht mehr fertig mit hecheln. Wir treffen uns morgens um fünf Uhr schon mit Sancho und seinem Frauchen auf dem Feld, aber dann bis sieben Uhr spätestens sind wir wieder zu Hause. Da fängt es schon wieder an dampfig zu werden. Während des Tages verkriechen wir uns dann ins Haus. Da ist es angenehm mit Klimaanlage. Wir können ganz selten was unternehmen, weil es einfach viel zu heiß ist. Wenn Frauchen jetzt unbedingt irgendwo hin muss, fährt sie mit dem Taxi. Ich würde mir ja die Pfoten verbrennen auf dem heißen Teer. Das ist echt Wahnsinn.

      Rosi leidet sehr unter dieser Situation. Den ganzen Tag im Haus, das ist nichts für mein Frauchen. Sie ist total verzweifelt, weil es ihr echt schlecht geht, auch gesundheitlich.

      Die Region Kaiserstuhl ist ja bekannt für ihr mildes Klima und den Weinanbau, aber das ist dann doch zu viel des Guten. Wenn sogar gebürtige Kaiserstühler über die andauernde Hitze klagen, muss das schon was heißen. Rosi muss sich was überlegen, so kann es nicht weitergehen. Wer weiß, wie die nächsten Sommer werden.

      Wir kommen gerade heim von unserem morgendlichen Spaziergang, da nimmt sich Rosi ihren ganzen Mut zusammen und jetzt muss es raus. Joe steht gerade im Hof, da sagt Rosi zu ihm:

      „Du Schatz, mir geht es verdammt schlecht hier mit dieser Hitze. Ich gehe hier ganz jämmerlich ein, wenn ich noch länger hierbleibe. Komm, lass uns woanders hinziehen!“

      Ich hörte den Stein plumpsen. Jetzt war es meinem Frauchen leichter ums Herz. Joe wollte natürlich auch nicht alleine hierbleiben. Er litt zwar nicht ganz so unter dieser Situation, weil er einfach nicht so ein Rennbesen ist wie mein Frauchen, aber so glücklich war er auch nicht mit dieser Wahnsinnshitze. Das hält ja keiner aus.

      So jetzt, lange Rede, kurzer Sinn: Die zwei Gerstls beschlossen kurzerhand, eine neue Heimat zu suchen für die Gerstlfarm. Nur wohin sollte die Reise gehen? Noch einmal ganz neu anfangen in einer neuen Umgebung, wie vor sechs Jahren hier in Wyhl, das ist schon verdammt anstrengend für zwei Blinde. Also sollte es irgendwo hingehen, wo sich wenigstens einer der beiden auskennt. Nach einigen Überlegungen beschlossen die beiden dann, ein geeignetes Objekt in Rosis Heimatregion für uns zu suchen.

       August 2003: Auf der Suche nach einer neuen Heimat

      Zwei Tage später sitzen wir beide, also Frauchen und ich, mit einem vollgepackten Rucksack im Zug in Richtung Augsburg. Besser gesagt Gessertshausen, das ist ungefähr 15 km davor. Dort werden wir dann von Rosis Mutter mit dem Auto abgeholt. Heute früh hat uns Hans, unser Taxifahrer nach Riegel zum Bahnhof gebracht. Dann sind wir umgestiegen in Offenburg, Karlsruhe und noch einmal in Ulm. Das Umsteigen in Offenburg ist ja kein Problem, das ist immer der Bahnsteig gegenüber. Nachdem ich das Hörzeichen zum Aussteigen bekommen habe, sagt Frauchen: „Tessy, zur Bahn, voran zeig Tür!“ Ich weiß dann genau, dass ich ihr die nächstliegende Tür beim gegenüberstehenden Zug anzeigen soll. Meistens steht die Tür schon auf. Rosi lässt den Führbügel aus und sagt: „Tessy, steig ein, hopp!“ An der Leine spürt sie dann schon, ob ich nach oben oder vielleicht auch etwas nach unten gesprungen bin, das ist recht unterschiedlich bei den Zügen. Zum Ein- und Aussteigen des Zuges packt Frauchen auch immer ihren zusammenlegbaren Kurzstock aus, mit dem sie dann den Abstand und die Höhe des Einstieges abtasten kann. Dann steigt auch sie ein. Das ist nicht so ungefährlich. Es gibt blinde Reisende, die schon in den Spalt zwischen Zug und Bahnsteig gerutscht sind. Das ist dann bestimmt ganz arg schmerzhaft. Also lieber aufpassen. Uns ist das zum Glück noch nie passiert. Da kann dann der beste Blindenführhund nicht mehr helfen.

