Und dann noch die Liebe. Alexander Oetker

Und dann noch die Liebe - Alexander Oetker


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Griechenlands, sozusagen in der linken oberen Ecke.«

      Mir gefiel diese einfache Erklärung der geographischen Lage. Ich begann sie zu mögen. Ja, ich mochte sie wirklich. Sie war selbstbewusst, sie war klug. Wie viel wusste sie von den Plänen ihres Ministers? Ich fragte es mich und schämte mich im selben Moment dafür.

      »Und wo stammst du ursprünglich her? Berlin oder Paris?«

      Ich stockte. Natürlich wusste ich, dass diese Frage kommen würde. Mehr über mich, meine Geschichte, meine Vergangenheit. Mir war jetzt sehr nach Sex zumute.

      »Ich bin in Berlin geboren, in Lille aufgewachsen und hab dann wieder in Berlin studiert.«

      »Und deine Familie?«

      Eine längere Pause, ein Schluck aus dem dritten Glas Gin Tonic, ich hatte an der Rezeption nachgeordert.

      »Meine Eltern sind getrennt, mein Vater lebt noch in Lille. Meine Mutter …«

      »Schon gut«, sagte sie, weil sie spürte, dass ich nicht konnte, selbst wenn ich gewollt hätte. Sie sprach die zwei Worte sanft aus, ich ging darüber hinweg, sah sie erst mal eine Weile nicht an, doch sie nahm es mir ab, erzählte ein wenig von ihrem Tag, nichts Geheimes natürlich. Nur etwas über die Anreise, der griechische Minister flog mittlerweile Economy. Die EU-Finanzminister mochten diese neue Bescheidenheit, doch der Hauptgrund war wohl, dass es wirklich Geld sparte. Ich wiederum erzählte von meinen Schalten, vom Abendessen und wie sehr es mich freute, dass sie mein Tinder-Bild gematcht hatte. Zeit für Annäherung.

      Nun liegt sie vor mir, ich weiß nicht, wer betrunkener ist, sie oder ich. Ich küsse sie, heftiger, ich löse mich von ihr, betrachte ihren Körper, streichele über ihre Haut, dann senke ich den Kopf wieder. Ich küsse ihre Arme, gleite tiefer, sie nimmt meinen Kopf in die Hände und zieht mich nach oben, um mich zu küssen, ich öffne ihren BH, schnell, mit einer Hand, streife ihn ab und betrachte sie, es ist ein unglaubliches Gefühl, im schummerigen Licht der Nachttischlampe ahne ich mehr, als ich sehe. Ich mag ihre Brüste, ich spüre, wie ich mit einem Schlag glücklich werde, glücklich und erregt. Ich senke meinen Kopf, küsse sie weiter, sanft, dann drängender, meine Hand fährt in ihre Hose, sie hat ihre Hände an meinem Hintern. Ich beiße sie in die Brust, ich will ihre Lust entfachen, stärker, schneller. Ich knöpfe ihre Hose auf, sie lässt es geschehen, stöhnt leicht. Und ich, mutiger, ziehe die Hose herunter, und in einer einzigen fließenden Bewegung gleitet meine Hand in ihren Slip, passend zum BH, weiße Spitze, sehr schön, sehr teuer. Die Krise hat offenbar noch nicht auf alle Bereiche griechischen Lebens übergegriffen, denke ich und hasse mich, weil ich den verdammten Zynismus nicht aus mir rauskriege, nicht einmal in diesem Moment. Ich spüre ihre Feuchte, spüre sie, streiche über ihre rasierte Scham. Dringe mit dem Finger in sie ein.

      »Careful«, stöhnt sie. Vorsichtig.

      Ich lasse nicht nach.

       »Careful, slowly.«

      Ich bewege meinen Finger heftiger, dann einen zweiten. Sie macht sich eng, ich denke, es gefällt ihr nun doch, dann wird sie noch enger, sie windet sich und setzt sich auf.

      »Junge, stopp! Das ist keine Liveschalte. Der harte Tag ist vorbei. Du kannst entspannen. Es gibt hier nichts zu gewinnen.«

      Sie sagt das deutlich und dennoch lächelt sie. Ich erstarre, senke den Kopf. Sie hat mich belehrt. Ich bin beleidigt, dabei weiß ich, dass sie recht hat. Oder? Ich habe es einfach nicht geschafft, ihre Lust in dem Maße zu wecken, wie sie meine geweckt hat, allein durch ihren Anblick. Ich küsse sie vorsichtig auf den Mund, sie erwidert den Kuss, spielt mit meiner Zunge. Es ist nicht vorbei. Ich atme erleichtert auf.

      Dann spüre ich ihre Hand, die meinen Gürtel öffnet, in meine Hose gleitet. Die Party kann beginnen.

      Schönwalde, Brandenburg

      April 1945

      Ich werde mich für immer an die braune Uniform erinnern. Eine braune Jacke, eine braune Hose. Ich erinnere mich an nichts sonst, nicht daran, ob er ein freundliches Gesicht hatte oder ein fieses.

