Geliebt. Dieter Lenzen

Geliebt - Dieter Lenzen


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und ein paar kleinen Oliven vor.

      Sie nahmen vor dem Feuer Platz und sprachen über das Versicherungsbüro, für das sie beide arbeiteten, Frank in Vancouver und Alice in Quebec. Sie trafen sich selten. Er bat sie oft, doch mehr Zeit für ihn zu haben, und wollte sich öfter in einer der Städte mit ihr treffen, aber das wäre ihr zu viel gewesen. Sie hatte ihm das auch immer wieder gesagt, und jedes Mal war er enttäuscht. Darum war er nun ganz heiter, als er die Hütte betreten hatte – mehr als eine Woche mit ihr allein, hier oben. Hier konnte sie ihm nicht ausweichen; alles würden sie gemeinsam machen.

      Es dauerte nicht lange, bis ihm Zweifel an seiner Zuversicht kamen. Alice begann, kaum dass Frank von dem Käse gegessen hatte, ihre Beziehung zu thematisieren. »Es wäre besser gewesen, wenn wir auf diese Reise verzichtet hätten«, eröffnete sie das Gespräch, während Frank sich selbst und ihr Rotwein einschenkte und mit der Gabel nach einer Olive griff. – »Ich weiß gar nicht, wie ich das aushalten soll, eine Woche hier. Ich habe versucht, dich noch im Büro anzurufen, aber du warst schon losgefahren. Ich wollte dir sagen: ›Bleib, wo du bist.‹ Hier gibt es nichts mehr zu tun.« – »Zu tun?« Frank machte ein fragendes Gesicht. »Ich bin nicht gekommen, um zu arbeiten, sondern um die Tage mit dir zu genießen.« – »Das meine ich ja.«

      Alice nahm einen kleinen Schluck aus ihrem Glas. »An unserer Beziehung gibt es nichts mehr zu arbeiten. Man müsste sie umformen, aber ich weiß auch nicht, wie. Am besten ist es, wenn du morgen gleich wieder zurückfährst. Die Nacht kannst du bleiben. Um acht ist es hell, dann findest du auch den Weg. Ich gebe dir noch eine Decke, dann kannst du auf dem Sofa hier schlafen. Ich gehe nach oben. Du musst mich nicht wecken. Fahr einfach los. Wir sehen uns dann ja bestimmt im neuen Jahr wieder.« Frank schwieg. Das schien ihm das Beste zu sein. Früher hatte er bei solchen Äußerungen problematisiert, gekämpft, widersprochen. Jetzt wollte er einfach, dass etwas geschah. Sie schwiegen eine Weile, nahmen ab und zu einen Schluck Wein aus ihren Gläsern und schauten in das offene Feuer. Irgendwann griff Alice Frank zwischen die Beine, stimulierte ihn, und sie schliefen miteinander auf dem Sofa, das zu seiner Übernachtung dienen sollte. Danach nahm Alice ihr Weinglas, verabschiedete sich und ging nach oben. Frank starrte in den Kamin. Alice warf eine Decke über die Brüstung und sagte noch einmal »Gute Nacht!«. Frank leerte die Flasche, die noch halb voll war, und schlief, ermüdet von der Hitze des Feuers und dem Rotwein, sofort ein. Es gab einen lauten Knall, der ihn weckte und aufspringen ließ. Draußen war es hell. Etwas brannte vor dem Haus. Als er, halb bekleidet, hinauslief, sah er, dass es sein Auto war. Er lief zurück ins Haus und rief nach Alice, aber sie gab keine Antwort. Er stürzte die Treppe hinauf. Ihr Schlafzimmer war leer, das Bett unbenutzt. Frank lief zurück nach unten, zog sich Hose, Hemd, Pullover und Schneejacke an und sprang in seine Fellstiefel, um Alice draußen suchen zu können. Dort rief er erneut, etliche Male, aber in den Brandgeräuschen ging seine Stimme unter.

      Er sah Fußspuren im Schnee, die in den Wald führten, und befürchtete das Schlimmste. Frank suchte in der Küche nach ihrem Wagenschlüssel, um den Spuren folgen zu können und sie zu finden, nach Hause zu bringen. Er fand sie in der Besteckschublade und saß schon in ihrem Jeep, aber es gelang ihm nicht, ihn zu starten. Also entschloss er sich, nach einer Lampe zu suchen, um den Spuren im Schnee zu Fuß folgen zu können. Er fand eine leidlich geladene Akku-Lampe mit einem Band, sodass er sie um seinen Hals hängen konnte. Frank lief in westlicher Richtung, wohin die Fußspuren führten. Nach zwanzig Minuten gelangte er an eine Weggabelung. Ein Schild wies in die Richtung einer Bahnstation, das andere hinunter zum See. Rad- und Fußspuren gab es auf beiden Wegen. Frank entschloss sich, zuerst hinunter zum See zu laufen. Nachdem er eine Viertelstunde diesem Weg gefolgt war, endete er mitten im Wald. Die Fußspuren zeigten wieder zurück in die Richtung, aus der er gekommen war.

      Die Angst macht uns blind zu sehen, dass Spuren auch zurückführen, dachte er und kehrte zurück zu der Weggabelung, um von dort in Richtung Bahnhof zu laufen. Erst nach dreißig Minuten gelangte er an das Ende des Weges und sah hier das Gleiche: Die Spuren führten zurück, ihm entgegen. Als er das wahrgenommen hatte, erlosch seine Lampe vollends, die er immer nur für wenige Sekunden eingeschaltet hatte, um den Weg nicht zu verfehlen und um zu sehen, ob Alice oder die Person, welche die Spuren hinterlassen hatte, vielleicht vom Weg abgewichen war.

