Omnipotens. Thorsten Klein
„Auf Psyche sowieso, aber auch ganz allgemein.“
Nicht einmal der gewiefteste Quizmaster hätte des Herzogs Lächeln imitieren können, das er bei dieser Antwort zeigte. Es gab keine Hinweise darauf, inwieweit die Antwort wirklich zutraf.
Mir half es trotzdem. Ich hatte diese Art seines Lächelns bereits kennengelernt. „Aber Richard Rath lebt noch?“, fragte ich deshalb.
Die Miene des Herzogs zeigte mir, dass er Spitzfindigkeiten mochte. „Die vielen Leben und Masken des Herrn Richard Rath sind natürlich ein Thema, das sich nicht in einem Satz erörtern lässt, sondern längere Zeit in Anspruch nimmt. Hast du die Zeit dafür?“
„Ich habe Urlaub.“ Ich machte es mir bequem und war bereit, eine sehr lange Zeit zuzuhören.
„Dein Urlaub dauert nicht lange genug, um alles zu erfahren. Die Antworten auf deine Fragen werden einige Wochen in Anspruch nehmen und dich möglicherweise dazu bringen, wieder als Chronist aktiv zu werden.“
„Wenn es Richard Kummer nicht mehr gibt, kann ich auch nicht sein Chronist sein.“
„Du musst ja nicht sein Chronist sein. Es gibt auch noch andere MindScripte, als nur das von Richard Kummer.“
„Deins zum Beispiel?“
„Meins zum Beispiel. Aber auch die Augusta, Sophia Demeter, selbst mein Bruder, sie alle haben MindScripte veröffentlicht. Selbstverständlich sind die meines Bruders am langweiligsten.“
„Selbstverständlich. Und die des schwarzen Herzogs sind am spannendsten.“
„Richtig. Leider würdigt das keiner. Ich habe einen schlechten Ruf, musst du wissen. Völlig unberechtigt natürlich.“
„Absolut unberechtigt. Du bist einer jener Menschen, die vollkommen verkannt werden, weil sie aus der üblichen Norm schlagen.“
Der Herzog schien mir mit einem heftigen Nicken zustimmen zu wollen, runzelte aber plötzlich die Stirn und sah mich genauer an. „Verarschst du mich vielleicht?“, fragte er und fuhr dann erklärend fort: „Ein MindScript ist nicht besonders helle, weißt du. Und es versteht überhaupt keine Ironie.“
Ich benötigte ein Räuspern, bevor ich antworten konnte: „Falls das so rübergekommen sein sollte, entschuldige ich mich. Natürlich will ich wissen, wie es weitergegangen ist. Ist Richard Kummer gestorben, kann ich nicht mehr sein Chronist sein. Für eine gute Story bin ich immer bereit, einen anderen Job anzunehmen.“
„Dann habe ich einen für dich: Werde mein Chronist.“
„Und was bietest du mir dafür?“, fragte ich. Und gab mir große Mühe, desinteressiert zu klingen. Denn diesen Job wollte ich unbedingt.
„Ich erzähle dir, wie es weiterging. Natürlich biete ich dir die spannendste Version von den Vielen, die ich dir aufgezählt habe. Ich hoffe, ich habe mich beeilt. Sophia oder die Augusta sind mir nicht zuvorgekommen?“
Der Herzog sah sich um, als würde ich irgendwo schöne Frauen versteckt halten, konnte aber keine finden.
Ich auch nicht. Leider. Aber ich war interessiert. „Die Augusta oder Sophia sind auf dem Weg hierher? Sind sie auch in der Realität so überirdisch schön, wie sie Richards MindScript gezeigt hat?“
„Warum nicht? In der Zeit, in der wir leben, ist die Optimierung des eigenen Aussehens kein Problem mehr. Vor allem, weil sie ohne die Zuhilfenahme von Schönheitschirurgie funktioniert. Falls Frau darauf Wert legt, kann sie durch überirdische Schönheit glänzen.“
„Legt nur Frau darauf Wert? Männer nicht? Du siehst jedenfalls aus wie ein germanischer Junggott.“
„Bei mir ist das etwas Anderes. Ich sehe seit meiner Geburt so toll aus, denn ich bin ein Gott. Als solcher muss man auch so aussehen. Schließlich ist man das den anderen Göttern und der allgemeinen Erwartung der Menschheit schuldig … Keine weiteren Fragen zu meiner Herkunft“, wehrte er ab, noch ehe ich richtig den Mund dazu aufmachen konnte. „Darum geht es hier nicht. Nicht meine Geschichte, sondern die Geschichte Psyches ist von Bedeutung. Meine Bedingung ist: Wenn du einwilligst, mein Chronist zu sein, kommen die anderen nicht zum Zug.“
„Du stichst sie also aus?“, fragte ich.