      Ich weiß, er ist ein Familienvater aus dem Dorf, wohnt im letzten Haus vor der großen Wiese, danach führt die Straße durch den Wald nach Basdorf. Er ist einer von einer Handvoll SA-Männern in unserem Dorf. Die letzten Jahre hat er mit seinen Kumpanen über das Dorf gewacht. Nein, Angst und Schrecken haben sie hier nicht verbreitet, dafür waren sie zu eingebunden in die Dorfhierarchie, und es gab ja auch niemanden, den sie jagen konnten. Er war einfach immer da, nicht gut anzusehen, mein Vater hat ihn gemieden, so wie er alles mied, das mit Hitler zu tun hatte. Doch nun spürt der Mann, dass es zu Ende geht. Er fährt auf dem Fahrrad durch unsere Siedlung, ich höre ihn, bevor ich ihn sehe, weil er in seiner Hand diese Glocke hält und ständig und vernehmbar bimmelt.

      Er ruft: »Schönwalde wird geräumt. Die Russen sind schon über die Oder. Schönwalde wird geräumt.«

      Dann fährt er weiter. Wer gerade weiter hinten im Garten ist, wird es nicht hören. Aber was sollen wir schon im Garten machen? In unserem Garten liegt eine Brandbombe. Seit gestern Mittag. Gestern war Hitlers Geburtstag.

      In den letzten Jahren sind wir häufig im Keller gewesen oder im Bunker weiter hinten in der Straße. Es gab viele Luftangriffe, die schweren Flieger, die großen Bomben. Nebenan in Basdorf ist die Bramo, das Werk der Brandenburger Motorenwerke, zu BMW gehören sie, und sie bauen dort Flugzeugtriebwerke und reparieren Flugmotoren. Die Briten bomben über unseren Dörfern und manchmal sind wir tagelang nur im Keller.

      Dann kamen die Tiefflieger. Ziemlich plötzlich, der Alarm hatte uns nur drei Minuten gegeben. Es waren kleine Flugzeuge, ich habe eines gesehen, direkt über uns. Die Brandbombe landete im Garten und zündete nicht. Sie hätte auch nichts anrichten können, in diesem Jahr hatten wir nichts angebaut.

      Zweiundzwanzig Meter. So weit lag sie vom Hauseingang entfernt. Zweiundzwanzig Meter weiter westlich. Dann wäre unser Haus abgebrannt.

      Ein Splitter des Angriffs traf meine Schulfreundin in die Brust, sie war auf dem Weg zu ihrer Mutter, mitten auf der Dorfstraße. Sie schaffte es noch bis zu ihrem Haus, dann brach sie zusammen. Sie kam ins Krankenhaus, sie konnte nicht mit uns fliehen.

      Die Russen. Einmal im Monat bin ich im Kino gewesen, mit Elfriede, auch 44 noch, als das Kriegsende weit weg schien, und wir, die Deutschen, auf der Siegerstraße. Meine Chefin, bei der ich das Pflichtjahr absolviert hatte, steckte mir immer eine Reichsmark zu. »Aber sag es niemandem, Ilse«, sagte sie immer. Das Kino lag in der Dorfmitte, ein flacher Bau. Wir waren sechzehn, wir durften nicht in die Filme. Aber ich kannte den Vorführer, den Vater meiner besten Freundin. Er ließ uns durch die Hintertür hinein.

      Vor dem Film kam immer Die Deutsche Wochenschau. Da sprachen sie über die Russen. Über die Barbaren, die Unmenschen aus dem Osten. Die uns vernichten wollten. Dass Hitler das nicht zulassen würde. Er habe alles unternommen, seine Truppen kämpften für uns und unser Volk. Die Erfolge im Osten seien fundamental. Ich sah mit großen Augen zu. Nun waren die Russen schon über die Oder.

      Die letzten Wochen spürten wir im Dorf, dass alles anders werden würde. Wir waren kopflos. Alle. Jung und Alt. Die Alten, weil sie all das schon einmal erlebt hatten, keine dreißig Jahre war das her. Und wir, weil wir spürten, dass die Alten nicht mehr schliefen.

      Niemand schloss sein Haus ab in diesen Tagen, das Chaos hatte schon begonnen. Am Hitlergeburtstag waren ein paar Italiener zu uns gekommen, ohne anzuklopfen. Sie waren von den Badoglio-Truppen, raunten sie in der Siedlung, Soldaten, gesandt von Mussolinis Nachfolger, niemand wusste, auf welcher Seite sie nun standen. Sie quartierten sich im Keller ein und kochten Nudeln in unserem Heizkessel. Ich habe einen Blick riskiert und gesehen, wie die weißen Teigwaren in der Brühe schwammen, in denen ich sonst die Sachen meiner Stiefmutter und meine eigenen wusch. Sie verschwanden am nächsten Morgen wieder, an dem Tag, an dem auch wir fliehen sollten.

      Unseren Wagen haben wir schon gepackt. Einen Handwagen. Wir haben keinen Pferdewagen, weil wir keine Pferde haben. Wir sind zu zweit. Meine Stiefmutter und ich. Martha und Ilse.

      Fritz, mein Vater, ist schon mehr als ein


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