Voll verkackt ist halb gewonnen. Tom Limes
Tom Limes
Voll verkackt ist halb gewonnen
1. Auflage 2019
© 2019 Arena Verlag GmbH, Würzburg
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur unter Verwendung
von Motiven von FinePic® München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur
Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover
Liedtext, Seite 220: © »Deine Schuld« – M/T: Farin Urlaub // Die Ärzte //
Mit freundlicher Genehmigung der Edition Fuhuru //
PMS Musikverlag GmbH.
Liedtext, Seite 5: © Missglückte Welt
E-Book-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund, www.readbox.net
E-Book ISBN 978-3-401-80827-7
Wir danken für die freundliche Genehmigung zum Abdruck der zitierten Texte. Sollten trotz intensiver Nachforschungen des Verlags Rechteinhaber nicht ermittelt worden sein, so bitten wir diese, sich mit dem Verlag in Verbindung zu setzen.
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Das ist für all die, die nicht von dieser Welt sind.
Die schlecht in Anpassen, Ellbogen und Geld sind.
Die nach den ganzen harten Jahren noch sie selbst sind.
Egal, was alle anderen sagen, ihr seid Helden.
– Swiss + Die Andern, Nicht von dieser Welt
Lust auf Musik beim Lesen? Die Playlist zum Buch findest
du auf www.tom-limes.de.
Julian
1 In ihrem Hoody, den engen Jeans und Boots, allesamt im Farbton Tiefschwarz, sah sie aus wie frisch aus dem schwarzen Block gefräst.
Sie saß schräg vor mir im Klassenraum und ich musste sie schon die ganze Zeit immer wieder anstarren – nicht nur wegen ihres hübschen Gesichts hinter dem schwarzen Fransenpony, sondern auch weil sie ständig zuckte, als wäre sie mit einer Steckdose verkabelt worden. Zudem schlug sie sich immer wieder zu einem Rhythmus, den keiner außer ihr hörte, gegen die Schulter, schnalzte mit der Zunge und ruckte mit dem Kopf.
»Ey, hast du Krämpfe, oder was?«, giftete ein kahl geschorener Möchtegernskinhead neben ihr.
»Nix Krämpfe!«, mischte sich ein dunkelhaariger, sportlicher Typ in meinem Alter mit Basecap und glitzernden Ohrklunkern ein. »That’s Beatboxing … Hey, check it out.« Er legte die Hände trichterförmig vor den Mund und erweckte damit unfassbar peinlich eine Basedrum zum Leben.
Der Glatzkopf sah aus, als würde er jeden Moment platzen, das eben noch blasse Mädchen lief knallrot an und ich – ich lehnte mich kinomäßig zurück und wünschte mir Popcorn herbei.
Die ganze Sache hier schien noch um einiges verrückter zu werden, als ich erwartet hatte.
Da klopfte der Schlipsträger vorn auf das Rednerpult und funkelte in unsere Richtung. »Bitte konzentrieren Sie sich noch fünf Minuten«, meldete er sich mit lauter Stimme zu Wort und setzte seine lähmende Eröffnungsrede zu dieser sogenannten Bildungsmaßnahme fort – eine Pflichtveranstaltung für jemanden wie mich, der schon vor der zehnten Klasse alles hingeschmissen hatte, aber noch keine achtzehn war.
»Euch erwartet in den kommenden zwölf Monaten ein Mix aus Unterricht, speziellem Förderunterricht und Werkstatteinheiten von unseren Pädagogen hier im Maßnahmengebäude, dazu Unterricht im Kolleg nebenan und ein paar Praktika«, erklärte der Maßnahmenchef mit übertriebener Begeisterung. »Hier bekommt ihr die Chance, doch noch euren Hauptschulabschluss zu machen.«
Bla, bla, bla.
Ich konnte das ganze Geschwafel echt nicht mehr hören. Dies hier war immerhin meine siebte »Einschulung«. Oder hatte ich mich verzählt? Das wäre zugegebenermaßen keine megagroße Überraschung, denn Zahlen und Rechnen waren noch nie so mein Ding gewesen.
