Leben. Nehmen.. Tullio Forgiarini

Leben. Nehmen. - Tullio Forgiarini


Скачать книгу
Na ja und sechs Wochen … die gehen auch vorbei …

      Sandra parkt im Hof. Scheiß Matsch! Da kannst du machen, was du willst, da klebt immer was an deinen weißen Vans und an der Hose. In Petingen hast du in einem Apartment gewohnt, aber hier werdet ihr in einem richtigen Haus wohnen, hat Sandra gesagt. Dabei ist es nur eine umgebaute Scheune, sonst nichts! Vielleicht wars früher sogar ein Stall. Ständig klebt was an deinen Sohlen. Ein Bauernhof in einem Kuhdorf halt. Alles voller Matsch. Ein paar Bauern, viele Alte und Assis wie Sandra und du.

      Eure Bude ist allerdings größer als in Petingen. Viel größer und es stinkt auch viel mehr nach kaltem Frittierfett.

      Sandra hat sich beruhigt. Im Flur streichelt sie dir kurz über den Kopf und lacht blöd dazu. Du erträgst ihr Lachen nicht. Sie lacht immer gleich. Was bedeutet das? Tut mir leid? Dumm gelaufen? Ist nicht so schlimm? Du bist bescheuert? Die anderen können uns mal kreuzweise? … oder was? Du würdest ja nachfragen, aber du kennst die Antwort schon. Ein blödes Lachen …

      Sie ist wieder mal auf Facebook und schickt Herzchen an halb Luxemburg. Sie antwortet auf jeden Scheiß … ist ständig auf der Suche nach einem neuen Macker …

      Du machst dir ein Pizzabaguette in der Mikrowelle, fragst sogar Sandra, ob sie auch eins will.

      »Mmh!«, antwortet sie.

      Das ist wie ihr Lachen, es kann alles bedeuten … Du machst ihr auch eins, legst es neben den Computer. Noch mal »Mmh!«.

      Deins nimmst du mit aufs Zimmer. Genau wie eine Tüte Chips und zwei Cola.

      Die ranzige Tapete hast du mit Postern überklebt, so gut wie möglich. Oh schau, da glotzt noch ein lachender Mond, ein Schaf oder irgend so ’n Scheiß drunter vor. Früher war das ein Kinderzimmer. Sandra kann nicht tapezieren, du auch nicht. Natürlich nicht. Deswegen die Billo-Poster, Gangster und geilen Hasen. Ein Regal mit ein paar Schulbüchern und deine Shisha. Super cool, mitten im Zimmer. Für deine Freunde, wenn die mal kommen … Sandra ist einverstanden. Du rauchst ja nur Tabak, hast du versprochen … Sie ist wirklich dumm wie Brot …

      Du schaltest den Fernseher ein und legst dich aufs Bett.

      Irgendwo in der Nähe des Nordpols ziehen Männer riesige Käfige voll mit Krebsen aus dem eisigen Wasser. Sie rauchen, fluchen und reden über Geld … Es ist immer das Gleiche, aber irgendwie cool.

      DREI

      Eine ganze Woche hast du in der Auszeit gebraucht, um rauszufinden, was für ein Programm die da abziehen. Ich hab es von Anfang an gewusst. Ich hab es dir auch schon gesagt, aber du willst ja nie hören. Da hast du dir von deinen neuen Lehrern ordentlich einen aufbinden lassen. Die sind ja auch ganz anders als die, mit denen du es sonst zu tun hast. Sie haben über die Auszeit gesprochen, so, als würden sie sich ihr Blabla selbst abkaufen. Als könntest du anders. Als könnten sie aus dir einen besseren Menschen machen. Eine neue Chance, ein neuer Start, den ganzen Scheiß hinter dir lassen … War dir alles richtig unheimlich.

      Und du? Du hast dir wirklich Mühe gegeben in der ersten Woche. Ein bisschen auch noch in der zweiten. Meistens hast du dein Schulzeug dabeigehabt. Selbst in Mathe hast du was verstanden, sogar die Sache mit den Brüchen. Bei Plus muss man den gemeinsamen Nenner finden. Bei Minus auch. Und bei Mal da … was für ein Trottel du warst. Eine ganze Woche und noch ein bisschen mehr hast du gebraucht, um rauszufinden, dass die Auszeit nichts weiter ist als eine neue Art von Knast. Ein Knast, wo Schule gespielt wird. Ein Knast, wo die Wärter alle scheißnett sind und scheißnett bleiben, wenn man sie Alte Hure! nennt.

      Das hat Addis zu Frau Schäfer gesagt, nicht du. Sie wollte, dass er Theater spielt. Er nicht. Nie hält er seine Fresse, aber vor der Klasse sprechen wollte er nicht. Er hätte keinen Bock, hat er gesagt. Er würde sich nicht trauen, hat sie gesagt.

