Data Intelligence. Manfred Kulmitzer

Data Intelligence - Manfred Kulmitzer


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ihre ganze Ladung in ein offenes Massengrab. Wie in der damaligen Situation üblich, wurde das Grab nicht sofort geschlossen, sondern provisorisch mit Kalk abgedeckt, um später weitere Pestopfer aufzunehmen. Am folgenden Tag habe Augustin inmitten der Leichen so lange krakeelt und auf seinem Dudelsack folgendes Lied gespielt, bis Retter ihn endlich aus der Grube zogen:

       « Geld ist weg, Mäd‘l ist weg, Alles hin, Augustin. O du lieber Augustin, Alles ist hin.

       Rock ist weg, Stock ist weg, Augustin liegt im Dreck, O du lieber Augustin, Alles ist hin.

       Und selbst das reiche Wien, Hin ist‘s wie Augustin; Weint mit mir im gleichen Sinn, Alles ist hin!

       Jeder Tag war ein Fest, Und was jetzt? Pest, die Pest! Nur ein gross‘ Leichenfest, Das ist der Rest.

      Augustin, Augustin, Leg’ nur ins Grab dich hin! O du lieber Augustin, Alles ist hin! »

      Danach soll Augustin sein Erlebnis über lange Zeit als Bänkelsänger vorgetragen und davon recht gut gelebt haben.

      Meine Frau und ich, und noch hunderttausende Menschen mehr leben hier in Zürich, im Herzen der Schweiz, einer vor Leben strotzenden Stadt direkt am einem traumhaften See mit Blick auf die Alpen gelegen, und ein wahrhaftigen Paradies im Vergleich zu beinahe allen Staaten dieser Welt.

      Wir leben in einem Wohlstand auf einem unglaublich hohen Niveau, welchen ich mir - selbst aus dem sehr schönen, aber armen Klagenfurt in Österreich stammend in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen und mit dem Glück, von äusserst aufmerksamen und fürsorglichen Eltern aufgezogen zu werden - in meiner frühen Jugend und später während des Studiums an der Technischen Universität in Graz in meinen jungen und oft stürmischen Jahren selbst nicht einmal ansatzweise auszumalen vermochte.

      „Was soll schon passieren“, sage ich zu mir selbst, während ich weiter am Filter der Zigarillo sauge und in beständigen Zügen den Rauch in die kühle Luft ausstosse. Ich sehe der blassen, weissen Wolke nach, verfolge die Auflösung der Moleküle in den Weiten der Luft, betrachte die durch nichts aufzuhaltende Zerstörung dieses schönen Anblicks.

      Hatten sich in den letzten Tagen jeweils die Ereignisse überschlagen, die Zahl der Kranken und Toten war zu Anfang nur sehr klein, wurde aber täglich in immer rascheren Abständen schnell grösser.

      Zuerst waren nur ein paar Dutzend Menschen angesteckt, dann wurde die Grenze von 10.000 überschritten, bald darauf die 250.000 und nun erstreckt sich die Infektion auf über zehn Millionen Menschen, und dies innert weniger Monate. Die zuerst als Grippe wahrgenommene Krankheit hat sich schnell als ein neuartiger Corona-Virus herausgestellt und wurde von der Wissenschaft „Covid-19“ genannt - wobei ich grundsätzlich keine Ahnung habe, was der Unterschied zwischen einem simplen Grippe-Virus und dem neuen Corona-Virus ist.

      Und die vielen Verschwörungstheorien in den sozialen Medien und im Internet sind leider nicht gerade hilfreich, um sich eine passende und vor allem korrekte Meinung bilden zu können. Die Ausbreitung hatte in Asien begonnen und war dann - beginnend im schönen Italien - zuerst auf ganz Europa, dann mit massiver Wucht auf die Vereinigten Staaten von Amerika und schliesslich die gesamte Welt übergeschwappt.

      Zu meinem Bedauern werden die Zahlen der Erkrankungen am Corona-Virus leider in keinen nachvollziehbaren Kontext gestellt - statistisch sterben monatlich rund 6.000 Personen in der Schweiz, dazu kommen dann die über 800 Toten aus der Corona-Krise im April 2020, oder sind die bereits ein Teil davon?

      Hier ist aus meiner Sicht wesentlich mehr Aufklärungsarbeit seitens der Medien und Politik erforderlich - eine verständliche Erläuterung des zugrunde liegenden Zahlenmaterials und was dies schliesslich für die Schweiz, die anderen Länder und für uns alle bedeutet.

      «Die Geschichte ist zwar nicht zyklisch, aber sie kann perfide, überraschende Rückschläge erfahren.»

