Kunterbunte Kurzgeschichten. Daniela Streitenberger

Kunterbunte Kurzgeschichten - Daniela Streitenberger


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springen. Sobald die Stalltür geöffnet wird, flitze ich los. Ich hätte nie gedacht, dass es draußen so herrlich sein kann. Im Bauch meiner Mutter Sylvie war es neun Monate kuschelig warm. Eigentlich wollte ich für immer dort drin bleiben. Doch dann kam der Tag, an dem ich spürte: Ich muss raus! Von da an ging alles relativ schnell. Eine unkomplizierte Geburt sozusagen.

      Kaum hatte ich das Licht der Welt erblickt, bekam ich auch schon Hunger. Das liegt bestimmt an der frischen Luft. Ich könnte fressen wie ein Bär.

      Ach so, apropos Bär. Habe ich erwähnt, was für ein Tier ich bin? Ich glaube nicht. Also hier noch einmal in voller Ausführlichkeit:

      Ich bin Lanzelot, der kleine Stier.

      Mein Fell ist braun und hat überall Locken. Die habe ich von meiner Mama geerbt. Auf meiner Stirn habe ich einen weißen Fleck.

      Ich lebe mit meiner Mutter Sylvie und meiner Tante Mandy am schönsten Ort der Welt. Mitten auf einer großen Wiese steht unser offener Stall. Hier bin ich zur Welt gekommen. Im Stroh ist es richtig gemütlich. Ich bin die meiste Zeit bei meiner Mama. Sie passt auf mich auf, weil ich mich noch nicht so gut auskenne. Aber bald will ich auf die Weide. Ehrlich gesagt, kann ich es kaum erwarten, endlich über das saftige Grün zu springen. Es ist alles so aufregend!

      Die beiden Menschen, die ich am liebsten mag, sind Herr H. und Frau S. Die beiden kümmern sich um uns. Füttern, ausmisten und alles, was wir sonst so brauchen, geben sie uns. Die Streicheleinheiten sind das Beste. Die beiden sind immer freundlich und ich freue mich jedes Mal, wenn sie kommen.

      Mama und Tante Mandy haben schon immer zusammen gewohnt. Hier auf dem Bauernhof bewohnen sie die wunderschöne Weide. Sie schlafen im offenen Stall, in dem auch ich geboren wurde.

      Aber irgendwie mag mich meine Tante nicht. Warum, weiß ich auch nicht. Noch nie hat sie ein Wort mit mir gewechselt. Aus irgendeinem Grund bin ich Luft für sie. Seit ich auf der Welt bin, geht sie mir aus dem Weg. Auch mit Mama spricht sie nur das Nötigste. Ich habe versucht mit ihr ins Gespräch zu kommen. Statt einer Antwort erhielt ich nur Schweigen. Sie fraß einfach weiter, als hätte sie nichts gehört.

      „Seltsam!“, dachte ich. „Aber so schnell gebe ich nicht auf!“ Breitbeinig stellte ich mich direkt vor ihr Gesicht. Sie konnte mich gar nicht übersehen. Mandy hob den Kopf. Endlich! Sie hatte mich gesehen.

      „Lanzelot! Geh weg!“, schnaubte sie jedoch verärgert. „Siehst du nicht, dass ich hier fresse?“

      „Spielst du mit mir?“, fragte ich stattdessen. Doch ihr Blick verriet mir, dass das keine gute Idee war. Enttäuscht trottete ich davon. Verstehen konnte ich das Ganze nicht, also suchte ich Rat bei meiner Mutter.

      „Du, Mama?“

      „Ja, mein Kleiner?“

      „Warum mag mich Tante Mandy nicht?“

      Meine Mutter sah mich an. „Ach, mein lieber kleiner Lanzi.“ Mit diesem Spitznamen spricht sie mich oft an, was ich ziemlich cool finde. „Deine Tante Mandy mag dich. Nur leider ist sie seit deiner Geburt eifersüchtig.“

      „Eifersüchtig?“, fragte ich. „Was ist das?“

      Mama erklärte: „Vorher waren wir zu zweit auf der Weide. Wir sind die besten Freundinnen, seit ich denken kann. Wir haben uns alles erzählt und viel Zeit gemeinsam verbracht. Jetzt, mein Lieber, wohnst du auch hier. Meine meiste Aufmerksamkeit gilt dir, weil du noch klein bist. Das muss so sein und das will ich auch so. Allerdings ist Mandy traurig darüber und fühlt sich einsam.“

      Ich überlegte: „Und das macht sie eifersüchtig?“

      Meine Mutter nickte. „Ja. Sie sucht sich jemanden, auf den sie böse sein kann. Und das sind in diesem Fall wir beide. Jemand anderes ist ja nicht da.“

      Entmutigt ließ ich den Kopf hängen. „Kopf hoch, mein Kleiner. Sie braucht nur etwas Zeit.“ Sie lächelte mir zu.

