Andere Länder - andere Bärte. Miguel Gutierrez

Andere Länder - andere Bärte - Miguel Gutierrez


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      Athens Barber’s Shop

      Am nächsten Tag gingen wir hinüber zu Athens Barber’s Shop (Filolaou 84–86, Pagrati), wo uns Vasilios begrüßte, ein sehr selbstbewusster, stolzer Mann mit langem Pferdeschwanz in einem schicken weißen Hemd. Sein Friseurladen war mehr von der klassischen Sorte, und er war vor allem stolz auf seine Rasiertechniken sowie darauf, dass er Barbiere ausbildete und bei Friseurwettbewerben mitmachte. Bei ihm fanden wir Schaukästen voller Barbier-Memorabilia, alte Friseursessel und Geschichten über Geschichten. Barbierläden waren, seinen Worten zufolge, früher wie winzige Parlamente, in denen der Barbier die Debatten leitete. Und auch heute noch findet man überall auf der Welt solche Läden, in denen Politik und Nachrichten Tagesgespräch sind. Das kann je nach Kultur oder Land ganz unterschiedlich ablaufen und hängt auch davon ab, was für eine Atmosphäre der Barbier selbst in seinem Laden schafft. Immer aber geht es sehr familiär zu.

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      Abhängen im Barbershop. Die meisten, die wir ohne Vorankündigung besuchten, waren erst überrascht, empfingen uns aber überaus freundlich.

      THESSALONIKI

      Nach Athen besuchten wir Thessaloniki, hatten aber Probleme, dort Barbierläden zu finden – und als wir einen aufgetan hatten, wurden wir unglaublich unfreundlich behandelt. Damit hatten wir nicht gerechnet. Wir kamen rein und versuchten etwas unbeholfen, uns vorzustellen, aber der Barbier schaute uns nur verächtlich an und deutete zur Tür. Wir dachten, er hätte uns nur nicht richtig verstanden, und starteten einen neuen Anlauf, aber er blieb abweisend. Das war unsere erste Niederlage bei unserer Dokumentationsserie.

      Dass in Athen – und in Griechenland überhaupt – nicht mehr Barbershops zu finden waren, hat mich ziemlich überrascht. Anscheinend wollten zwischenzeitlich kaum noch Leute diesen Beruf ergreifen. Das bedeutete, dass es – infolge des »Barber-Booms« 2012/2013 – entweder vor allem ziemlich neue Geschäfte gab oder die Barbiere schon alt und teilweise im Ruhestand waren. Dieses Thema begegnete mir auf meinen Reisen immer wieder.

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      Ein Haarschnitt bei Sonnenuntergang auf dem »Sunrise Point« in Göreme, im wunderschönen Kappadokien.

      TÜRKEI

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      Blick von einem Schiff auf die Bosporusbrücke. Sie verbindet den europäischen mit dem asiatischen Teil Istanbuls.

      BEI MEINER RECHERCHE VOR DER REISE war die Türkei eines der wenigen Länder, aus denen ich auf YouTube etwas über die Barbierszene gepostet gefunden hatte. Zu sehen, dass dort so viel mehr Wert auf Service gelegt wurde als anderswo, war ein richtiges Aha-Erlebnis für mich. Mit dem zunehmenden Einfluss türkischer Barbiere in Großbritannien hatte ich selbst erleben können, wie wichtig Barbierläden für die türkische Gesellschaft waren. Schon allein deshalb MUSSTE ich auf meiner Reise hin! Ich kannte das Land noch nicht, aber schon bei meiner Recherche merkte ich, dass dort nicht nur die Barbierkultur quer durchs ganze Land außerordentlich lebendig war – die türkische Kultur insgesamt fand ich zutiefst beeindruckend.

      ISTANBUL

      Wir kamen mit dem Bus in Istanbul an. Die Geräusche und Gerüche dort versetzten mich in eine Erregung, die ich lange nicht mehr gespürt hatte. Unbekannte Orte habe ich auf Reisen schon immer aufregend gefunden, Orte, an denen man das Unerwartete zu erwarten hat und die einen aus der eigenen Komfortzone schubsen.

      Wir mieteten uns in der Nähe des Taksim-Platzes ein, lustigerweise in einem von Griechen geführten Hostel. Als wir bei der Ankunft erzählten, dass wir zum ersten Mal in Istanbul seien, sagte der Mann an der Rezeption streng: »Das ist Konstantinopel!« Er war ein Nachfahre der alten Griechen, von denen diese Stadt einst bevölkert war und die heute Istanbul heißt. Er spielte griechische Musik, servierte griechisches Frühstück und traf sich jeden Abend mit seinen griechischen Freunden zum Essen auf der Terrasse. Ich muss gestehen, dass ich von der wechselvollen Geschichte dieser uralten Stadt bis dahin kaum etwas gewusst hatte.

