Windmar. Ben Jansen
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Wer sind wir, und wer sind die Menschen, mit denen wir Zusammenleben? Für Sophie und Alexander gibt es darauf keine einfache Antwort. Sie wachsen bei einer geheimnisvollen Frau auf, und jedes Jahr Ziehen sie an einen anderen Ort. In diesem Sommer aber finden sie Stück für Stück mehr heraus über die Frau, mit der sie leben – und werden dabei in eine spannende Jagd auf eine gefährliche Bande von Verbrechern verwickelt.
Ben Jansen
Windmar
Für Alexander und Sophie
© 2020 Ben Jansen
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN | |
Paperback: | 978-3-347-12526-1 |
Hardcover: | 978-3-347-12527-8 |
e-Book: | 978-3-347-12528-5 |
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Inhalt
1 Der Einzug
2 Das Dorf
3 Die Kinder
4 Tiger
5 Fahrräder
6 Die Nachbarn
7 Der Laden
8 Ein Ausflug
9 Die Hütte im Wald
10 Ein Geheimnis
11 Der Professor
12 Sophie hilft
13 Das Medikament
14 Am See
15 Die Rast
16 Ernte
17 Besuch bei Nacht
18 Streit
19 Regen
20 Margaret verschwindet
21 Kampf
22 Das Spiel ist aus
23 Die Auflösung
24 Umzug
1 Der Einzug
Am Dienstag war der Einzug. Der große Möbelwagen kam morgens um neun – und mit ihm eine Gruppe von kräftigen, schweigsamen Männern die nach Zigaretten, Schweiß und nach der Mittagspause auch nach Bier rochen. Gemeinsam hatten sie Betten, den Tisch, die schweren Schränke und Kommoden sowie die vielen nummerierten Umzugskisten in die jeweiligen Zimmer getragen, die Margaret ihnen angewiesen hatte.
Die Kinder hatten sich bemüht, nicht zu stören; und wenn der ganze Vorgang auch eine Abwechslung war und aufregend, so war es besser, Margaret nicht in die Quere zu kommen. Sie hatte auch so schon genug zu tun, und wahrscheinlich noch weniger Geduld als sonst. Den Vormann der Arbeiter jedenfalls hatte sie bereits morgens mehrmals scharf zurechtgewiesen, so dass der dicke Mann – etwas älter als seine Kollegen – ihr für den Rest des Tages aus dem Weg ging, wo immer das möglich war.
Das Haus war alt und hatte zwei Stockwerke. Es war über und über mit grauen Holzschindeln bedeckt und hatte spitze Giebel. Efeu wuchs an der Wand entlang hoch und reichte an manchen Stellen fast bis an das Dach. Der mit lockerem Kies bedeckte Hof befand sich ganz am Ende einer gewundenen Sackgasse, ein wenig außerhalb des Dorfes. Hinter dem großen, verwilderten Garten auf der Rückseite fingen weite Felder an, nur durch eine dicke Hecke getrennt. In der Ferne sah man den dunkelgrünen Saum eines dichten Waldes, und die Felder standen bereits hoch im Frühsommer.
Zum ersten Mal in ihrem Leben mussten sich der Junge und das Mädchen kein Zimmer mehr teilen. Beide hatten ihre eigene kleine Kammer, auf gegenüberliegenden Seiten im oberen Stockwerk. Beide Räume hatten jeweils ein kleines Fenster zum Garten, und die schmalen Betten standen unter der Dachschräge. Zwischen den Zimmern lag ein kleines Badezimmer mit gekachelten Wänden. Es war wunderbar – ein eigenes Reich für die Kinder, durch einen niedrigen Flur und eine enge gewundene Treppe getrennt vom Rest des Hauses. Dort gab es das Schlafzimmer von Margaret, ein weiteres Bad, die Küche mit dem Steinboden und der Tür zum Garten, und das kleine Wohnzimmer.
Überhaupt war das Haus voller Wunder. Es gab einen hohen, rundlichen Kühlschrank, außen aus weißer Emaille; die schwere Tür wurde mit einem großen Chromhebel verschlossen. Und sogar einen eigenen Telefonanschluss! Der Apparat befand sich im Schlafzimmer von Margaret. Es war ein schweres, schwarzes Gerät aus Bakelit mit einem großen Hörer auf der Gabel und weißen Nummern auf der Wählscheibe. So hatten sie noch nie gelebt.