      In Karlsruhe und in Ulm haben wir uns beim Umsteigen helfen lassen. Dort ist es immer anders und außerdem haben wir dort nur wenig Zeit bis zur Abfahrt unseres Anschlusszuges. Blinde Bahnfahrer haben die Möglichkeit den Mobilitätsservice in Anspruch zu nehmen. Man muss diese Hilfeleistung nur rechtzeitig telefonisch anmelden, dann bringt uns ein freundlicher Mitarbeiter der Bahn zum richtigen Zug. Das ist eine feine Sache. Nun sind wir aber schon gleich am Ziel in Gessertshausen angekommen und ich bin ja schon so gespannt, ob wir ein passendes Objekt für uns alle finden werden.

      Inzwischen sind wir schon seit drei Wochen zu Besuch bei Rosis Mutter in Siegertshofen. Dort ist mein Frauchen aufgewachsen. Der kleine Ort liegt etwa 25 km südwestlich von Augsburg inmitten des Naturparks Augsburg - Westliche Wälder. Ja, hier ist es wunderschön und vor allem kühler als am Kaiserstuhl. Frauchen kennt sich hier total gut aus. Sie kann sich aus ihrer sehenden Zeit noch ganz genau an die Wege erinnern. So unternehmen wir beide ausgiebige Spaziergänge, wenn wir nicht gerade auf Grundstückssuche sind. Rosi und Joe stellen sich einen alten Bauernhof vor, nicht zu renovierungsbedürftig, in einem Ort mit guter Infrastruktur. So in der Art, wie sie es in Wyhl bereits haben. Aber das ist gar nicht so einfach. Gerade letzte Woche hat sich mein Frauchen ein Objekt angeschaut in Mittelneufnach. Einen renovierten Bauernhof mit großem Grundstück und einem kleinen Bach. Aber leider ist die Infrastruktur in Mittelneufnach ganz schlecht. Dort gibt es kaum eine Busverbindung und ganz wenig Geschäfte, also leider nicht geeignet.

      Rosi hat all ihre Freunde und Bekannten beauftragt, Augen und Ohren aufzuhalten und ihr alles Erdenkliche mitzuteilen, was in Frage kommen könnte. Es ist ja wirklich zum Mäusemelken - entweder das Objekt passt nicht, oder die Infrastruktur. Es muss ja passen für Mensch und Tier. Und möglichst hier in der Nähe, dass sich Rosi noch auskennt. Das ist zwar für mich nicht unbedingt ein Vorteil, weil Frauchen dann genau weiß, wo sie sich befindet und ich sie nicht austricksen kann, aber egal. Hauptsache wir fühlen uns alle wohl in unserer neuen Umgebung. Also mir gefällt es hier. Morgens kann ich durch die kühlen Wiesen düsen und im Wald findet sich immer ein Stöckchen zum Spielen. Außerdem gibt es hier auch jede Menge potenzielle Spielkammeraden mit ihren Herrchen und Frauchen. Da kann ich mit meiner freundlichen charmanten Art bestimmt ganz schnell neue Kontakte knüpfen. Tja, nur das geeignete Objekt für unsere neue Gerstlfarm haben wir noch nicht gefunden.

      Mal schauen. Heute Vormittag haben wir noch einen Termin mit einem Makler gleich im nächsten Ort in Tronetshofen. Herr Müller holt uns beide mit dem Auto ab und wir fahren zu dem besagten Grundstück. Es ist ein Baugrundstück, kein renovierungsbedürftiger Bauernhof. Egal, dann bauen wir eben eine neue Gerstlfarm, man muss ja schließlich flexibel sein. Mir gefällt es auf Anhieb und meinem Frauchen auch. Rosi kennt den Hang, an dem das Grundstück liegt. Sie ist dort als Kind schon mal Ski gefahren und eine Primiz war dort auch schon mal. Es liegt am Rand des kleinen Ortes. Danach kommen nur noch Wiesen und der Wald. Das ist doch ideal für uns alle. Von Tronetshofen aus kann ich mit Rosi nach Fischach laufen, um unsere Besorgungen und Einkäufe zu erledigen. Außerdem können wir mit dem Bus zum Bahnhof nach Gessertshausen und von dort mit dem Zug nach Augsburg fahren. Rosi telefoniert gleich mit Joe, der ja nicht dabei sein kann und Herr Müller beschreibt ihm die Umgebung. Auch er ist gleich damit einverstanden.

      Also dann brauchen wir jetzt nur noch einen Notartermin, bevor wir wieder nach Hause fahren.

       Oktober 2003: Herbst am Kaiserstuhl

      Es ist zum Glück wieder etwas kühler. Wir sind schon wieder eine ganze Weile zu Hause. Jetzt können wir wieder richtig gut was unternehmen. Neulich waren Gisela und Claude mit Boris hier. Ihr wisst


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