      Frank entschloss sich, zurückzugehen zur Hütte und dort auf den Tagesanbruch zu warten. Als er ankam, sah er, dass sein Auto nicht mehr brannte, sondern nur noch glühte. Der Tank war explodiert, und viele Teile des Autos lagen verstreut in einem Radius von sicher fünfzig Metern umher. Wenn Alice in dem Augenblick zurückgekommen war, als der Tank in die Luft flog? Frank ging in die Hütte. Weil das Feuer im Kamin nicht mehr brannte, war es dunkel. Er holte ein paar Holzscheite, legte sie auf die Glutreste und blies hinein, um das Feuer wieder zu entfachen. Nach ein paar Minuten fingen die Scheite an zu brennen, und es wurde wieder heller und wärmer. Frank holte noch einen Arm voll Holz von draußen und stellte fest, dass es heftig zu schneien begonnen hatte. Er warf die Scheite dicht neben den Kamin und legte sich direkt davor, um sich zu wärmen und um ohne aufzustehen neues Holz auf das Feuer werfen zu können. Erschöpft schlief er ein. Als er erwachte und auf die Uhr sah, war es bereits Mittag, aber sehr dunkel draußen. Es hatte die ganze Zeit weiter geschneit. Die Eingangstür ließ sich nicht öffnen, weil eine Schneewehe sie versperrt hatte. Frank verspürte Hunger und entschied sich, in die Küche zu gehen, etwas zu essen und dann erneut nach Alice zu suchen.

      Als er auf die Küche zuging, hörte er Geräusche. Er ging leise hinzu, drückte vorsichtig die Türklinke hinunter und öffnete mit einem schnellen Schub seines linken Arms die Tür, gefasst darauf, in eine Auseinandersetzung mit einem Fremden zu geraten. Am Küchentisch, im Pyjama, saß Alice, aß ein dunkles Brot mit Sirup und schaute aus dem Fenster. Sie drehte sich nicht um zu Frank, als er den Raum betrat. »Ich dachte, du wärest weg«, sagte sie, ohne hörbare Teilnahme an dem Geschehen. Und Frank: »Ich dachte, auch du wärest weg. – Entführt, verlaufen oder sonst was. Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren.« Frank sank auf den zweiten Küchenstuhl und stieß einen langen Seufzer hervor. »Ich dachte, ich wäre dich endlich los – für immer«, antwortete Alice. Und Frank: »Warum bist du weggelaufen?« – »Ich war doch immer hier«, sagte Alice. »Ich dachte, ich bin dich endlich los«, wiederholte sie, als Frank nichts sagte. »Ich wollte dich zurückholen, und du warst hier. Ich war verrückt vor Angst, dich verloren zu haben.« Alice schaute ihm jetzt in die Augen: »Ich hatte Angst, dich nicht verlieren zu können.« Frank verstand nicht, was sie damit meinte, und schaute sie etwas ratlos an. »Alle Angst dreht sich immer um den Verlust«, sagte er und schaute aus dem Fenster auf das anhaltend dichte Schneetreiben. Ihm wurde mit einem Male klar, dass sie die Hütte vorläufig nicht würden verlassen können. Nicht bevor es aufhörte zu schneien und auch dann wahrscheinlich nicht, weil der Weg schon jetzt mit mehr als einem halben Meter Neuschnee bedeckt war. Frank spürte Furcht davor, die weiteren Ereignisse nicht selbst bestimmen zu können. Er beschloss, noch einmal in die Garage zu gehen und zu versuchen, ihr Auto erneut zu starten. Als er die Garage betrat, entdeckte er in der linken Ecke etwas, was er gestern in der Eile nicht bemerkt hatte: fünf oder sechs alte Wegschilder, die Aufschriften mit verschiedenen Ortsnamen trugen. Frank drehte sich um, er wollte in das Haus zurückgehen, um Alice zur Rede zu stellen. Da stand sie schon hinter ihm und sagte: »Ich fürchte, ich weiß nicht mehr, wo diese Schilder standen.«

      Sie liebten sich schnell und heftig, an ihren alten Jeep gelehnt. Auf dem Weg zurück ins Haus griffen sie beide so viele Holzscheite, wie sie tragen konnten. Zurück in der Hütte vernahmen sie eine Männerstimme aus einem Funkgerät in der Küche. Frank hatte gar nicht bemerkt, dass Alice es mitgebracht hatte.

      »Frank, seid ihr in Ordnung? Wir holen euch da raus, sobald es aufgehört hat zu schneien.«

      Frank öffnete wortlos den Boden des Geräts und nahm die Batterien heraus. Er gab sie Alice, die damit in den Wohnraum ging, sie in den Kamin warf, wo sie nach ein paar Minuten mit einem lauten Knall zerplatzten.

      Paula, der Fisch und der Tod

      Paula hatte Peter gefragt, ob er ein, zwei Stunden Zeit für sie habe, nur um zu reden, in einem Café vielleicht. Sie brauche seinen Rat. Peter zögerte keinen Augenblick, sondern erklärte sich sofort bereit und hatte auch schon einen Vorschlag für eine Lokalität. Café Schubert. Ein paar Stunden später,


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