Krimi Sammelband 12001: Riesen Mords-Paket November 2019 - 1000 kriminelle Seiten. A. F. Morland
„Tja, wer Gunda kannte, konnte sie fast jede Woche in einer Fernsehproduktion bewundern.“
„Aber alles Miniszenen – oder?“
„In der Regel – ja.“
„Das würde ich mir gerne mal anschauen.“
„Kein Problem.“
3
Er kam schnell mit den Kopien zurück und Lisa faltete erleichtert seufzend die Blätter zusammen. Sie hasste Abschreiben, bei dem man sich keinen Fehler erlauben durfte.
„Es sieht aber nicht so aus, als habe Gunda Harsfeld jemals eine Hauptrolle gespielt.“
„Ganz richtig, das hat sie nie. Obwohl sie viel dafür gegeben hätte.“
„Was hat sie denn so gespielt?“
„Platzanweiserin im Kino. Verkäuferin im Süßwarengeschäft. Kellnerin in einem Restaurant. Bardame. Kundin im Frisiersalon. Reisende in einem Intercity-Abteil. Busfahrerin. Neugierige Passantin an einem Tatort. Oder auch Opfer bei Schießereien. Tote nach einem Busunglück oder einem Dammbruch.“ Schröder grunzte mitleidig. „Sie war sehr gut als Opfer, besonders, wenn sie wenig oder gar nicht bekleidet war …“
„So was wie die Reichswasserleiche?“
„Nein, so weit hat es Gunda nie gebracht“, verbesserte Schröder.
„Dann hat sie also nie einer bekannteren oder prominenten Schauspielerin eine wichtige Rolle weggenommen?“
„Nein, nie. Gunda spielte ausschließlich Kleinzeug.“
„Sie war eine hübsche Frau, sehr ansehnlich, nicht wahr?“
„Ja, auch sehr sexy. Für ihre Figur und ihr Aussehen tat sie auch sehr viel. Bräunungsstudio und Gymnastik, Fitnesstraining und so weiter.“
Lisa hatte den Unterton nicht überhört und musterte Schröder scharf. „Sie tat also auch sehr viel für so kleine Rollen, meinen Sie?“
„Oh ja. Brutal formuliert: Sie drückte sich durch so ziemlich jedes Bett, wenn nur eine winzige Rolle dabei heraussprang.“
„Auch durch Ihr Bett, Herr Schröder?“
Er zögerte zwei Sekunden: „Ja, obwohl sie den Laden gut genug kannte, um genau zu wissen, dass ich auf die Besetzung von Rollen wenig oder keinen Einfluss habe.“
„So ehrgeizig?“
„Ja, wie besessen!“
„Oder brauchte sie das Geld?“
„Nein. Das ist das Komische an Gunda.“
„Das war …“, berichtigte Lisa sanft.
„Wie bitte?“
„Das war das Komische, Gunda Harsfeld ist tot, Herr Schröder.“
„Verdammt ja. Tot. Dann klingt es ziemlich herzlos, was ich über sie erzähle, nicht wahr?“
„Könnte man so sagen, ja.“
„Ist aber nicht so gemeint, sondern nur die Wahrheit. Ich mochte Gunda gut leiden, sehr gut sogar. Sie hat mir oft leidgetan. Aber gegen diese verdammte Leidenschaft und den Drang vor die Kamera kam auch ich nicht an.“
„Haben Sie dafür eine Erklärung?“
„Indirekt vielleicht. Sie hat mir einmal erzählt, dass sie sehr erleichtert war, als ihre Mutter starb. Denn die Mutter habe ihr immer vorgeworfen; erst mit ihren engen Hosen und tiefen Ausschnitten habe das ganze Elend doch begonnen.
