Merkt doch keiner, wenn ich schwänze. Annette Weber

Merkt doch keiner, wenn ich schwänze - Annette Weber


Скачать книгу
wie es weiterging. „Und was ist mit dem Leasing für das Auto?“, fuhr der Vater fort. „Hast du daran schon mal gedacht? Und die Wohnungsmiete ist auch noch nicht überwiesen.“

      „Ich weiß ja, Herrmann. Auch die Telefonrechnung …“ Frau Seidt brach erschrocken ab.

      Die Kinder blickten betreten zu Boden.

      Warum musste die Mutter ausgerechnet jetzt mit der Telefonrechnung anfangen?

      „Was ist damit?“

      „Na ja.“ Frau Seidt biss sich auf die Lippen. „Zeig mal her. Ich will sehen, was damit ist!“ Katharina rannte los und fischte die Rechnung aus der Schublade.

      „Hier“, sagte sie. „Paul und Stefan waren immer im Internet“, trompetete sie dann.

      „Und Mama hat immer telefoniert. Und auch Felix …“

      „Ach halt doch die Klappe, du Petze“, fauchte Paul.

      Er sah so aus, als wollte er gleich vor Wut platzen.

      „Wie, was soll das denn heißen? Wieso waren die immer im Internet?“

      „Du wolltest ja keine Flatrate“, sagte Stefan trotzig.

      „Und weißt du auch, warum nicht?“, schnaubte der Vater wütend. „Weil die auch Geld kostet, mein Sohn.“

      Na und, hätte Stefan am liebsten gesagt, aber das wagte er nicht. Er wusste, dass sein Vater dann komplett austicken würde.

      „Und so viel Geld nur dafür, dass ihr da rumchattet und euch ein paar Pornos anglotzt. Das sehe ich nicht ein. Die paar Minuten, in denen ihr das Internet mal für ein Referat nutzt, kann ich jedenfalls an einer Hand abzählen.“

      Der Vater starrte weiter auf das Papier in der Hand.

      „Und was ist das hier für ’ne Nummer?

      Die 32 6498? Die scheint ihr ja jeden Tag mehrmals anzurufen.“

      Alle schwiegen. Der Vater sah streng von einem zum anderen.

      „Wer von euch wählt die Nummer immer?“

      „Ich“, sagte die Mutter nun und sah ihren Mann herausfordernd an. „Es ist nämlich Brigittes Nummer.“

      „Brigitte“, fauchte der Vater. „Diese dumme Nuss. Das hätte ich mir denken können.“

      „Sie ist immerhin meine beste Freundin.“ „Müsst ihr darum jeden Tag zweimal stundenlang telefonieren?“

      Stefan kannte das genau. Das ging jetzt so weiter, bis sich die Eltern wieder in den Haaren hatten. Erst brüllte der Vater, dann weinte die Mutter, dann heulte Katharina.

      Und alles, weil das Leben so verdammt teuer geworden war.

      Es hatte Zeiten gegeben, da waren die Eltern ganz gut mit dem Geld hingekommen.

      Aber dann kam der Euro. Sein Vater verlor seine Arbeit und musste als LKW-Fahrer anfangen. Und bei dem Job bekam er weniger Lohn als vorher.

      Katharinas Kindergarten war außerdem teurer und die Miete höher geworden. So blieb nichts mehr übrig, um sich das eine oder andere zu leisten. Nicht mal Internet war mehr drin. Und die Klassenfahrt konnte er sich auch von der Backe putzen.

      Stefan stand auf und ging in sein Zimmer. Paul folgte ihm.

      Sie teilten sich ein Zimmer, seit Katharina geboren worden war. Aber das war kein so großes Problem.

      „Immer das gleiche“, murmelte Paul.

      „Da freut man sich auf den Alten und nach einer Stunde wünscht man ihn schon wieder nach Italien zurück.“

      Stefan nickte. Mit einem Fußtritt schaltete er den Fernseher an.