In Mathematik befand ich mich nämlich auf dem Niveau eines Drittklässlers. So die Meinung der Durchblickerfraktion, bestehend aus Therapeuten, Ärzten und Psychiatern. Nicht so der Burner für einen mittlerweile Siebzehnjährigen, oder? Die Auswirkung: Ab der Siebten buchte ich in Mathe ein stabiles Sechserabo und bei einem dermaßen niedrigen mathematischen Tiefflug konnte mein so oft gelobtes »sprachliches Talent« auf Dauer eben auch nichts mehr wettmachen. Am Ende half mir das eigentlich nur noch dabei, ab und zu ganz anständige Songtexte zu schreiben – zumindest solange Jule noch, ach, egal …
Dieses schulische Desaster katapultierte mich dann aus dem Gymnasium heraus schrittweise ins schulische Nichts, bis ich heute einen weiteren Tiefpunkt meiner Schullaufbahn erreichte, denn ich war nun offizieller Teilnehmer dieser Bildungsmaßnahme für Flachpfeifen. Einer von sechzehn Deppen – allesamt »Schulversager«, die bildungsmäßig gar nichts gerissen bekommen hatten und deshalb ohne jeglichen Abschluss in Maßnahmen wie dieser in Richtung Hoffnungslosigkeit dümpelten.
Denn das war nun mal die Realität, auch wenn der Typ am Pult gerade betonte, dass wir bei regelmäßiger und erfolgreicher Teilnahme hier eine »gute und reale« Chance auf den Schulabschluss und damit eine anständige Ausbildung bekamen.
Oh, Mann. Während meine alten Schulfreunde also langsam begannen, nach der coolsten Uni zu suchen, saß ich wieder einmal in einem weiteren miefigen Klassenzimmer, um meinen … tadaaaa … Hauptschulabschluss nachzuholen.
Meine Freude war, wie erwartet, grenzenlos.
Nachdem der Einführungsvortrag endlich beendet war, schnappte sich der Redner seinen Aktenkoffer und ließ uns mit einer sehr jungen, zierlichen Pädagogin mit roten Locken zurück, damit diese uns die Details der nächsten Tage mitteilen konnte. Sie hieß Marlen Knöpfle, war Sozialpädagogin und Lehrerin – und anscheinend einer unserer Folterknechte im Bereich Holz.
Für diesen Bereich Holz hatte ich mich allerdings nicht entschieden, weil ich ihn so spannend fand, sondern bloß, weil mich alle alternativen Schwerpunkte noch weniger interessierten.
Trotzdem: Ich hatte keinen Schimmer, was Sägen und Hobeln mit einem Schulabschluss zu tun haben sollten.
Es verknüpft Arbeiten und Lernen, Julian. Es weckt die Kreativität, macht Spaß und hilft dir vor allem, dich nach all den Fehlschlägen wieder zu motivieren.
Ohne Scherz jetzt, das hatte mir die Berufsberatungstante beim Infogespräch auf meine Frage ernsthaft geantwortet.
»Hallo? Können Sie bitte mal still sein?«, fragte diese Knöpfle nun viel zu freundlich und piepste danach noch mal irgendwas von wegen »Chance fürs Leben«, »Tolle Praktika« und »Wir sind ein Team!«, doch eigentlich hörte ihr längst keiner mehr zu.
Ein großer, dürrer Typ im Punklook hatte seinen Kopf lieber in einen fetten Wälzer über Kapitalismus gesteckt, der Glatzkopf schickte die gerade erst verteilten Stundenpläne als Papierflieger auf Reisen, eine überstylte Blonde feilte an ihren Fingernägeln … doch die meisten glotzten einfach nur blöd in der Gegend rum oder beschäftigten sich mit ihrem Smartphone.
Auf jeden Fall ignorierten sie die Rothaarige. Mit einer Ausnahme: das Mädchen mit dem schwarzen Hoody, das vorhin vom Glatzkopf so angemacht worden war. Sie saß da mit blitzenden Augen, saugte jedes Wort in sich auf und machte sich Notizen, als würde sie diese Sache hier wirklich ernst nehmen.
Zwei geschlagene Stunden später war der ganze Spuk endlich vorbei. Wir hatten