Befreites Christentum. Karlheinz Benninger

Befreites Christentum - Karlheinz Benninger


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Ihn begleitet aber stets Dike als rächende Strafe für die, die vom göttlichen Gesetz abweichen. An sie hält sich demütig und in die Ordnung eingefügt, wer glücklich sein will. Wer aber in Starrsinn sein Haupt hebt,… der bleibt von Gott verlassen und allein.

      In dieser Verlassenheit aber zieht er noch andere, die seinesgleichen sind, auf seine Seite. Er tanzt aus der Reihe und bringt damit zugleich die gesamte Gesellschaftsordnung ins Wanken. Und auf viele macht er großen Eindruck. Es dauert aber gar nicht lange, und er zahlt an Dike eine empfindliche Strafe: Er hat sich persönlich, sein Haus und den Staat von Grund auf ruiniert (Nomoi/Gesetze 716).

      Auf der Metaebene ist die göttliche Kybernetik der Philosophia Perennis zu erkennen, die die geistige Evolution steuert. Das ganze Geschehen lässt sich mit dem Jahreszyklus eines Apfelbaumes vergleichen: Im Frühling entfalten sich die Knospen, im Sommer wachsen die Früchte, sie reifen im Herbst, und im Winter fallen Früchte und Blätter ab und er steht wieder kahl da – ein sich immer wiederholender Kreislauf. Und doch, beim näheren Hinsehen sind Stamm und Äste gewachsen.

      Dike ist auch der Name für eine Göttin. Göttin deshalb, weil das kybernetische Gesetz als ein universales, unentrinnbares Naturgesetz erkannt wurde.

      (Euer Vater im Himmel) lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und spendet Regen für Gerechte wie Ungerechte, heißt es in der Christlichen Bibel. Weiter bei Paulus: All das wird vom Licht aufgedeckt und offenkundig gemacht; denn alles, was zu Tage kommt, ist Licht.

      Dieses Gesetz des Wachstums gilt also für Gerechtes und Ungerechtes, für Gutes und Böses. Das eine wird zu weiterer Entfaltung angespornt, das andere wie eine Seifenblase in die Selbstzerstörung getrieben.

      Alle Menschen streben von Natur aus nach Erkenntnis (Aristoteles, Metaphysik). Ihnen kommt der göttliche Logos zu Hilfe. Dieser Logos war schon zu Anfang da. Er bringt für den menschlichen Verstand das Licht der Einsicht, und das mentale Dunkel kann ihm keinen Widerstand entgegensetzen (nach Johannes 1, 1 ff).

      Zu jeder Zeit und in jeder Tradition gab und gibt es für die WAHRHEIT empfängliche Denker und Seher. Der Hindu Ram Adhar Mall sagt es so: Die göttlichen Seher sind gleichsam sehr feine Empfangsstationen für die ewige Offenbarung, die unaufhörlich ausströmt (Mall, Hinduismus 24). Die zentrale Behauptung der Philosophia Perennis lautet, dass der Mensch wachsen und sich über die ganze Hierarchie bis hin zu GEIST entwickeln kann, wo er die »höchste Identität« mit der Gottheit verwirklicht, dem ens perfectissimum, dem alles Wachstum und alle Evolution zustrebt (Wilber, Das Wahre 77).

      Die großen Seher, von Platon Propheten genannt, haben sich aus der Grauzone menschlichen Wissens hinauf zu mehr Licht bewegt. Sie haben gewisse Einsichten in die WAHRHEIT gewonnen und veraltete Vorstellungen abgeworfen. Um sich ihren Zeitgenossen verständlich zu machen, mussten sie dabei zur Bilder- und Vorstellungswelt ihrer Gegenwart greifen, wollten damit aber keineswegs ein Weltbild festschreiben.

      Da ihre Aussagen inzwischen oft Jahrtausende zurückliegen und das zugrunde liegende Weltbild von der modernen Physik in vielem berichtigt worden ist, weisen ihre Darlegungen inzwischen zwangsläufig eine veraltete, zum Teil unverständlich gewordene Bildhaftigkeit auf – sie begegnen uns gewissermaßen in sehr altertümlicher Kleidung, die schon lange aus der Mode gekommen ist. Wird die Jahrtausende alte Bilderwelt jedoch in die moderne Semantik übersetzt, vielleicht in die philosophischen Begriffe, so ergeben die alten Erkenntnisse zusammen mit unserem heutigen Wissen ein zusammenhängendes, stimmiges Gesamtbild. So gleicht die Philosophia Perennis einem Fackellauf, bei dem große Seher das Licht ihrer Erkenntnis an den nächsten, der dafür empfänglich ist, weiterreichen.

      Auf diesem langen Stufenweg hin zu Geist ist auch die christliche Lehre des Evangeliums ein bedeutendes, fortschrittliches Glied und eine der schönsten Perlen in der langen Kette der philosophischen Tradition, weil sie bereits vom griechisch-hellenistischen Geist beeinflusst ist und von seinem wissenschaftlich-philosophischen Instrumentarium Gebrauch machen konnte.