„Welches Elend, Herr Schröder?“
„Das habe ich sie auch gefragt, aber nie eine vernünftige Antwort bekommen.“
„Hoffte sie denn jetzt noch auf den großen Durchbruch?“
„Glaube ich nicht, sie war schon über vierzig.“ Lisa sah ihn erstaunt an, aber Schröder nickte bestätigend. „Zweiundvierzig, um genau zu sein, Frau Hauptkommissarin. Und sie hatte das Gewerbe von der Pieke auf gelernt und erlitten. Und dieses Gewerbe kann verdammt grausam sein, wenn Sie nicht mehr jung sind, Falten bekommen und keinen Erfolg haben.“
„Sie haben eben gesagt, Gunda Harsfeld sei auf das Honorar nicht angewiesen gewesen?“
„Nein, sie hatte von ihrer Mutter ausreichend geerbt. Für ihren Lebensunterhalt musste sie nicht arbeiten.“
„Herr Schröder, kennen Sie die Familie, die Verwandten? Wen müssen wir vom Tod der Gunda Harsfeld benachrichtigen?“
„Keine Ahnung. Nein, bestimmt nicht. Gunda hat, wenn sie überhaupt mal auf ihre Familie zu sprechen kam, pausenlos auf Vater und Mutter geschimpft. Wenn mich nicht alles täuscht, hat sie ihre Mutter verachtet. Reich und frigide, das war Gundas Urteil dazu. Bodo, ihren Vater, hat sie gehasst. Feige und gewissenlos war er in ihren Augen gewesen. Warum das so war, hat sie nie verraten. Ich bringe Sie gleich zu unserer Personalabteilung. Vielleicht wissen die mehr über Angehörige.“
„Sie hatten also einmal ein Verhältnis mit Gunda Harsfeld?“
„Nein, wir haben ein paar Mal miteinander geschlafen, aber kein festes Verhältnis.“ Dann schaute er hoch und begann zu grinsen.
„Nein, keine Eifersucht auf die anderen Männer, Frau Koschwitz.“
„Trotzdem muss ich Sie fragen: Wo haben Sie sich gestern Nachmittag und gestern Abend aufgehalten?“
„Bis zur Tagesschau hier in meinem Büro. Dann habe ich mit Kolleginnen und Kollegen im Fernsehraum eine Produktion der schmutzigen Konkurrenz angesehen. Bis einundzwanzig Uhr fünfundvierzig, und anschließend haben wir auf das Fiasko der Konkurrenz drüben im Studiolokal ein paar Biere gekippt.“
„Dafür gibt’s Zeugen?“
„Zwei Dutzend, wenn Sie wünschen.“
„Wir werden aus diesem Gespräch ein Protokoll herstellen, das Sie noch bei uns im Präsidium unterschreiben müssen.“
„Himmel, muss das sein? Sie sitzen doch draußen an der Hindenburgstraße, nicht wahr? Ich wohne hier in Rahlstedt. Keine Viertelstunde zu Fuß vom Studiogelände. Zu Ihnen ist es eine halbe Weltreise, besonders morgens beim Berufsverkehr.“
„Okay. Ich brauche eine Visitenkarte von Ihnen. Wir melden uns rechtzeitig, und ich bringe das Protokoll mit, das können Sie dann hier unterschreiben. Ist das ein kriminaler Service nach Ihrem Herzen?“
„Großartig. Ich werde sofort darauf dringen, dass alle unfreundlichen Passagen über die Hamburger Kripo sofort aus den Drehbüchern gestrichen werden.“
„Fein, aber bitte Wort halten!“ Lisa gab ihm eine Visitenkarte und packte ihr kleines Aufnahmegerät ein. „Übrigens arbeite ich beim Landeskriminalamt.“
„Auch das wird in Zukunft in allen unseren Produktionen besser wegkommen.“
„Ich danke heftig. Und wenn Sie mich jetzt bitte in ihr Personalbüro bringen würden. Ach, und noch eine Bitte, Herr Schröder. Ein paar jüngere Fotos von Gunda Harsfeld und einige Filmausschnitte würden uns sehr helfen.“
„Wenn’s der Gerechtigkeit dient, auch das!“
4
Die Personalabteilung wusste auch nicht mehr, als auf der Schröderschen Karteikarte vermerkt war. Auf Lisas Bitten hin wurde sie auch in die Honorarabteilung begleitet und staunte dort über die bescheidenen Summen, die Gunda Harsfeld verdient hatte. „Sie hat natürlich auch noch für andere Firmen gearbeitet und gelegentlich synchronisiert. Aber Millionärin ist sie hier nicht geworden.“