      Da wir im Vorfeld mit keinem Barbier Kontakt aufgenommen hatten, versuchten wir auf gut Glück, in einem Laden ein Interview anzufragen, scheiterten aber an der Kommunikation – eines der Hauptprobleme, das uns auf der Reise immer wieder zu schaffen machte. Ohne Hilfe bei der Übersetzung waren wir aufgeschmissen. Der junge Mann, von dem ich mich schließlich rasieren und mir die Haare schneiden ließ, gab mir sehr nett zu verstehen, dass er nicht interviewt werden wollte (wobei ich ziemlich sicher bin, dass er nicht verstand, worauf wir hinauswollten).

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      Recep und ich in seinem Laden. Einer der freundlichsten und warmherzigsten Barbiere, die ich kennengelernt habe.

      Kuaför Recep

      Am nächsten Tag durchstreiften wir die Straßen in der Nähe des Großen Basars und schauten, ob uns irgendwo ein Barbierladen besonders auffiel. Schließlich landeten wir in einer kleinen Seitenstraße, wo an einem Haus groß KUAFÖR geschrieben stand. Ein Mann saß davor, und als wir näherkamen, begrüßte er uns freundlich. Er sagte »Hello« und ich »Merhaba«. Ich versuchte ihm mitzuteilen, dass ich selbst ein Barbier sei, und er machte »ohhhh« und klatschte wie zum Beifall in die Hände. Das fand ich recht seltsam, aber nachdem einer seiner Freunde uns mit Google Translate ausgeholfen hatte, stellte sich heraus, dass er mein englisches »barber« für »baba« (Vater) gehalten hatte.

      Wir wurden in den kleinen, bescheidenen Laden eingeladen und von einem Mann begrüßt, den ich heute als Recep kenne. Er war einer der freundlichsten und warmherzigsten Barbiere, denen ich auf meinen Reisen begegnet bin. Er interessierte sich nicht nur für seinen Job, seinen Laden und seine Leute, sondern für Menschen insgesamt. Wir tranken fast schweigend Unmengen von türkischem Tee, der gefühlt alle fünf Minuten von einem Teenager in den Laden gebracht wurde. Wir versuchten ihm klarzumachen, dass wir in seinem Laden filmen wollten. Schließlich schafften wir es irgendwie zu vereinbaren, dass wir am nächsten Tag wiederkommen und ein Interview mit ihm aufnehmen würden, nachdem wir ihm ein paar Beispiele aus unserer griechischen Episode gezeigt hatten.

      Wir kannten ein Mädchen, das in Istanbul studierte und ein bisschen Türkisch sprach. Sara war wirklich sehr nett, und wir konnten sie überreden, am Tag darauf mitzukommen und uns auszuhelfen. Trotzdem war es nicht immer einfach, uns verständlich zu machen. Wir konnten nur hoffen, dass seine Antworten auch zu unseren Fragen passten.

      Recep erzählte uns, wie die Massage und das Abflammen der Ohrhaare eine Besonderheit von Istanbul seien und dass man in der Türkei Rasuren bekommt, die man in Europa normalerweise nicht findet. Er meinte, dass türkische Barbiere das Rasieren und Massieren quasi mit der Muttermilch aufsaugen und sie deshalb geschickter sind als die Barbiere aller anderen Länder Europas. Keinen Zweifel ließ er daran, dass für einen türkischen Barbier der Kunde und dessen Wohlbefinden immer an allererster Stelle zu stehen hat.

      Ein Barbierlehrling beginnt, laut seinen Worten, etwa im Alter von zwölf Jahren, schon nach dem Ende der Grundschule. Er kommt in den Laden, macht sauber, schaut zu und lernt dabei, wie der Laden funktioniert. Heute, sagte Recep, können Barbiere in Schulen ausgebildet werden, aber früher ging es nur, indem man dem Meister zusah und es ihm nachmachte.

      Ich glaube, dass das auch heute noch die beste Art ist, um das Handwerk zu lernen. Man muss genau hinschauen und sich auf die Kunden einstellen. Dass schon Kinder mit zwölf sich für diesen Berufsweg entscheiden, finde ich fantastisch. Wahrscheinlich ist auch deshalb die türkische Barbierkultur so stark.

      »Manchmal sind wir Barbiere die Einzigen, von denen sich diese Menschen berühren lassen.«

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