      Es kam eine dieser Talkshows mit viel Geheule und hysterischen Frauen, die sich beklagten: „Hilfe, mein Freund geht immer fremd!“ Worauf der Freund dann meist antwortete: „Ja, wenn du auch immer so viel rumzickst!“

      „Unsere Eltern sollten auch mal in so eine Talkshow gehen“, murrte Stefan. „So nach dem Motto: Ich liebe dich besonders, wenn du nicht da bist.“

      Zwei Stunden später gab es Abendessen. Die Mutter saß mit aufgesetztem Lächeln am Tisch, der Vater mit brummigem Gesicht daneben.

      „Hört mal“, sagte der Vater. „Wir müssen mal was mit euch besprechen. Ihr habt ja schon gemerkt, dass wir im Moment hinten und vorne nicht mehr mit dem Geld klarkommen.“

      „Das war nicht zu überhören“, sagte Paul provozierend.

      „Werd bloß nicht frech“, fuhr ihn sein Vater an. „Und nimm diese Kappe ab, sonst setzt es was, mein Freund.“

      Paul nahm die Baseballkappe vom Kopf.

      Alle starrten ihn an. Ohne Kappe sahen sie ihn höchstens mal im Bad. Sonst trug er sie immer. Es störte auch niemanden. Nur der Vater meinte, in der Woche, in der er zu Hause war, seine Kinder zu gutem Benehmen erziehen zu müssen.

      „Es ist nämlich so“, redete die Mutter schnell weiter. „Ich könnte bei uns im Edeka-Laden den ganzen Tag arbeiten. Also volle acht Stunden. Hilde ist doch letzte Woche gegangen. Ich könnte für sie einspringen. Für euch heißt das allerdings, viel Verantwortung zu übernehmen. Packt ihr das?“

      Paul und Stefan sahen sich kurz an. Verantwortung übernehmen? Das hieß kochen und einkaufen, Kathi vom Kindergarten abholen, Hausaufgaben mit Felix machen. Und vielleicht noch vieles andere mehr.

      „Du könntest dann auch auf Klassenfahrt gehen“, versuchte die Mutter, die beiden zu überreden. „Und für dich, Paul, wäre endlich mal eine E-Gitarre drin.“

      Stefan und Paul sagten nichts. Verantwortung, das hieß auch, keine LAN-Session bei André, keine Treffen mit der Clique, kein Fußball am Schulzentrum und kein Inliner-Fahren auf der Rampe.

      „Klar packen die das“, sagte der Vater.

      „Sind doch keine kleinen Kinder mehr.“

      Der Alltag mit der Verantwortung kam schneller, als allen lieb war. Nämlich genau an dem Tag, an dem der Vater wieder winkend mit seinem LKW davonfuhr. Irgendwie atmeten diesmal alle nicht so richtig auf. Er hatte ihnen bis jetzt viel Arbeit abgenommen.

      „Ich mache euch mal einen Zettel“, sagte die Mutter am Sonntagabend. „Also, Stefan, du bringst Katharina vor der Schule in den Kindergarten und nach der Schule holst du sie wieder ab. Du Paul, musst einkaufen gehen. Felix, wenn du aus der Schule kommst, fängst du schon alleine mit deinen Hausaufgaben an.“

      „Mach ich“, sagte Felix wichtig.

      Er war froh, auch seinen Beitrag zum Familiensparprogramm leisten zu können. Paul grinste. „Aber die Glotze bleibt aus, Kleiner. Sonst setzt es was.“

      Paul war jetzt ganz der Vater.

      „Dann müsst ihr was kochen. Nicht so schwere Sachen. Pizza auftauen oder Linsensuppe aus der Dose. So richtig schön kochen wir dann am Sonntag, ja?“ Frau Seidt sah unglücklich von einem zum anderen. Stefan und Paul nickten. Würde schon irgendwie gut gehen. Im Grunde war es ja wirklich kein großes Ding.

      Aber als es dann losging, war es doch schwerer, als sie gedacht hatten. Zum Beispiel, wenn man Katharina aus dem Kindergarten abholte.

      Katharina war eine einzige Klüngelmaus. Bevor sie ihre Jacke angezogen hatte, musste sie noch ein Bild zu Ende malen, die Bauecke aufräumen und dem Teddy Tschüss sagen.

      „Mensch, Kathi, ich hab nicht ewig Zeit“, schimpfte Stefan. „Wenn du jetzt nicht mitkommst, gehe ich alleine.“

      „Geh


Скачать книгу