      „Und wenn ich ihr einfach zeige, wie gern ich sie habe?“

      „Das ist eine schöne Idee. Doch glaube ich, du erreichst damit nur das Gegenteil. Warte noch eine Weile, bis Mandy von selbst zu dir kommt.“

      Warten. Warten war nicht meine Stärke. Warum konnte nicht gleich alles gut sein? Widerwillig folgte ich der Anweisung.

      Die kommenden Tage verbrachte ich damit, groß und stark zu werden. Wann immer ich Hunger hatte, brauchte ich nur an das Euter meiner Mutter zu gehen und mich satt trinken. Im Schlaraffenland konnte es schöner nicht sein. In den Pausen legte ich mich ins Stroh oder erkundete den Stall.

      Ab und zu kamen Besucher vorbei. Kleine und große Menschen deuteten mit dem Finger auf mich und machten verzückte Gesichter. Offensichtlich gefiel ich ihnen. Wenn ich Lust hatte, führte ich ein paar Bocksprünge vor. Das ließ mein Publikum lachen und jubeln.

      Eines Tages war es so weit. Herr H. machte das Gatter auf und ich durfte auf die Weide. Ich gebe zu, zunächst stand ich ziemlich unbeholfen vor der Tür.

      „Na los, mein kleiner Lanzi. Lauf! Du darfst auf die Wiese“, sagte meine Mutter und gab mir einen leichten Stups. „Keine Angst. Ich bin bei dir.“

      Angst? Pah. Ich hatte doch keine Angst! Ich war lediglich vorsichtig. Etwas wackelig tapste ich auf den neuen Untergrund. Das Gras war weich und warm. So etwas Schönes konnte nicht gefährlich sein. Mit einem Riesensprung galoppierte ich los. Das war das Herrlichste, was ich jemals erlebt hatte. Ich fühlte mich frei und leicht und wollte nie mehr irgendwo anders sein.

      „Lanzelot!“, rief meine Mutter besorgt. „Nicht so wild!“

      Doch das überhörte ich.

      Nachdem ich mich ausgetobt hatte, stand ich keuchend auf der Weide. Ich sah mich um. In einer Ecke entdeckte ich Tante Mandy. Sie graste. Leider hatte sich an ihrem Verhalten mir gegenüber noch nichts geändert. Für sie war ich einfach nicht da. „Wie lange das wohl noch dauern wird?“, dachte ich bei mir, als meine Mutter meinte: „Mein Kleiner, ich ruhe mich dort im Gras ein wenig aus. Du kannst hier weiterspielen. Aber bleib immer in meiner Nähe.“

      Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Sogleich begab ich mich auf einen Streifzug. Am Zaun blieb ich stehen. Neugierig schnupperte ich an einer Blume, auf der ein schwarz-gelb-gestreiftes Tier mit Flügeln saß. Ich erforschte dieses rätselhafte Wesen und war so vertieft, dass ich das, was um mich herum geschah, überhaupt nicht bemerkte.

      Erst das Rufen einer Frau aus der Ferne riss mich aus meinen Gedanken.

      „Enzo! Nein! Bei Fuß! Enzo!“

      Enzo, ein großer, schwarzer Hund, hatte sich von seiner Leine losgerissen und stürzte auf den Weidezaun zu. Genaugenommen auf mich.

      Ich dachte mir nichts dabei, denn Hunde kannte ich bereits. Viele Spaziergänger führten ihre vierbeinigen Freunde an der Wiese vorbei. Doch irgendetwas war an diesem Hund anders. Schon allein, dass er wie wild bellte. Als er näherkam, erkannte ich seine gefletschten Zähne. So schnell konnte ich überhaupt nicht schauen, war er in einem riesigen Satz über den Elektrozaun gesprungen. Kaum gelandet, wollte er sich auf mich werfen. Doch meine Tante Mandy war schneller. Schützend stellte sie sich zwischen mich und den kläffenden Hund.

      „Los! Bring dich in Sicherheit!“, rief sie mir zu.

      Ich schaute nur verdutzt drein.

      „Mach schon!“, drängelte Mandy.

      Jetzt wurde auch mir der Ernst der Lage bewusst. Mittlerweile war meine Mutter zu mir geeilt und zog mich aus der Gefahrenzone. Im Stall war ich in Sicherheit. Aber was war mit meiner Tante? Und wieso war der Hund so böse? Tausend Fragen schossen mir durch den Kopf.

      Nach einer Weile öffnete sich die Tür und Mandy stand vor mir. „Oje. Lanzi. Geht’s dir gut?“

      Lanzi? Sie hatte mich Lanzi genannt! Und sie hatte mit mir gesprochen! Meine Verwirrung wurde noch größer.

      Sie sprach weiter: „Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Nicht auszudenken, wenn dir etwas passiert


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