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Fuß fassen lassen dürfen.« Big Jim Forsyth sprach in kurzen, abgehackten Sätzen. Licht- und Schattenreflexe ließen sein Gesicht dunkel und zerrissen anmuten, an die Rinde eines alten Baumes erinnern. »Aber zunächst will ich Lane Turpin. Er muss für den Tod meines Sohnes büßen.«
Er hatte die Worte in die Länge gezogen und die Umstehenden begannen trotz der Gluthitze zu frösteln. Sein schwelender Blick voll Hass und unheilvoller Begierde heftete sich auf die Brüder, von denen einer besinnungslos, der andere aber tot war.
*
Bald überfiel Lane bleierne Erschöpfung. Sein eingefallenes, von Blutverlusten und Schmerz gezeichnetes Gesicht verzerrte sich. Aber unermüdlich kämpfte er sich vorwärts. Die Schübe der Benommenheit kamen schneller, die Abstände zwischen ihnen wurden immer kürzer.
Wie ein Betrunkener wankte er dahin. Sie werden nicht ruhen, bis sie dich haben!, durchpeitschte eine unbarmherzige Stimme sein Gehirn. Sie jagen dich, bis sie dich Big Jim tot vor die Füße legen können. Du bist allein, unbewaffnet, am Ende …
Er ächzte. Immer wieder knickte das zerschossene Bein unter ihm weg. Die Blutung kam nicht zum Stillstand. Blut verklebte seine Hände. Die Angst, dass er es nicht schaffen könnte, durchrann ihn wie Fieber. Seine Kehle war wie ausgedörrt. Er fror erbärmlich. Seine Zähne schlugen wie im Schüttelfrost aufeinander.
Der Fluss gurgelte und rauschte. Lane lag im Ufersand. Wasser umspülte seine Beine. Er brauchte Hilfe. An der Mündung des Saguache Creek in den San Luis River lebte Lisa mit ihrem Vater. Clay Reed stand zwar als Wolfs- und Coyotenjäger in Big Jims Diensten, im Übrigen aber hatte er mit der Great Sand Ranch nichts zu tun. Reed würde sich heraushalten.
Drei Meilen bis zur Mündung. In seinem Zustand konnte er diese Entfernung nicht mehr bewältigen. Er würde irgendwo umfallen, und wenn er nicht verblutete, würden ihn Big Jims Sattelwölfe finden.
Drei Meilen! Lane starrte auf den Fluss. Und dann fasste er einen Entschluss: Schwimmen! Nun, wenn er infolge seines Blutverlustes die Besinnung verlor, dann ertrank er eben. Ein jämmerlicher Tod, aber immer noch gnädiger, als am Ende eines Lassos elend zugrunde zu gehen.
In jähem Entschluss erhob er sich. Er watete ins Wasser und verlor den Boden unter den Füßen. Die Strömung packte ihn. Er legte sich auf den Rücken, sah weit über sich den Nachthimmel und ließ sich dahintragen. Neue Hoffnungen beflügelten seine Gedanken.
Die dunklen, drohend anmutenden Buschgruppen am Ufer schienen vorbeizuhuschen. Hin und wieder warfen ihn unvermutete Stromschnellen herum, zerrten tückische Wirbel an ihm, aber mit wenigen kräftigen Ruderbewegungen der Arme befreite er sich. Der Fluss wurde breiter und ruhiger. Lane schwamm zum Ufer, kroch auf allen vieren die Uferböschung hinauf und ruhte kurze Zeit zwischen den dichten Büschen aus. Dann schlug er sich hindurch. Clay Reeds Hütte schälte sich aus der Dunkelheit. Es gab einen Pferdestall, einen Heuschuppen, einen kleinen Stangencorral und einen Brunnen.
Reed baute Mais und Weizen an, verfügte über etwas mehr als hundert Rinder, jagte Raubzeug und bekam für jeden Abschuss von Big Jim einen Dollar. Früher arbeitete er als Scout bei der Armee. Er war ein wortkarger, mürrischer Mann, der nie über seine Vergangenheit sprach, der sich selbst der Nächste war, und der sich von allem fern hielt. Und dasselbe erwartete er von seiner Tochter.
Ruhig lagen die Gebäude vor Laue im silbrigen Mondlicht. Clay Reed und seine Tochter schliefen. Lane gab sich einen Ruck. In seinen Stiefeln schmatzte bei jedem Schritt das Wasser. Schwer hing die Kleidung an ihm. Der Schmerz, den er im Wasser kaum wahrgenommen hatte, kam mit Macht zurück.
Er brachte drei Schritte hinter sich, als Clay Reeds Hund anschlug. Sein dunkles, warnendes Bellen zersprengte die Stille und ließ Lane zusammenzucken. Klar und scharf schallte es durch die Nacht, wurde heiser und kläffend. Eine schwere Kette rasselte und klirrte.
»Ruhig, Rex, ganz ruhig!«, rief Lane und hinkte weiter.
