Das Wolfskind und der König. Bettina Szrama

Das Wolfskind und der König - Bettina Szrama


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so leicht gemacht hat.“

      „Nein. Wir haben durchaus eine wilde Bärin gejagt, Majestät. Jetzt unterliegt Ihr einem Irrtum, wenn Ihr glaubt, die Zigeuner hätten die Bärin dressiert und aus ihr ein zahmes Tier gemacht. Die ausgerissene Nase zeugt von Tierquälerei. Regelrecht zerfetzt ist sie. Sie muss einmal einen Nasenring getragen haben und ihre Fußsohlen hatten Kontakt mit einer glühenden Eisenplatte. Die Vernarbungen jedoch lassen darauf schließen, dass sie schon länger in den Wäldern lebt. Das heißt, die Bärin wurde wieder ein wildes Tier, das es bestimmt nicht zu den Menschen zurückgezogen hat. Mehrere Jahre in der freien Wildnis …

      „… haben sie wieder ihren Urinstinkten nähergebracht. Das wolltet Ihr doch damit sagen Doktor“, unterbrach ihn Lord Monbotto. „Höchst interessante Geschichte. Die Bärin hätte mir wichtige Erkenntnisse für meine wissenschaftlichen Studien liefern können.“

      „Mylord. Eure Studien über die Lehre der angeborenen Begriffe sind von recht zweifelhaftem Ruf. Ihr betreibt Eure Studien an Menschen und Tieren. Dieser wilde Bär hier ist für solche Wissenschaften eher zwecklos. Was ihn allerdings in unsere Fangnetze getrieben hat, das würde mich brennend interessieren.“

      „Es ist schon lange her, dass eine Zigeunertruppe durch unser Land zog. Den letzten Tanzbären sah ich in der Zigeunertruppe des Zaren Peters des Großen, bei meinem Kuraufenthalt in Bad Pyrmont. Das war vor acht Jahren“, beendete der Monarch das Geplänkel zwischen den beiden Wissenschaftlern, bevor es in ein Streitgespräch ausartete. Er kannte das hitzige Gemüt seiner beiden engsten Vertrauten und wusste, dass sie nur schwer ein Ende fanden, was ihn letztendlich zu langweilen begann. Er verlor das Interesse an der Bärin, sah hinüber zum Waldesrand, hob den Arm und schickte einen Gruß zu dem weiblichen Geschlecht außerhalb der Abgrenzungen. Die Damen vom Hof, eingemummt in ihre dicken Pelze, unter ihnen seine Mätresse Melusine, grüßten mit ihren Fächern und lächelten huldvoll zurück. Kurze Zeit später sah man ihn in ihrer Mitte, galant scherzend, zwischen Wein und Wildbret seinen Jagderfolg feiern.

      Währenddessen sammelte sich die Jägerschaft zum Aufbruch. Zwischen den Rufen, dem Stampfen und Wiehern der Rosse und dem Bellen der Hunde wurde das Jagdzeug verladen. Zelte, Netze und Waffen nebst dem ganzen Küchenzubehör, Kochgeräten, Tischzeug, Geschirr, Tischen, Bänken und sonstigem Mobiliar wurden auf Wagen und Packpferden verstaut. Das erlegte Wild lag bis zuletzt aufgebahrt im Schnee.

      Der englische Doktor stand mit dem Weinglas in der Hand allein bei seinen Hunden und sah gedankenverloren hinüber zu der Lichtung, wo die Bärin in ihrem Blut lag. Der König hatte ihr der Jagdsitte gemäß, das Herz herausgeschnitten und es gemeinsam mit einem Eichenzweig unter seinen Jägern verteilt. Er zollte ihr damit großen Respekt. Arbuthnot dagegen grübelte immer noch über ihre Herkunft nach, als er sich plötzlich mit der Hand über die Augen fuhr und einen Schritt nach vorn machte. Träumte er oder narrte ihn ein Spuk? Er hatte plötzlich das Gefühl, als ob sich in der Nähe der Bärin etwas bewegte. Jetzt sah er es ganz deutlich. Aufgeregt streckte er den Hals vor und trank hastig das Glas leer. Da war es wieder – ein kleiner Schatten, der an dem Bärenkörper auf und nieder sprang, um gleich darauf mit ihm zu verschmelzen, als suchte er Wärme und Schutz. Ein Bärenjunges?

      „Da bewegt sich etwas! Da bei dem Bären!“, schrie er und warf vor Aufregung das Glas in den Schnee. Der König wandte ihm ungläubig sein Gesicht zu. Seine überraschte Frage, was er denn gesehen hätte, hörte Arbuthnot nicht mehr. Den Blick fest auf die Bärin gerichtet, rannte er den Abhang hinunter. Je näher er dem Bärenkadaver kam, umso mehr fand er sich in seiner Annahme bestätigt, auf ein Junges zu treffen.

      Der Oberhofjäger hatte auf Befehl des Königs die Hunde wieder losgemacht und folgte ihm überstürzt. Doch der erneute Tumult verscheuchte das angebliche Bärenkind. Arbuthnot stoppte enttäuscht seinen Lauf, als er es nur wenige Meter vor ihm mit einem leisen Kreischen aufspringen und auf einen Baum flüchten sah.

