Unsere grüne Kraft - das Heilwissen der Familie Storl. Christine Storl

Unsere grüne Kraft - das Heilwissen der Familie Storl - Christine Storl


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bei den Bewohnern unseres Erdteils war es vor allem die Frau, die die heilsamen Kräuter kannte und anwendete. Homer erwähnt, dass die schöne Helena eine hervorragende Heilerin war. In der Ilias (11: 740) erzählt er: »Agamede, mit dem blonden Haar, eine Heilerin war sie, und kannte wohl die Kräuter alle, die auf der Erde wuchsen.«

      Vor allem bei den Waldvölkern, den Kelten, Germanen, Slawen und Balten, war es die Hausfrau, die für die Gesundheit der Menschen und Tiere in Haus und Hof zuständig war. Etymologisch bedeutet das Wort Frau, wie auch Freya (die Göttin des Lebens), übrigens »Herrin« – die Hausfrau ist also die Herrin des Hauses. Sie war die Feuerhüterin; der Herd galt als die Herzmitte des Hauses und das Feuer darin als die mikrokosmische Sonne. Der Rauchfang über der Herdstelle galt als der Zugang zu den jenseitigen Welten. Durch den Kamin kamen auch die Geister, ebenso wie der Storch (Adebar, der Glücksbringer), der die Seelen der Kinder brachte. Und in der Meditation, der Versenkung oder in der tiefen Trance flogen die Seelen – die später als Hexen verteufelten Schamaninnen – durch den Rauchfang in die anderen Welten. Am Feuer, das die Stube erwärmt, am heiligen Herd, wurde nicht nur die Nahrung zubereitet, sondern auch die Heilmittel. Hier wurden der Kräutertee gebraut und die Heilsalbe gerührt.

      Überhaupt spielte Wärme – wir würden sagen Überhitzungstherapie (Hyperthermie) – in Form von heißen Bädern, Saunas, Banjas (in Russland) und Wickeln – oder das Auflegen heißer Steine (oder Wärmeflaschen) in der Heilkunde der Völker eine wesentliche Rolle bei der Behandlung von Krankheiten. In unserem Haushalt ist das noch immer der Fall.

      TRADITIONELLE NATURHEILMITTEL AUS KRÄUTERN

      Hier nun ein kurzer Überblick der von der weiblichen Kultur vermittelten traditionellen Heilmittel. Sie sind noch immer der Kern der Volksmedizin. Zwar sind im Mittelalter alkoholische Tinkturen, Schnäpse und Elixiere über die von der Alchemie besessene Mönchskultur hinzugekommen, auch Theorien über Humore (Körpersäfte), Hitzegrade und die planetarische Zugehörigkeit der Kräuter, aber im Grunde genommen waren folgende Heilmittel und Herstellungsarten die ursprünglichsten:

      Tee

       Der Tee, der heiße Aufguss, war heilig: Die Schale mit dem Wasser galt als die weibliche Komponente, die Hitze des Feuers als die männliche. Es ist ein Verbinden mit dem Ursprung. Im Glauben dieser Waldvölker ging die Welt aus den beiden Ur-Elementen Feuer und Wasser hervor. Die Kräfte der Heilpflanze werden durch die Kraft der Hitze herausgelöst und durch das aufnehmende Wasser an den Organismus vermittelt.Der Kräutertee wurde (und wird noch heute) zu den drei sakralen Tageszeiten getrunken: Die erste Schale am Morgen, wenn der neue Tag erwacht und die Morgenandacht vollbracht ist; die zweite zur Mittagszeit, wenn die Sonne im Zenit steht; die dritte Schale am Abend, wenn der Tag sich verabschiedet und die Seele sich auf die dunkle Hälfte des Tageslaufs, auf den Gang in die Anderswelt, das Land der Träume, vorbereitet.Kräuteraufgüsse sind bis heute bei uns die bevorzugten Heilmittel der europäischen Volksmedizin.

