Baskische Tragödie. Alexander Oetker
nur kurz, ja? Meine Tochter ärgert sich immer, wenn sie ständig mein Guthaben aufladen muss.«
»Ich kann Ihnen gerne Geld geben, Madame.«
»Ach bitte, Monsieur, was soll denn der Quatsch? Nun los, telefonieren Sie.«
Sie wandte sich ab, wohl damit er nicht das Gefühl hatte, sie belausche ihn. Er tippte schnell die Nummer von Anouks Telefon ein. Es klingelte. Einmal. Zweimal. Dreimal. Viermal. Sie nahm nicht ab. Verdammt. Er legte auf und probierte es mit dem Festnetzanschluss von Anouks Wohnung in Bordeaux. Wieder klingelte es. Nur einmal. Dann erklang auf dem Anrufbeantworter ihre Stimme.
»Salut, hier ist Anouk, ich bin nicht da, aber hinterlasst eine Nachricht, ich melde mich, sobald ich kann.«
Er prägte sich jedes gesprochene Wort ein. Ihre Fröhlichkeit, ihre Nonchalance, ihre Aversion gegen jede Förmlichkeit. Gerade wollte er ansetzen und ihr etwas aufs Band sprechen, doch dann hielt er inne, legte rasch auf und gab das Telefon zurück.
»Ist sie nicht da?«
»Wer?« Luc war in Gedanken.
»Na, Ihre Frau.«
»Ach, nein, leider nicht. Sie ist sicher einkaufen. Ich versuche es später noch mal.«
»Ein Glück«, sagte sie und stand auf, »wir sind da. Ich hasse diese Nussschale.«
Sie lachten gemeinsam, dann stand auch Luc von der alten Holzbank auf. Auf dem Weg zur kleinen Treppe sah er auf einer der anderen Bänke eine Sud Ouest liegen, die regionale Zeitung Aquitaniens. Aus Reflex griff er danach und ging von Bord. Er war in Spanien. Endlich.
Er hatte Anouk nicht in Gefahr bringen wollen, indem er ihr auf den Anrufbeantworter sprach. Sie suchten ihn – die französischen Behörden suchten ihn. Er fühlte sich, als wäre er ansteckend, giftig. Es war ein beschissenes Gefühl.
Wieder waren keine Polizisten zu sehen, nicht mal die Grenzpolizei. Er ging ein paar Schritte bis zur Station Foru Kalea, die letzte vor dem zentralen Busbahnhof. Die Häuschen in dieser Stadt waren alle im baskischen Stil gehalten, keines glich dem anderen, sie sahen aus wie gemalt, die Balkone, die Balken, alle in verschiedenen Farben, helles Blau, dunkles Grün, das tiefe baskische Rot. Und überhaupt war hier alles noch lebendiger als drüben in Frankreich, die Leute saßen zu dieser Stunde in der Bierbar an der Haltestelle, sie schauten ein Fußballspiel der zweiten spanischen Liga und diskutierten dabei unentwegt und so laut, dass von der Übertragung überhaupt nichts zu hören war.
Mit lautem Schnaufen hielt ein schlichter Linienbus vor Luc, und er stieg ein, kaufte ein Ticket beim Fahrer, der ihn nicht weiter beachtete, dann piepte es, und der Bus ratterte los, ins Land hinein, in die erste große Stadt Spaniens. San Sebastián.
Luc setzte sich in die letzte Bank und schlug die Zeitung auf. Auf der Titelseite ließen sie sich über den schlechten Zustand der Nationalstraße von Bayonne nach Hossegor aus. Darunter ein Bericht über die ungewöhnlich heftigen Stürme auf La Réunion. Er blätterte die Zeitung auf. Seite zwei: Politik. Seite drei: eine Reportage über die Ukraine. Doch auf Seite vier stutzte er. Strich die Zeitung glatt, eine Übersprunghandlung. Dann las er den kleinen Artikel, nur eine Nachricht, ganz unten auf der Seite.
Dealer in Pariser Vorstadt ermordet
Ein junger Nordafrikaner mit französischem Pass ist tot an einem Strand nördlich von Biarritz aufgefunden worden. Die Obduktion ergab, dass er schon vor mehreren Tagen gestorben ist, vermutlich an den Folgen schwerer Messerstiche. Der Mann aus der Pariser Vorstadt Nanterre galt seit Wochen als vermisst. Der polizeibekannte Mann wohnte in der berüchtigten Cité von Nanterre, er war wegen Drogenhandels und wegen Bandenkriminalität mehrfach vorbestraft. Zuletzt soll er in einem Fall von Körperverletzung in Arcachon verdächtig gewesen sein. Die Polizei in Paris gibt bisher keine Einzelheiten zu dem Fall bekannt. Im Commissariat von Bayonne aber gibt es Gerüchte, wonach der Mann einem Racheakt zum Opfer gefallen ist. Der Tote soll bestialisch ermordet worden sein, Gerüchten zufolge ist ihm die Kehle durchgeschnitten worden. Nun ermitteln die Behörden in Bayonne in dem Mordfall.
Luc starrte auf die Zeilen. Dort stand es. Schwarz auf weiß. Er fühlte sich auf einmal so müde. Er saß genau über dem Motor, er spürte die Hitze unter sich und das gleichmäßige Rattern, und gerade, als er anfangen wollte, über diese ganze Katastrophe nachzudenken – und über das, was er in San Sebastián zu tun hatte –, schlief er ein.
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