Unsere Zukunft nach Corona. Thies Claussen
allen Bundesländern abnehmen. Zwischen 2018 und 2060 wird unter den gleichen Voraussetzungen die Zahl der erwerbsfähigen Personen in den westdeutschen Flächenländern um 16 %, in den ostdeutschen Flächenländern um 30 % und in den Stadtstaaten um 4 % sinken.
Bei der demografischen Entwicklung verdient insbesondere die zunehmende Alterung der Bevölkerung in Deutschland besondere Beachtung. Die Anzahl der Menschen im Alter ab 67 Jahren wird weiter steigen, besonders in den nächsten 20 Jahren, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer sukzessive in dieses Alter aufrücken. Während derzeit jede fünfte Person dieser Altersgruppe angehört, wird es 2060 bereits jede dritte Person sein.
Dies führt zu einer ganzen Reihe heute zum Teil noch ungeklärter Fragen: Müssen wir künftig bis 68, 69, 70 Jahre oder gar noch länger arbeiten, um unsere Sozialsysteme in Balance zu halten und um den Jüngeren keine unzumutbaren Belastungen aufzubürden? Oder schaffen es deutliche gesamtwirtschaftliche Produktivitätsfortschritte, die bisherigen Renteneintrittszeiten zu halten? Wie viele Senioren- und Pflegeheime und wie viele Pflegekräfte brauchen wir künftig? Welche Beiträge können die älteren Menschen künftig für die Gesellschaft einbringen? Können die jungen Menschen mit ihrer Arbeit das Wirtschaftssystem bei den sich abzeichnenden demografischen Entwicklungen in Gang halten? Kann unser Land mit seiner hohen Altersstruktur dem internationalen Wettbewerb mit deutlich jüngeren Staaten standhalten?
Regionale Auswirkungen der Demografie
Auch auf regionaler Ebene treten die demografischen Verwerfungen immer deutlicher hervor. Was im Osten Deutschlands schon vor 25 Jahren deutlich wurde, ist mittlerweile zu einem bundesweiten Phänomen geworden: Vor allem junge Menschen zieht es verstärkt in die urbanen Zentren, während die peripher gelegenen ländlichen Gebiete – dort, wo nicht entschlossen gegengesteuert wird - kontinuierlich an Bedeutung verlieren und die Dörfer immer mehr den Älteren überlassen werden. Nach Ansicht von Reiner Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung haben die Landflucht und die Renaissance der Städte vor allem folgende fünf Gründe:35
• Erstens liegen die Kinderzahlen auf dem Land heute so niedrig wie in den Städten. Während früher die Dörfer ihren Überschuss an Menschen stets an die Städte abgaben und so das urbane Wachstum förderten, ohne selbst zu schrumpfen, verlieren sie heute junge Menschen auf der Suche nach einer Ausbildung oder einem Job, ohne die Lücken aus eigener Kraft füllen zu können.
• Zweitens entstehen neue Arbeitsplätze in modernen Wissensgesellschaften dort, wo sich eine kritische Masse an Unternehmen, Forschungseinrichtungen und klugen Köpfen findet – also in den Ballungsräumen und kaum auf dem Land.
• Drittens haben sich in den ländlichen Gebieten die infrastrukturellen Versorgungsbedingungen durch den Wegzug vieler Menschen bereits deutlich verschlechtert. Schulen und Geschäfte schließen, der Nahverkehr wird ausgedünnt, Arztpraxen machen dicht, und dieser Rückzug treibt weitere Personen in die Zentren.
• Viertens steigen die Bildungswerte bundesweit, also auch auf dem Land, was dazu führt, dass immer mehr junge Menschen nach ihrer Schulzeit eine Ausbildung an einer Hochschule in einer größeren Stadt aufnehmen.
• