Wenn Steine sprechen - neu denken, frisch wahrnehmen. Gerd Köhler

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Trungpa sagte1: Wir leben in einer gigantischen Welt des Geistes und sind noch so gut wie gar nicht zu ihr in Beziehung getreten. Diese ganze Welt - dieses Zelt hier und dieses Mikrofon, dieses Licht, dieses Gras, ja die Brille auf unserer Nase – ist vom Geist gemacht. Der Geist hat all das ausgedacht und verwirklicht. Jede Schraube, jede Mutter wurde von irgendjemandes Geist angebracht. Diese ganze Welt ist eine Geist-Welt, ein Produkt des Geistes. Ich erinnere mich, wie sich beim Lesen dieser Zeilen alles in mir sträubte, totale Rebellion. Das kann so nicht stimmen. Die Brille, die Bolzen und das Gras sind doch real da und keine Hirngespinste. Und dann las ich den nächsten Satz: Ich bin sicher, dass jeder hier das weiß. Das brachte mich erst recht in Rage.

      Diese Rebellion hat sich inzwischen gelegt. Ich verstehe heute die Sichtweise: Was ich in meiner Wahrnehmung erlebe, ist zunächst einmal nicht ein materielles Ding, sondern ein von meinem Geist geschaffenes Bild. Und nur über dieses Bild kann ich etwas sagen. Ich kann beschreiben, was ich erlebe. Auch wenn ich diese Sichtweise für richtig und hilfreich halte, erlebe ich es doch meistens anders. Ich vergesse, dass es eigentlich erlebte Bilder sind, und so wird dann der lebendige, kreative Prozess meiner Wahrnehmung ganz schnell zu einem soliden Ding.

      Ich kann also zwei Welten unterscheiden, die erlebte Welt meiner Wahrnehmungen und die materielle Welt. Wenn sich z.B. ein Auto auf der Straße nähert, dann sehe ich zunächst ein von meinem Geist erschaffenes Bild von einem Auto. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass es jetzt nicht ratsam ist, auf die Straße zu treten, weil ich dann eine sehr schmerzhafte Begegnung mit der materiellen Welt des Autos erleben könnte. Es ist also immer gut, sich klar darüber zu sein, welche der beiden Welten gerade relevant ist.

      Erlebte Welt und materielle Welt begegnen sich ständig im Leben. Wenn ich z.B. durch die Altstadt von Celle, der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, bummele, und in einer der historischen Straßen der Innenstadt dann zu meiner Begleitung sage, dass da drüben ein schönes Fachwerkhaus steht, dann spreche ich von meiner ganz persönlichen Begegnung mit der materiellen Welt dieses Hauses. Das Resultat dieser Begegnung ist ein Bild von dem Fachwerkhaus, das in meinem Erleben auftaucht. Das Bild ist die Information, die ich brauche, damit ich sagen kann, dass das Haus da drüben auf der anderen Straßenseite steht. Die Wahrnehmung ist also zuerst da, die Vorstellung, dass das Haus ein solides Ding aus Balken und roten Ziegelsteinen ist, kommt nach dem gesehenen Fachwerkhaus. Das Haus ist als farbiges Bild also zuerst erlebt und dann als solides Ding gedacht.

      Mein Geist hat das Bild vom Haus nicht nur farbig und detailliert hervorgebracht, sondern es auch noch im richtigen Abstand platziert, z.B. zwanzig Meter vor mir. Wenn ich jetzt die Augen schließe und zwanzig Schritte nach vorne mache, stoße ich tatsächlich auf die Hauswand. Mein Geist produziert also nicht irgendwelche Bilder, sondern arbeitet besonders intelligent und präzise, und zwar so, dass die erschaffenen Bilder in meiner gesehenen Welt mit der materiellen Welt in Einklang sind. Das ist äußerst praktisch, weil ich so mit der materiellen Welt auch sinnvoll umgehen kann. Ich kann dieses intelligente Zusammenspiel aber relativ einfach durcheinanderbringen, wenn ich z.B. mit einem Fernglas auf das Haus schaue. Dann entwirft mein Geist ein Bild, in dem das Fachwerkhaus nur in einer Entfernung von vielleicht drei Metern vor mir platziert wird. Wenn ich jetzt die Augen schließe und drei Schritte nach vorne mache, stehe ich mitten auf der Straße und nicht direkt vor dem Haus. Hat sich mein Geist jetzt bei der Erstellung des Bildes vom Haus geirrt? Ich denke nein. Denn das, was ich sehe, hängt immer ab von den Bedingungen, und die haben sich durch das Fernglas geändert. Man sagt, dass ein Fernglas das Objekt vergrößert, aber eigentlich verändert ein Fernglas nur die Einfallswinkel der ankommenden Lichtstrahlen. Die Optik ändert die Einfallswinkel der Lichtstrahlen so, dass die Lichtstrahlen nun von einem Objekt zu kommen scheinen, das nicht zwanzig Meter, sondern nur drei Meter vor mir steht. Und auf Grund dieser neuen Bedingungen platziert mein Geist nun das erlebte Bild vom Fachwerkhaus ganz korrekt in einer Entfernung von drei Metern.

      Im täglichen Leben funktioniert das Zusammenwirken von gesehener und materieller Welt meistens ganz wunderbar. Wenn ich im Biergarten sitze und ein Glas Bier vor mir steht, dann erschafft mein Geist in diesem Augenblick ein herrliches Bild von einem frisch gezapften Bier. Dabei wird das Glas in dieser gesehenen Welt genau im richtigen Abstand platziert. Wenn ich meine Hand ausstrecke, um das Glas zu ergreifen, findet meine Hand das Glas auch genau dort, wo mein Geist das Bild vom Bierglas erschaffen hat. Es ist also ein gut abgestimmtes Miteinander der erlebten, gesehenen Welt mit der materiellen Welt. Möglicherweise ist diese Abstimmung etwas gestört, wenn mein Geist mir zu später Stunde plötzlich zwei Gläser erschafft, obwohl doch nur eins vor mir steht. Das ist dann wohl ein deutliches Signal, den schönen Abend zu beenden und ins Bett zu gehen.

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