Sowohl das Mädchen als auch der Junge hatten einen neuen, schmalen Schreibtisch bekommen, zusammen mit einem der hölzernen Küchenstühle aus dem letzten Haus. Der Schreibtisch stand unter dem Fenster, und wenn man sich ein wenig reckte, konnte man hinunter in den Garten, weit über die Hecke und Felder bis hin zum Waldrand in der Ferne schauen.
Die Kommoden waren eigentlich zu groß für die Zimmer. Es war nicht einfach gewesen, sie die enge Treppe hoch und durch die schmalen Türen zu wuchten. Die Arbeiter hatten geflucht und einen großen Kratzer in die Wand im Treppenhaus gemacht, über den der Vormann sich von Margaret einen ganzen Vortrag hatte anhören müssen. Nun aber stand alles an seinem Platz, und die Kinder konnten ihre Kleider wieder in die jeweiligen Schubladen einsortieren. Als dann auch noch die Bücher wieder aufgestellt waren, gab es nicht mehr viel zu tun. Die Schultaschen hatten sie fertig gepackt selbst getragen – und nun waren sowieso erstmal für lange Zeit Ferien.
Sophie hatte das kleine Fenster geöffnet und lag auf dem Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Feiner Staub flirrte in den Sonnenstrahlen, und die träge, warme Luft von draußen duftete schwer nach dem weißen Flieder im Garten. Alexander saß in seinen kurzen Hosen auf dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch und kratzte sich an den Beinen. „Warum sind wir ausgerechnet hierher gezogen?“, fragte er. „Ich glaube, wir mussten dort weg“, sagte Sophie. „Mal wieder“, fügte sie ein wenig altklug hinzu.
Von unten erklang ein dumpfer Schlag, gefolgt von einem Klirren und dann der gewohnten, scharfen Stimme von Margaret. Diesmal wollte das Schimpfen kein Ende nehmen. Wenn man auch die Worte hier oben nicht verstand, so wusste man wohl, dass man nicht in der Haut der Möbelpacker stecken wollte; Erwiderungen waren nicht zu hören.
„So viele Umstände. Soviel Arbeit. Wer weiß, was diesmal alles kaputt geht. Jedes Jahr das gleiche. Und ich habe unser altes Dorf so gerne gemocht.“ Alexander öffnete die Schreibtischschublade und schob sie wieder zu. Sie war leer.
Sophie dachte an die Katze, die manchmal im Schuppen des letzten Hauses geschlafen hatte, und wer ihr jetzt wohl Essen zustecken würde. Sie verscheuchte den Gedanken und versuchte, sich selbst und Alex aufzumuntern. „Aber da hatten wir kein eigenes Zimmer, jeder für uns. Und außerdem gab es nur ein Bad. Und es war kalt. Das neue Haus ist schön.“
„Bilder fehlen“, sagt Alexander. Er wusste, dass Sophie recht hatte, aber er hatte schlechte Laune. „Es wäre schön, etwas zu haben, was wir an die Wand hängen können. Wie in einem richtigen Zuhause.“
Sophie fand den Gedanken Quatsch. „Aber wir haben doch ein richtiges Zuhause, Bilder oder nicht. Wir habe uns beide, und das ist ein Haus, und Essen, und Kleider, und Margaret. Und bestimmt gibt es auch hier wieder Schulen und einen Bus, der uns dort hinfährt. Vielleicht bekommen wir sogar die Fahrräder, von denen Margaret gesprochen hat.“
„Alexander! Sophie!“ – diesmal war es klar zu verstehen, und die Kinder sprangen auf. „Wir kommen!“ Sie stürmten den engen Gang und die Stiege herunter. Die Treppe endete im Flur mit den Holzdielen, vor der Tür zur Küche. Der Vormann der Möbelmänner stand mit Margaret bei der Eingangstür, und beide hielten einen Stoß Papiere in der Hand.
„Habt