Bis ihr sie findet. Gytha Lodge
fragte Connor und lachte unnötig laut. »Wodka und Orangensaft?«
»Ich bin Sportler, Mann«, sagte Brett. »Ich kann mir keinen Bierbauch leisten.«
»Du achtest auf dein Gewicht?«, fragte Connor immer noch grinsend.
Brett antwortete nicht. Er hielt Aurora einen Becher hin. Sie schüttelte hastig den Kopf.
»Oh. Sorry. Ich … ich will keinen. Danke.«
»Wirklich?« Er schien überrascht. »Hast du keinen Durst?«
»Doch, schon. Ich nehm nur Orangensaft.«
Sie nahm ihm die Tüte ab, fand einen sauberen Becher und streckte die Hand nach der Orangensaftpackung aus.
»Wenn du dir Sorgen wegen des Geschmacks machst«, sagte er leise, als er sie ihr gab, »es ist eigentlich ziemlich süß. So, dass man es trinken kann, auch wenn man keinen Alkohol mag, weißt du?«
»Sie ist vierzehn«, hörte Aurora Connor hinter sich sagen. Er klang wütender als nötig. »Und sie trinkt keinen Alkohol.«
Für einen Moment schwiegen alle. Brett blickte weiter halb lächelnd an ihr vorbei zu Connor und sagte: »Ich dachte, deine Familie trinkt gern einen. Du, dein Dad …«
Es entstand eine heiße, drückende Stille. Connor machte zwei schnelle Schritte auf Brett zu. Aber Benners trat genauso schnell zwischen die beiden, während Brett sich langsam und immer noch lächelnd aufrichtete.
»Was hast du verdammt noch mal gesagt?«, fauchte Connor.
»Komm schon, komm schon«, sagte Benners laut. »Spring nicht darauf an. Spring nicht darauf an.«
Er drückte einen Arm gegen Connors Brust und packte dessen Schulter, aber obwohl er größer war als Connor, verlor er rasch an Boden, und seine Füße fanden auf der trockenen Erde keinen Halt.
Brett schüttelte den Kopf. »Du willst dich nicht mit mir anlegen, Alter.« So wie er es sagte, war es nicht einmal eine Drohung, nur eine Feststellung.
»Im Ernst«, sagte Benners und an Brett gewandt: »Halt dich einfach zurück. Wir wollen hier mit Freunden relaxen, nicht …«
Es war Brett, der schließlich einen Schritt zurück machte. »Schon gut, schon gut … das war … Okay. Es tut mir leid. Ich war ein Arschloch. Trinken wir was, dann fühlen sich alle besser. Hier.«
Er nahm eine Dose Kestrel und gab sie Connor, dem es nach wie vor merklich in den Fingern zuckte.
»Komm, Connor«, murmelte Benners. »Vergiss es.«
Mit klopfendem Herzen trat Aurora vor. »Es war meine Schuld. Ich … ich hätte es einfach trinken sollen. Tut mir leid, Connor.«
Connor sah sie an, und seine Miene entspannte sich ein wenig. »Nein, hättest du nicht.« Wieder entstand ein gewichtiges Schweigen. Aurora spürte die Schweißtropfen auf ihrem Rücken. Dann hob Connor die Hände und machte kopfschüttelnd ein paar Schritte zurück. »Schon gut.«
Er nahm das Bier von Brett an. Aurora sah die Kondenströpfchen auf der Dose, wie ein Spiegelbild der Schweißtropfen auf seiner Haut.
»Sorry, Mann«, sagte Brett und hob seinen Becher.
7.
Es war ein eigenartiges Gefühl, sich auf der Grundlage von Ermittlungsunterlagen Notizen zu einem Fall zu machen, mit dessen Details man vertraut war. Auch die Menschen, über die er Informationen zusammentrug, kannte Jonah, aber nicht gut genug, als dass es ihm helfen würde.
Die Stelle, an der die Gruppe und auch andere schon öfter gezeltet hatten, war kein offizieller Campingplatz und nur über einen gewundenen, undeutlich markierten Pfad durch den Wald erreichbar.
Er musste die Beschreibungen der Örtlichkeiten nicht lesen. Er hatte sie nicht einmal wiedersehen müssen. Er erinnerte sich an die immer gleichen Wege, die er beschritten hatte, während der Umkreis der Suche nur langsam ausgedehnt wurde. Er dachte daran, wie eigenartig zuversichtlich er gewesen war, eine Stelle zu finden, die vor ihm niemand entdeckt hatte. Es war zu einer Art verzweifelten Entschlossenheit geworden, die ihn getrieben hatte, die Suche bis lange nach Feierabend und an freien Tagen fortzusetzen.