      Bereits nach wenigen Wochen war das Corona-Virus und die Krise überall vorhanden - nicht nur real in den grossen Städten, in den Ländern und gemeinhin in der Welt, sondern überdies in allen Nachrichten, im Internet und in allen sozialen Medien. Dies als teilweise wahre Meldungen und Geschichten, aber zugleich in vielen Falschmeldungen, Fake News oder als Verleumdung, Hysterie, Hype und Schwindel von Skeptikern, Verschwörungstheoretikern, Besserwissern und selbsternannten Experten abgetan. Wie mittlerweile durchaus üblich, gab es quasi über Nacht zahllose, viele falsche Meinungen und Überzeugungen zu diesem Thema in den sozialen Medien, viele davon von selbsternannten Experten und natürlich - wie immer - die Geschichten von den Verschwörungstheoretikern.

      Das Corona-Virus ist nun in allen Gesprächen, in den Köpfen der meisten Menschen, und zugleich in deren Herzen angekommen. Die Politik im In- und Ausland hat - aus meiner Sicht meist überraschend schnell - reagiert und so ist die Welt nun beinahe zum völligen Stillstand gekommen.

      Derzeit habe ich noch keine abschliessende Meinung darüber, was eigentlich die langfristig bedeutsamere Bedrohung für die Menschen und die Welt darstellt: die offensichtliche Arroganz und das Wegschauen von Politik, Menschen und der Gesellschaft im allgemeinen, das Virus und dessen mögliche Ausbreitung so drastisch zu unterschätzen; der durch die Wissenschaft empfohlene und von der Politik nun durchgeführte Lockdown der gesamten Welt mit allen daraus resultierenden menschlichen und wirtschaftlichen Problemen.

      Sind es die Folgen der Krise auf die Individuen, im speziellen deren Gemütszustand und Umgang mit Verlust und Einsamkeit oder Jobverlust sowie für die nun grossflächig stillgelegte Wirtschaft, welche die zukünftig grössten Probleme bereiten werden? Oder ist der nun anhaltende, allgemeine Dissens der Gesellschaft über den Nutzen von Daten und kognitiven Technologien wie die Künstliche Intelligenz, um Anzeichen für Weltkrisen vorzeitig zu erkennen oder noch besser, gar nicht erst entstehen zu lassen, nicht notwendig und auch nicht sinnvoll?

      Hätte man dieses Szenario und die Krise nicht vorhersehen oder vorhersagen können müssen, mit all den gigantischen Datenvorräten von Google, Facebook, etc. und warum hilft die KI gerade jetzt nicht in der Bewältigung dieser Weltkrise, wo es doch so viele Daten und moderne Technologien gibt, ja selbstfahrende Züge, Autos, etc. schon im täglichen Einsatz sind? „Oha,“ sage ich zu mir selbst, „jetzt beginne ich schon, die ersten fachlichen Begriffe zu nutzen. Ich muss gleich mal ein Glossar anlegen, um alle relevanten Fachbegriffe, welche ich in diesem Buch benutzen will, an einer Stelle gesammelt zu beschreiben. Diese Worte werde ich in fetter Schrift entsprechend markieren, damit diese im Text leichter gefunden werden können.“

      «Nicht nur Selbstzufriedenheit stellt eine Bedrohung dar, sondern auch falsche Überzeugungen, Meinungsblasen und die Missachtung wissenschaftlicher Erkenntnisse.»

      Ich drücke meine Zigarillo nach dem letzten Zug im Aschenbecher aus schwarzem Metall aus, der am Betonsims links vor dem Eingang steht und beinahe am Überquellen ist. Dabei denke ich mir: „Die Krise selbst und die Bewältigung dieser Krise sind im Kern eigentlich Fermi-Probleme, also die Frage der quantitativen Abschätzung einer Aufgabe, zu der zunächst praktisch keine Daten vorhanden sind, oder?“ Das erinnert mich an meine Studienaufgaben längst vergangener Jahre, als ich auf der Technischen Universität versucht habe, die allgemeinen Prinzipien der Mathematik und Statistik zu verstehen und mir mühsam anzueignen.

      Aus meiner Erinnerung krame ich das - gut versteckte und nicht sofort auffindbare - Wissen hervor, dass hier nicht die Daten im Vordergrund stehen, sondern ein gutes Mass an Allgemeinwissen erforderlich ist, um die Datenbasis zur Abschätzung zu ermitteln. „Wie einfach hat es die Generation Y heute“, denke ich mir, „einfach mal in Google suchen und die Daten werden aufbereitet geliefert, ohne dass eine Kenntnis über das eigentliche Fachgebiet erforderlich ist.

      Hier hat sich schon sehr viel getan in den letzten 20 Jahren, seit wir Menschen das Millennium bestritten haben.“ Aber mache ich es mir hier nicht zu einfach? Es dreht sich eben nicht einfach „nur“ um Daten und Technologien - neben den notwendigen Daten für die Lösung eines Fermi-Problems sind ja die Grundbegriffe des zugrunde liegenden Themas vorab zu definieren. Es geht hier selbstverständlich immerhin um den richtigen Kontext und diesen möchte ich hier näher erläutern.


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