DER ÜBERHEBLICHE. Dr. Friedrich Bude
1958
Das zarte Pflänzchen der großen Liebe entwickelte sich im Schwimmbad. Dieses war von Kindheit an sommers Mittelpunkt der Freizeit.
Frieder, als Erstklässler, nackt - nur mit weißen Schlüpfern bedeckt - zieht barfuss durch die Stadt. Für den Eintritt einen 5er in der Hand, um dann im kniehohen Planschbecken mit den Händen auf dem Bassinboden balancierend das Schwimmen zu simulieren.
In der dritten Klasse schlug ein Schwimmkurs fehl.
Am Beckengeländer war ein schwenkbarer Galgen befestigt, dessen Schlinge auf seinem Rücken in einen Brustriemen eingehakt wurde. Im Wasser mit den Armen rudernd, abwechselnd tauchten Kopf und Beine in die Tiefe, ängstigt er sich, ließ die Stange des Bassinrandes nicht mehr los, schwänzt beschämt den Schwimmunterricht. Mutter hat den Kurs abgesagt.
Monate später konnte er schon wieder über andere hilflose Galgenschwimmschüler lachen, übers Jahr im Schwimmverein die ersten Wettkampfbahnen abstrampeln - bis die Leidenschaft des hin und her flitzenden weißen Zelluloidballes ihn endgültig in seinen Bann zog.
Jetzt war er 18, und das Freibad außergewöhnlich anziehend. Des Jünglings Phantasie anreizende jungfräuliche Wesen konnte man beobachten. Das Geländer des Schwimmbades war bei Wettkämpfen dicht mit Schaulustigen besetzt, wenn die nur leicht bedeckten Körper beider Geschlechter gegen andere Städte ihre Bahnen zogen.
Edub interessierten davon drei Mittelschülerinnen, welche den Großteil der zu vergebenden sportlichen Titel einheimsten.
Die eine, noch flachbrüstige Bohnenstange, glitt rücklings durchs Wasser. Ein Fisch - grazil. Ihre dünnen Ärmchen - wie langsam drehende Windmühlenflügel! Sie musste Kugelgelenke oder drehbare Scharniere in den Schultern haben, so weit griff sie nach hinten über den Kopf, die Handflächen zusätzlich nach außen gebogen! Wie macht sie das nur? Schaufelt ruhig, das Wasser kaum aufschäumend, dahin: „psch – psch - psch“, ganz leise.
Die andere, auch so ein Dünnchen, kraulte bäuchlings. Mit pendelförmigen Vierteldrehungen um die Längsachse hob sie abwechselnd die Schultern aus dem Wasser. Fast geräuschlos - wie Indianerpfeile beim Angriff im Urwald - stach sie die Handflächen ins Wasser. Drehende Schaufelbewegungen der Arme, leichtes schnelles Wippen der Fußflächen hinterließen kräuselndes Wasser: Stich, schaufeln, Drehung - Stich, schaufeln, Drehung - wie ein Uhrwerk.
Und da war noch die Dritte! Ein schon reif entwickeltes Pummelchen. Kraftvoll schmetterten beide Arme zeitgleich nach vorn. Durch die Wucht hoben sich die vollen Brüste fast aus dem Wasser! Die Beine knallten im Delphinstil auf die Oberfläche. Wie das Stampfen eines Raddampfers hörte sich das an: „wuff – wuff – wuff“.
Bohnenstange und Pummelchen, unzertrennlich, an allen Ecken und Enden des Bades kamen sie ihm immer wieder in den Blick. Ständig lachten und kicherten diese beiden, machten auf sich aufmerksam.
Das noch 15-jährige Pummelchen mit Pferdeschwanz und strammer Figur hatte es dem Jüngling angetan. Donath, der Lange, musste helfen.
Sie legten sich zum männlichen Kartenspiel unauffällig auffällig auf die breiten Holzpritschen zu den beiden Mädchen.
Pummelchens Interesse war durch diese indirekten Anmache geweckt. Entscheidungen trafen aber die zwei unzertrennlichen Weibchen immer gemeinsam. Obwohl der Pferdeschwanz schon liiert, der Freund aber von untersetzter Statur, gab der simple Vergleich des Körperwuchses bei den Absprachen der Freundinnen den Ausschlag. Sie durfte sich dem größeren blauen Edub probeweise nähern.
Nach erstem Kuss im leeren Umkleideraum des Schwimmvereins verabredeten sie, sich durch den Hintereingang ins Grüne zu verdrückten.
Über eine kleine Brücke des Bachs führte der Weg zu den etwas abseitigen Klos, daneben das verschließbare Gatter zu den Wiesen und Feldern.
Es war schööön im Kornfeld.