Der Hund stutzte, sein Bellen brach schlagartig ab.
»Brav, Rex!« Ein seltsames Gefühl durchströmte Lane. Er fühlte sich plötzlich nicht mehr alleine und einsam.
Das Fiepen des Hundes erreichte sein Gehör. Die Kette schleifte über den Boden. Aber da flog krachend der Fensterladen auf. Ein kurzes, metallisches Knacken, als ein Gewehrhahn gespannt wurde, dann eine raue, unfreundliche Stimme: »Wer immer da draußen herumschleicht zu dieser unchristlichen Stunde - er soll verschwinden! Ich habe niemand eingeladen, und zu holen gibt es bei mir nichts außer heißem Blei.«
Lane war stehen geblieben. Er war sich sicher, dass Reed ihn im Mondlicht ausmachen konnte. »Nicht schießen, Clay. Ich bin es, Lane Turpin. Ich bin verletzt und brauche deine Hilfe!«
»Lane Turpin?«, kam es fragend und misstrauisch zurück. »Wieso gehst du nicht nach Hause, wenn du Probleme hast? Warum kommst du mitten in der Nacht zu mir?«
Lane humpelte ein Stück weiter. In der Dunkelheit winselte Rex und scharrte mit den Pfoten.
»Lass mich in dein Haus, Clay, dann werde ich dir alles erklären.«
»Hattest du Ärger mit …«
Clay Reed wurde unterbrochen, als sich die Haustür knarrend öffnete. Lichtschein fiel ins Freie, die Gestalt einer Frau erschien im Türrechteck, und eine weibliche Stimme rief: »Lane, du lieber Himmel, was ist geschehen? Komm herein.« Sie lief ihm entgegen. Die Laterne schaukelte, das Licht warf ihren Schatten riesengroß und verzerrt auf den Boden.
»Zum Teufel damit!«, grunzte Clay Reed und zog das Gewehr zurück.
Lisa erschrak, als sie Lane aus der Nähe sah. Ihre dunklen Augen weiteten sich. Bestürzt musterte sie ihn, tausend Fragen stürmten auf sie ein.
»Es war Big Jim«, murmelte Lane und machte einen unbeholfenen Schritt auf sie zu. In seinem verzerrten Gesicht zuckten die Muskeln. Tief lagen seine Augen in den Höhlen. Innerhalb weniger Stunden schien er um Jahre gealtert zu sein. Tiefe Linien zogen sich von seinen Nasenflügeln bis zu den Mundwinkeln. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Er sprach weiter — leise, losgelöst, hastig, als müsste er sich beeilen, alles loszuwerden: »Mein Vater und Dave sind tot. Ob Cole noch lebt, weiß ich nicht. Die Ranch ist …« Seine Knie wurden weich wie Butter. Die Betäubung kam wie eine graue, alles verschlingende Flut. Er schwankte. Lisa stützte ihn. Im Licht funkelten seine Augen wie Glas.
Lisa hatte begriffen. Schwer spürte sie Lanes Körper. »Drinnen, Lane«, flüsterte sie herb, mit vibrierender Stimme. »Du kannst uns alles im Haus erzählen. Komm.« Sie drehte den Kopf. Ihre Stimme hob sich, als sie hervorstieß: »Dad, schnell, Lane kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Du musst mir helfen!«
Clay Reed stapfte aus dem Haus. Er schaute ebenso betroffen wie seine Tochter, als er Lane aus der Nähe sah, dann aber kehrte der finstere Ausdruck in sein lederhäutiges Antlitz zurück. Er legte sich Lanes linken Arm um die Schultern, hielt ihn am Handgelenk fest und grollte: »Du siehst elend aus, Turpin, und ich habe das Gefühl, dass ich dich eigentlich zum Teufel jagen müsste. Wahrscheinlich reite ich mich bis zum Hals in den Verdruss hinein, wenn ich es nicht tue. Nun, wir werden es ja sehen.«
Sie schleppten Lane ins Haus. Schließlich hockte er auf einem Stuhl am rohen, grobgezimmerten Tisch. Zu seinen Füßen bildete sich eine Wasserlache. Sein Kinn war auf die Brust gesunken. Er hielt die Augen geschlossen.
Clay zog den Blendladen zu und schloss das Fenster. Die Lampe stand auf dem Tisch. Ihr Licht riss den karg und ärmlich eingerichteten Raum aus der Finsternis.
Lisa schnitt Lanes Hosenbein auf. Die Wunde war vom Wasser aufgequollen, die Wundränder sahen weißlich und teigig aus. Ein feiner Blutfaden, der sich mit dem Wasser auf Lanes Haut vermischte, rann heraus. Das Mädchen hatte sich noch immer nicht ganz von seinem Schrecken erholt. Immer wieder streifte sein besorgter Blick Lanes Gesicht.
Clay beugte sich über die Wunde. »Die Kugel ist hinten wieder ausgetreten«, murmelte er und seine Stirn war nachdenklich gefurcht.