      Überall da, wo eine Wahrheit als zündende Idee bei einem empfänglichen Geist einschlägt, schafft sie Licht. Und dieses Licht bleibt jetzt in seinem Wirken irreversibel wie der Stern von Bethlehem, der ein völlig neues Paradigma von Gott und Mensch aufleuchten ließ.

       Kapitel 1

       Ein-Gott-Glaube und Monotheismus

      Obwohl sich der Ein-Gott-Glaube immer als Monotheismus ausgibt, müssen beide strikt auseinandergehalten werden. Der Ein-Gott-Glaube, griechisch Henotheismus, geht davon aus, dass es nur einen einzigen Gott gibt. Zur Zeit gibt es drei Religionen, die diesen Ein-Gott-Glauben unter dem Namen Monotheismus verfechten. Aber siehe da – sie haben von diesem einzigen Gott jeweils ein völlig anderes Bild entworfen. Ihre Gottesbilder berufen sich jeweils auf Offenbarungen, die seit vielen Jahrhunderten in ihren heiligen Schriften fixiert sind. Dem steht aber das Wesen des GEISTES gegenüber: Die Offenbarwerdung des Absoluten, besser: die Selbstpräsentation des GEISTES (Erich Jantsch), dauert zeitlos an. Es ist eine Sünde wider den GEIST (Mt 12, 31), Offenbarung jemals für abgeschlossen zu erklären: Der GEIST weht, wo er will … aber man weiß nicht, woher er kommt und wohin er weht (Joh 3, 8). Zudem sind diese altüberlieferten Gottesbilder keineswegs untereinander kompatibel. Können denn ganz und gar gegensätzliche Gottesvorstellungen oder Gottesbilder denselben Gott abbilden? Wohl kaum. Wir erleben die Anhänger des Ein-Gott-Glaubens als intolerant, denn sie lassen nur ein einziges Gottesbild gelten, nämlich ihr eigenes.

      In einem Punkt stimmen die gegenwärtigen Formen des Ein-Gott-Glaubens allerdings überein: In jeder hat Gott noch eine andere Macht als Gegenspieler, einen Widersacher, Teufel oder Satan genannt. Wo geglaubt wird, dass es neben dem einen Prinzip des Guten auch ein Prinzip des Bösen gebe, neben der Allmacht noch ein weitere Macht, weil es zu allem auch ein Gegenteil geben müsse, dort liegt kein Monotheismus vor, sondern eine Spielart des Dualismus.

      In einem regelrechten, noch nie erlebten Rausch der Zerstörung – den viele Nichtchristen voll Entsetzen beobachteten – richtete die christliche Kirche im 4. und 5. Jahrhundert eine schier unfassbare Anzahl von Kunstwerken zugrunde. Klassische Statuen wurden von ihren Sockeln gestoßen und verunstaltet, Arme und Beine abgeschlagen. Tempel wurden eingerissen und niedergebrannt. Einen Tempel, der weithin als prächtigster im ganzen Imperium galt, machten die Christen buchstäblich dem Erdboden gleich. … Auch Bücher, die damals vielfach in Tempeln aufbewahrt wurden, blieben nicht verschont. Die Relikte der größten Bibliothek der Antike, die einst an die 700 000 Bände umfasst hatte, wurden ebenfalls von den Christen vernichtet. Es sollte mehr als tausend Jahre dauern, bevor es wieder eine Bibliothek mit auch nur annähernd so vielen Büchern geben sollte. Die Werke der zensierten Philosophen waren verboten, und im ganzen Reich brannten Scheiterhaufen, auf denen die verbotenen Bücher landeten.Gerade einmal ein Hundertstel der lateinischen Literatur überlebte die Jahrhunderte. 99 Prozent sind für immer verschwunden (Nixey, Zorn 19 bis 21). Mit Äxten bewaffnete Mönche hatten ein Haus überfallen, das als Schrein

      „dämonischer“ Götzenbilder galt, und es vollkommen zerstört. Die Gewalt hatte sich rasch ausgebreitet. In ganz Alexandria hatten die Christen sämtliche Darstellungen der alten Götter beschlagnahmt; sie hatten sie aus Thermen und Privatwohnungen geholt, mitten in der Stadt zu einem großen Scheiterhaufen aufgetürmt und in Brand gesteckt … In Alexandria hatten die Christen mit Folter, Mord und Zerstörung dafür gesorgt, dass das geistige Leben mehr oder weniger zum Stillstand gekommen war … (Nixey, Zorn 318 und 320).

      Die Legitimation für ihre Zerstörungswut holten sich die Christen aus dem Alten Testament: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. … Du sollst sie nicht anbeten noch ihnen dienen. Denn ich, der HERR dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der das Vergehen der Väter heimsucht bis in die dritte und vierte Generation an den Kindern derer, die mich hassen (5 Mos 5, 7 und 9). Zerstört alle heiligen Stätten, wo die Heiden, die ihr vertreiben werdet, ihren Göttern gedient haben, es sei auf hohen Bergen, auf Hügeln oder unter grünen Bäumen, und reißt um ihre Altäre und zerbrecht ihre Steinmale und verbrennt mit Feuer ihre heiligen Pfähle, zerschlagt die Bilder ihrer Götzen und vertilgt ihren Namen von jener Stätte (5 Mos 12, 2 f) .

      2015


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