      Heilbiere

       Auch das Brauen der Heilbiere gehörte zu den Aufgaben der Hausherrin. »Neun« Kräuter kannte sie, wobei die Zahl Neun, also drei mal drei, eine magische Zahl ist. Mit den Bieren, die – abgesehen von besonderen Feiertagsbieren – einen niedrigen Alkoholgehalt hatten, konnte die Frau das seelische Befinden der Hofgemeinschaft führen. Sie kannte Biere, die die Familienmitglieder vor Krankheit schützen, auch Biere, die die Männer anregen oder auch abregen können. Mit warmem Bier wurde das Euter kranker Kühe eingerieben. Da sie auch – als »Schamanin des Hofes« – für die Herstellung einer guten Beziehung mit den unsichtbaren Haus- und Hofbewohnern zuständig war, opferte die Hausfrau den Gärtrunk den Zwergen, Kobolden oder den Verstorbenen. Das geschah meistens draußen, unter dem Hofholunder.Die beliebtesten Bierkräuter waren alltäglich verwendete Heilkräuter wie Gundermann, Schafgarbe, Brennnessel, Rauschbeere, Porst, Beifuß (bei Frauenleiden), Wermut (bei Magenleiden), Rosmarin (bei Schwermut und betrübtem Herzen) oder Wacholder (Nierenmittel). Das Bier war meistens kein Hopfenbier. Hopfen kam erst während der Völkerwanderungszeit von den Slawen zu den Germanen und wurde dann im Mittelalter, als die Mönche und dann die Herrschaften das Braurecht an sich rissen, immer häufiger verwendet.Als wir auf den Berg ins Allgäu zogen, wollten wir weiterhin dieser Tradition der Heilbiere folgen. Wir lebten weit abseits und hatten weder genügend Einkommen noch ein Auto, mit dem wir Kisten mit dem Gebräu aus dem Tal nach oben hätten transportieren können. Gottfried Härle, ein junger Braumeister, der in seiner Leutkirchner Brauerei hervorragende, bekömmliche Biere braute, war sogar so nett, uns Brauhefe zu schenken, damit Christine uns das »flüssige Brot« brauen konnte. In Ladakh, wo wir einige Zeit bei tibetischen Bauern wohnten, braute die Bauersfrau jeden Tag wunderbares Gersten-Chang. Wir kamen auf die Idee, das auch bei uns zu machen. Dieses Bier, ungefiltert und mit niedrigem Alkoholgehalt, ist eine gesunde Nahrungsergänzung, es enthält viel Vitamin B, unterstützt die Verdauung, mindert die Gefahr der Nierensteinbildung; der Harvard-Professor Walter Willet behauptet sogar, dass Menschen, die täglich einen halben Liter Bier trinken, ihr Herzinfarktrisiko halbieren. Und die kräuterkundige Äbtissin Hildegard von Bingen rät den wahren Christenmenschen: Cervisiam bibat! (Man trinke Bier!) Übrigens war das auch der Rat einer alten Frau, als Christine geboren wurde und ihre Mutter zu wenig Milch für den Säugling hatte, denn der Gerstensaft stimuliert die Ausschüttung des Hormons Prolactin, das den Milchfluss bei Stillenden auslöst.Leider mussten wir auf Selbstgebrautes verzichten. Der Brauvorgang schlug fehl, da es in dem alten, mit Holz beheizten Haus unmöglich war, die Temperatur, die für die Hefegärung wichtig ist, in den Griff zu bekommen; nachts wurde es immer zu kalt.

      Kräuterbrötchen und Wecken

       Neben Tees und Heilbieren wurden Heilpflanzen, getrocknet oder frisch, in Brotteig geknetet und gebacken. Diese Kräuterbrötchen oder Wecken waren eine beliebte volksmedizinische Art und Weise zu heilen. Hildegard nannte diese mit getrockneten Wurzeln, Samen und Gewürzen hergestellten Heilmittel »Küchlein«. Heilkräftige »Gebildekuchen« in Tier-, Pflanzen- oder Menschenform gab es schon im altgermanischen und keltischen Heidentum. Der Brauch wurde von den Christen übernommen und überlebte als heilkräftige, mit Kreuzzeichen versehene Oster- und Weihnachtsbrote. Es gab auch heilsame Kräuterwecken, die einem Heiligen geweiht waren, wie etwa das Agatha-Brot, das Sankt-Sebastians-Brot oder das Sankt-Erharts-Brot. Brote mit Dill oder Fenchel sollten gegen Verzauberung wirken. Später, in den Handelsstädten, wurden dann die ebenfalls als heilwirksam geltenden Gewürz-, Pfeffer- und Lebkuchen gebacken. Um der Verdauung zu helfen, bäckt man bis zum heutigen Tag Brot mit Kümmel. Vielerorts werden noch zur Mittsommerzeit »Hollerküchlein« aus den Blüten des Schwarzen Holunders in Bierteig gebacken. Im Allgäu wurde das Schmalz, in dem die Blütenkuchen frittiert wurden, als Heilsalbe bei rissiger Haut und kleinen Wunden verwendet.

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      Selbst gemachte Salben, etwa die Ringelblumensalbe, sind ebenso wie Kräuteröle, Tinkturen und Teekräuter wichtige Bestandteile der Hausapotheke.

      Salben

       Salben zum Einreiben spielten ebenfalls eine wichtige Rolle in der Heilkunde der Großmütter. Salbenrühren war ein heiliges Geschäft, denn was die Frau dachte und fühlte, rührte sie mit in die Salbe hinein. Oft wurde das Rühren mit dem Singen von Liedern begleitet – Liedern, die zum Segen von Familie und Angehörigen beitrugen. Das Rühren musste hauptsächlich im Uhrzeigersinn geschehen, also im Einklang mit dem Lauf der Sonne. Zwischendurch wurde die Richtung geändert, ehe man wieder zur Sonnenläufigkeit zurückkam. Gänzlich entgegen dem Sonnenlauf zu rühren würde der Überlieferung nach Unheil bringen.In alten Zeiten nahm die Hausfrau vor allem Schweineschmalz oder Butter (Anke, Smör) als Salbengrundlage. In besonderen Fällen kamen auch Bärenfett, Dachsfett oder Hirschtalg infrage. Murmeltiersalbe für die Gelenke ist noch heute beliebt. Schweinefett war einst begehrt, da es dem menschlichen Körperfett ähnlich ist und die pflanzlichen Wirkstoffe über die semipermeable Hautmembran gut eindringen lässt. Im Zeitalter der Agrarindustrie ist das Fett unglücklicher, mit Chemikalien und Antibiotika vollgestopfter Rüsseltiere zur Salbenherstellung problematisch. Da nimmt man lieber das Fett von glücklichen Bio-Schweinen, so wie


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