„Wie immer.“, strahlte der Herzog.
„Was habe ich davon, dir irgendwelche Exklusivrechte einzuräumen?“, fragte ich weiter.
„Die spannendere Story“, war er sich sicher.
„Du wiederholst dich. Vielleicht gleicht ja die Gesellschaft schöner Frauen deren mangelnde Fähigkeit zum Spannungsaufbau aus? Ich ziehe die Gesellschaft schöner Frauen immer vor.“
„Was den Vorzug der Gesellschaft schöner Frauen betrifft, bin ich ganz deiner Meinung. Aber glaube mir, man kann mit holografischen Frauen bei Weitem nicht so viel anfangen, wie mit denen aus Fleisch und Blut“, hielt mir der Herzog entgegen.
„Akzeptiert. Dann stelle ich eine andere Bedingung: Habe ich meine Arbeit als Chronist für dich beendet, bringst du mich mit jemandem vom Hohen Rat zusammen, der mir weitere Geschichten erzählen kann.“
„Einverstanden. Wo soll meine Erzählung beginnen?“
„Dort, wo Richard Kummers MindScript aufhörte. Bei dem Schlamassel, den ihr auf Psyche zurückgelassen habt. Erst war Weltkrieg, dann war Revolution und dann war Bürgerkrieg.“
„Jaja, aber das war nicht unser Schlamassel, sondern der der Psychaner. Unser Einmischen hatte allein mit Alexandras Heilung zu tun. Durch uns war sie krank geworden, wir mussten sie heilen. Das war nur so möglich. Jeder andere Versuch hätte sie umgebracht. Denn nur aus diesem Grund war Robert Severes Geist in ihren Kopf geflohen. Der wollte sie und Richard Kummer töten, um seine Niederlage doch noch in einen Sieg zu verwandeln.“
„Und das wusste il caskar?“
„Natürlich.“
„Und ihr habt ihn machen lassen?“
„Er suchte eine Aufgabe. Wenn die darin bestand, Götter zu töten, warum sollte er es nicht versuchen?“
„Er benimmt sich ziemlich kindisch. Seine Community auch. Ihr hättet sie davon abhalten sollen.“
„Warum? Die pubertieren nun schon fast sechshundert Jahre lang vor sich hin. Sie sollten endlich erwachsen werden. Das wollten wir erreichen, indem wir ihnen helfen, ihre Suche zu beenden.“
„Ihre Suche? Was suchen Sie denn?“
„Das ist dir nicht aufgefallen? il caskar versucht sich von seinen Eltern zu lösen. Obwohl sie die einzigen sind, die ihn unterstützen. Bcoto und Takhtusho sind arme Waisen, die nur sich selbst und ihre Geschwisterliebe haben. Sie wissen nicht einmal, wer ihre Eltern sind. Also suchen sie eine Familie. Die glaubten sie, in dieser Community zu finden. Mal sehen, wie lange sie das noch glauben.“
„Aber Ala Skaunia sucht doch nicht. Sie fühlt sich als First-Lady an der Seite ihres Anführers wohl“, warf ich ein.
„Hat sie ihm geholfen, Richard Kummer zu töten, als der unbedingt sterben wollte? Nein. Da hat sie versagt. Werden die beiden noch ein trautes Paar sein, wenn herauskommt, dass Alexandra noch lebt? Was meinst du?“
„Also ist sie doch nicht gestorben?“, frohlockte ich. Ich