Die Ähren standen hoch. Ein Versteck dort zu bauen, bot sich an. Vorsichtig zieht er sein Mädchen mit großen Schritten, aufmerksam beachtend, dass nur wenige niedergetretene Halme den Weg verraten, in die gelbe Kornpracht. Nach prüfendem Blick rundum, ob auch keiner dort einsehen kann, tritt er ein Rondell nieder, drängt sie, sich hinzuhocken. Zögernd liebevoll tätschelt er ihre Arme, drückt sie sanft nach unten. Im Schneckentempo versinken beide zwischen den kratzenden und kitzelnden Halmen - nur mit Badeanzug und Badehose gekleidet.
Behutsam streift er liebkosend ihre Träger von den Schultern. Der Farbkontrast der Sonnenbräune zum zarten Weiß des sonst vom Stoffgeschützten Busens ist faszinierend. Zärtlich streichelnd, küssend befühlt der unerfahrene Romeo die weichen Wölbungen, schiebt sachte, immer langsamer, möglichst unaufdringlich ihren Badeanzug weiter nach unten.
Sein Schwarm liegt erschrocken, ob der ungewohnten Liebeshändel - bewegungslos - wehrt nur Ameisen und Mücken mit leichtem Unbehagen ab. Bis zu dem schönen Grübchen des Bauchnabels darf er küssen und tätscheln.
Ausgerechnet die monatliche Ausnahme hat den ganz großen Höhepunkt auf später verschoben! - Oder war es nur eine ängstliche Ausrede?
Trotzdem, die für den Frechling ersten tastenden, leidenschaftlich liebenden, so ungestüm aufdringlichen Ganzkörperberührungen in den niedergetretenen piekenden Kornähren bleiben unvergesslich.
Zurückkommend, empfängt sie die Bohnenstange schon am Gatter: „Demmi, dein Opa wartet am Eingang auf dich. Ich hab gesagt, du hast Durchfall, bist auf dem Klo! Wahrscheinlich hättest du was Verdorbenes gegessen. Ich war schon paar Mal hier nach dir sehen - hab ihn immer wieder hinhalten können!“
Erschrocken verschwindet „Demmi“, ihr Spitzname, weil die Familie Demmler heißt, im Holzhäuschen mit den Sitzbrillen. Unauffällig beobachtet der frischgebackene Liebhaber den Großvater - ein älterer Herr in Rot-Kreuz-Uniform mit Sanitätertasche über den Schultern. Im Gesicht hatte er eine lange Narbe über der Wange, nicht wie ein Degenschmiss der früheren Studentenbewegung, eher wie das Wundmal eines kriegerischen Streifschusses.
Es war seine erste Begegnung mit dem Parteiveteran Ernst Horn, dem Vater des Rats-Sekretärs, welcher durch Abhörung von Feindsendern vor Kriegsbeginn schon auf kommunistische Wege eingeschworen, am 17. Juni 53 am Rathausportal schlichten wollte.
Pummelchen entfleucht mit ihrem großväterlichen Rotkreuzmann schnurstracks aus dem Bad, muss mit vorgetäuschten schweren Magenschmerzen zu Hause, bei den Großeltern wohnend, gleich zu Bett gehen, damit der Schwindel nicht auffliegt.
Einen Monat später. Nach einem ihrer, wie immer glorreichen Schwimmwettkämpfe, anschließendem Tanz, stundenlangem Heimmarsch über die Dörfer, Zahnarztsohn Paulus als Aufpasser, lauert der Großvater früh um drei am Eingang der letzten Straße hinter einer Litfass-Säule - schützt das Mädchen rechtzeitig noch vor den beabsichtigten Liebesspielen.
Deren Mutter und die vier geschwisterlichen Familien hatten sich nach dem Goldenen Westen abgesetzt, hätten den Großeltern nie verziehen, wenn der Kleinsten ein Unglück zugestoßen wäre. War sie doch aus Pionierüberzeugung, entgegen aller familiärer Wohlstandswerbungen, beim erzkommunistischen Großvater im Osten geblieben.
Großvater Horn kontrollierte seine Enkeltochter, ein „echtes Arbeiterkind“ - Edubs Mutter ihren Sohn, den „bürgerlichen“ Nachkommen. So keimte und blühte die Liebe im Verborgenen, in dunklen Hofecken oder wegen der erheblichen Größenunterschiede des jungen Pärchens in Hauseingängen mit Stufen.
Endlich war die Gelegenheit da, sturmfrei! - Mutter und Oma fuhren Ostern zur Schwester nach Jena. Während Großvater Horn sein Kindeskind behütet im Mädchenpensionat für Lehrerbildung des schönen Schlosses zu Altenburg wähnte, verbrachte dieses das erste richtige Liebeswochenende in den extra langen von Edubs Vater getischlerten Mahagonibetten.
Diesmal wusste er Bescheid um die Bedeutung der kleinen Gummiringe aus Vaters Nachttisch, welche im Kindesalter als Luftballon genutzt wurden.
War das diesmal besonders schööön in den elterlichen Betten! Musste er doch seit Vatis Tod bis zu diesen Sturm-und-Drang-Nächten aus Platzmangel mit Muttchen benachbart nächtigen - sie schnarchte.