      »Alte Hure!«, hat er gebrüllt, hat eine Schulbank umgeschmissen und ist rausgelaufen. Frau Schäfer ist ganz ruhig geblieben. Addis musste die Schulbank wieder aufstellen und hat eine Strafe bekommen. Die restliche Stunde ist er still sitzen geblieben, hat geschmollt und sich mit dem Zirkel in den Arm geritzt. Richtig geblutet hat das. Er hat gewartet, bis Frau Schäfer etwas sagen würde, aber sie hat ihn nicht mal angeschaut. Am Ende der Stunde hat er sich entschuldigt. Es läge an den Tabletten, hat er gesagt. Morgens muss er nur seine Pillen nehmen und schon ist’s gut. Die Wirkung lässt aber mittags nach und dann kann er sich nicht mehr konzentrieren … Frau Schäfer hat zugehört und die Geschichte geglaubt oder zumindest so getan. So ein Scheiß! Ganz sicher! Glaub mir, Addis ist voll der Spacko, da helfen auch keine Pillen.

      Und dann wär da noch … Shirley! Und? Hast du schon einen Ständer? Ich krieg einen, wenn ich nur ihren Namen sage. Shir-ley! Voll die heiße Braut! Und sie sitzt auch noch neben dir. Zwischen dir und Addis. In der Mitte. Wir sind nur zu viert in der Auszeit … verteilt an Einzeltischen, dazwischen immer so eine Trennwand. Eine Pinnwand mit euren Zeichnungen, dem Wochenplan, den Bewertungsbögen, den Punkten, die ihr bisher abhaken konntet. Der ganze Scheiß eben, der vermeiden soll, dass es dort wie im Knast aussieht …

      Die Trennwände gehen nicht bis zum Boden, haha! Und du lässt verdammt viele Sachen runterfallen. Tintenkiller, Radiergummis, Geodreiecke … Verrückt, wie ungeschickt du plötzlich bist. Und jedes Mal, wenn du dich nach unten beugst, um deinen Kram wieder aufzuheben, kriegst du echt was geboten. Shirleys Beine. Ihre hammer Beine! Immer im Minirock oder in so engen Leggins. Das muss doch furchtbar wehtun, einen Ständer, den ganzen Tag lang …

      Jetzt aber mal im Ernst: Shirley hat echt selten viel an und das bisschen, das sie trägt, zeigt sie gern. Rote Strings, schwarze BHs und so. Darum wurde sie auch von der Schule in Mamer geschmissen. Wie, du kennst die Geschichte nicht? Mir hat sie die gleich am ersten Tag erzählt! Du hast in der Zeit wohl nur geglotzt und gesabbert …

      Also, Shirleys Klassenlehrerin hatte was gegen ihre Klamotten. Viel zu nuttig. Sie hat gesagt, dass sich das nicht gehört für ein dreizehnjähriges Kind. Shirley meinte bloß, sie wär kein Kind mehr. Und dass die Lehrerin sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern soll. Die Lehrerin wurde wütend und versuchte, Shirley was überzuziehen. So ein langes XXL-T-Shirt. Shirley hat sich gewehrt, wurde von der Lehrerin an den Haaren gezogen und hat sie dann zu Boden gestoßen. Shirley hat auf sie gespuckt, ist weggelaufen und drei Tage nicht nach Hause gekommen. Auch nicht in die Schule. Sie hat bei einem Freund gepennt. Der Freund ist 19, hat Shirley gesagt, gekichert und so dreckig geschaut, um mir klarzumachen, was sie mit gepennt meint: In der Kiste waren sie!

      Dann ist Shirley in unsere Schule gekommen. Und schon nach drei Monaten musste sie in die Auszeit. Den Grund dafür hat sie mir noch nicht verraten. Warum sie uns die anderen Dinge erzählt, weiß ich auch nicht …

      Zu dir ist sie sehr nett. Meistens. Das ist komisch … Vielleicht glaubt sie, dass du … anders bist, nur weil du sie nicht ganz so blöd anmachst. So blöd wie Addis. Dabei traust du dich einfach nur nicht. Aber du willst sie auch vögeln, genau wie Addis und jeder andere Kerl in diesem Gebäude … Vielleicht ist es einfach nur, weil sie ständig deine Kippen raucht. Sie fragt nie. Sie wartet immer nur, dass du ihr deine Schachtel hinhältst. Dann nimmt sie sich eine. Sie sagt auch nie Danke, schneidet nur so eine Grimasse … ähnlich wie ein Lächeln. Ab und zu nimmt sie sich auch eine Kippe von einem anderen. Von den Großen aus der Werkstatt, vor allem von Antonio. Viel öfter aber von dir. Komisch … aber gut.

      Meistens rauchst du allein mit Shirley. Dabei war ich es, der diesen super Ort entdeckt hat. Hinter dem großen Müllcontainer bei den Parkplätzen der Schuldirektion. Dass man sich da traut zu rauchen … auf die Idee kommt kein Mensch. Ich bin einfach gut. Und den Rauch pustest du in eine Plastikflasche, so, wie ich es dir gesagt hab.

      Shirley ist schon fünfmal erwischt worden, erzählt sie. Früher, als ihr alles scheißegal war. Einmal hat sie den Rauch dem Aufseher direkt ins Gesicht geblasen und behauptet, dass sie nicht raucht. Ein anderes Mal hat sie geschrien, dass er sie begrapscht, als er nach ihrem Schülerausweis gegriffen hat. Aber seit sie hier in der Auszeit ist, passt sie besser auf. Sie will nicht zurück nach Kirchberg.

      »Auf Kirchberg ist die Jugendklapse«,


Скачать книгу