      „Was war das?“, hörte er den Lord in seinem Rücken keuchen, während die ersten Kugeln in den Baum krachten. Doch anstatt ihm zu antworten, schrie der Doktor aufgebracht: „Sie sollen aufhören! Es ist ein Jungtier! Sie töten es ja!“

      Das vermeintliche Bärenjunge suchte, vor den Kugeln fliehend, im Geäst des nächsten Baumes Schutz. Dann verschwand es auf Nimmerwiedersehen im undurchdringlichen Dickicht des Waldes. Die Jäger und Hunde verfolgten es noch einen Moment, während Arbuthnot den Lord daran hinderte, die Spuren zu zertreten. Aufgeregt wühlte er mit den Fingern im Schnee: „Ihr zerstört ja alles, Mylord, mit Eurem Gehopse. Die Fußabdrücke im Schnee … Es hat eher den Anschein, als gehörten sie … ich kann es kaum fassen … zu einem Menschenkind. Seht Ihr den Abdruck der Zehen. Die beiden kleineren Zehen des rechten Fußes sind offenbar zusammengewachsen.“

      „Ein Kind?“ Lord Monbotto schüttelte ungläubig den Kopf. „Ihr habt einfach zu tief ins Glas geschaut, Doktor. Wo sollte ein Kind hier in der Wildnis herkommen? Und wie sollte es den Winter überlebt haben? Der Wald steckt voller gefährlicher Tiere. Sie hätten es längst zerrissen. Ein Bärenjunges käme eher infrage. Aber wahrscheinlich ist Euch eher ein Waldgeist begegnet.“

      „Ihr habt es doch auch gesehen, Mylord?“, entgegnete der Doktor ärgerlich. Doch sicher war er sich nicht mehr. Dennoch gingen ihm die kleinen Fußabdrücke lange nicht aus dem Kopf. Er schwor mehr als einmal zur Belustigung des Königshofes, dass er ein Menschenkind bei der toten Bärin gesehen hatte. Dass er damit vielleicht nicht ganz unrecht hatte, brachte ein halbes Jahr später ein höchst seltsamer Fund zutage, der jahrzehntelang die Gemüter bis in die höchsten Kreise beschäftigen sollte.

       Ein höchst seltsamer Fund

      Jürgen Meyer schlug auf die Ochsen ein. Die massigen Tiere stemmten sich in das Joch. Aber sie liefen bei aller Mühe keinen Schritt schneller.

      „Ich hätte die Pferde nehmen sollen“, murrte der Bauer und Gildemeister der Brauerei und warf einen sorgenvollen Blick zum Himmel hinauf, an dem sich die ersten dunklen Wolken zusammenzogen. „Die Ochsen sind zu langsam. Wir haben die Fuhre zu voll gepackt, Johannes!“, rief er zurück. „Ich glaube, wir schaffen es nicht mehr, das Heu trocken einzufahren.“

      „Ich habe Euch geraten den größeren Wagen zu nehmen, Meister. Die Frösche in meinem Wetterglas hockten heute Morgen auf der untersten Leitersprosse. Das bedeutet immer schlechtes Wetter“, antwortete ihm der Knecht, der mit der Forke hinter dem Fuhrwerk lief, um das heruntergefallene Heu aufzulesen.

      „Aber heute Morgen schien die Sonne. Wer konnte denn wissen, dass das Wetter so schnell umschlägt. Wenn es nass wird, ist das schöne Heu verdorben.“ Ärgerlich pfiff die Peitsche abermals über die massigen Rücken. Das machte die Ochsen noch sturer und anstatt anzuziehen, blieben sie einfach stehen. „Was ist denn nun schon wieder los? Dumme Viecher!“, murrte der Braumeister ärgerlich und schickte sich an vom Wagen zu klettern, als er plötzlich den angehobenen Fuß wieder zurücksetzte und zur Säule erstarrte. „Hast du das auch gehört, Johannes?“

      „Was, Meister?“, kam es hinter dem Wagen hervor.

      „Das Geräusch. Es klang wie ein Rascheln im Unterholz, nur lauter.“ Er durchbohrte mit den Augen den Waldesrand zu seiner Rechten und warf dann einen ängstlichen Blick über die Schulter zurück. „Hier schleicht etwas durch das Unterholz. Wahrscheinlich Wölfe.“ Die Flanken der Ochsen begannen unmerklich zu zittern. Mit gerunzelter Stirn sah Meyer auf den Hund, der das Fuhrwerk gerade noch spielerisch umsprungen hatte. Dabei hatte das glatte blaugraue Fell samtig in der Sonne geglänzt. Jetzt ähnelte der Rücken der Dogge auffällig einer dunklen Bürste. „Der Hund hat es auch gehört!“, rief er zurück und behielt das Tier im Auge, das ein paar Meter vorlief und vor dem Gespann witternd stehen blieb. Die Nase gegen den Wind gestreckt begann die Dogge leise zu knurren. „Ruhig, mein Guter“, beruhigte ihn Meyer. Gleichzeitig rief er nach dem Knecht: „Johannes, komm nach vorn und bring die Gewehre mit!“ Gleich darauf hörte er das bekannte Klacken des Gewehrschlosses. Johannes kletterte zu ihm auf den Wagen. „Es umkreist uns“, flüsterte Meyer. „Eben war es noch neben den Ochsen, nun ist es vor uns. Hörst du das Kratzen?“

      „Die Wölfe werden immer dreister. Nicht nur, dass sie


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