Die Zusammenfassung der Ereignisse war einfach, doch sie blieben rätselhaft.
Sieben Jugendliche waren kurz nach Beginn der Sommerferien zelten gewesen. Drei von ihnen waren fünfzehn, zwei sechzehn, einer achtzehn und eine – Aurora – vierzehn Jahre alt gewesen. Keiner hatte sich vor Mitternacht schlafen gelegt, Aurora war die Erste gewesen. Sie hatte ihre Isomatte ein Stück von dem Lager weggetragen, um nicht von den anderen gestört zu werden, die getrunken, laut geredet und gelacht hatten. Außerhalb des Lichtscheins, den das Feuer geworfen hatte, war sie für die anderen unsichtbar gewesen.
Die waren nach und nach ebenfalls schlafen gegangen. Sie glaubten, Aurora in ihrem Schlafsack gesehen zu haben, doch keiner von ihnen war sich völlig sicher. Sie hatten nichts gehört, was auf eine Gewalttat hingedeutet hätte.
Am nächsten Morgen war der fünfzehnjährige Connor Dooley früh durstig aufgewacht und hatte Wasser gesucht. Dabei hatte er Auroras leeren Schlafsack gesehen und angenommen, dass sie ein stilles Örtchen gesucht hatte, um sich zu erleichtern. Als sie nach einer Weile immer noch nicht zurück war, begann er, sich Sorgen zu machen, inspizierte den Schlafsack und stellte fest, dass er von innen kalt und taufeucht war.
Connor weckte die Schwester des vermissten Mädchens, die fünfzehnjährige Topaz Jackson. Es folgte eine Suche, an der sich irgendwann alle sechs verbliebenen Jugendlichen beteiligten. Nach einer halben Stunde erklärte der sechzehnjährige Daniel Benham, dass er mit dem Rad nach Lyndhurst fahren würde, um Alarm zu schlagen. Der Einzige der Gruppe, der einen Führerschein besaß, der achtzehnjährige Brett Parker, war noch fahruntüchtig. Während Daniel nach Lyndhurst radelte, suchte Brett Parker mit den anderen weiter.
Bei der örtlichen Polizei war um 7:09 Uhr ein Anruf von Daniel Benham eingegangen, nachdem dieser festgestellt hatte, dass die Polizeiwache in Lyndhurst geschlossen war, und an die Tür eines benachbarten Hauses geklopft hatte, um von dort zu telefonieren. Der erste Streifenwagen war um 7:48 Uhr eingetroffen. Um 9:17 Uhr war eine komplette Suchmannschaft vor Ort, kurz darauf wurde die Nachbargemeinde alarmiert. Die aktive Suche dauerte fast zwei Wochen, in denen der Fall landesweit immer größere Aufmerksamkeit erregte.
Wie so viele Geschichten von verschwundenen schönen Mädchen wurde er zur Sensation und zum Gegenstand ungeheurer Spekulationen. Unendlich viele Bögen von Papier und ungezählte Sendestunden im Fernsehen wurden der Geschichte gewidmet.
Und dann war die Story irgendwann alt und ausgelaugt. Dreißig Jahre vergingen, und Aurora wurde nie gefunden.
Um vier erhielt Jonah eine kurze E-Mail des DCS, der sich nach dem aktuellen Stand erkundigte. Er war erleichtert, denn er hatte damit gerechnet, dass der DCS sich persönlich vergewissern würde, dass die Ermittlungen liefen. Auch wenn die Zusammenarbeit mit Wilkinson durchaus angenehm war, war es ihm im Moment sehr viel lieber, ihm eine kurze Zusammenfassung seiner Pläne per Mail zu schicken, als alles mündlich durchzukauen.
Zehn Minuten später bekam er eine Antwort.
Alles klar. Machen Sie als Erstes die Pressemitteilung fertig, danach können wir uns unterhalten. Ich erwarte Sie morgen nicht beim Meeting der Polizeiführung.
Das war eine Nachricht nach Jonahs Geschmack und demonstrierte eine von Wilkinsons großen Qualitäten. Er war der Ansicht, dass seine besten Beamten direkt an ihren Fällen arbeiten sollten, und sorgte hinter den Kulissen dafür, dass sie von den endlosen Sitzungen befreit waren, an denen die meisten DCIs eigentlich teilnehmen mussten.
Kurz nach 18:30 Uhr verließ Jonah die Station, um etwas zu essen. Nachdem er sich einen Tag lang mit überzuckertem Fastfood von Hoch zu Hoch gehangelt hatte, war ihm ein wenig flau, und er brauchte dringend etwas herzhaft Nahrhaftes.
Er hatte Hanson eingeladen mitzukommen, doch sie hatte lächelnd abgelehnt. Wahrscheinlich zu gleichen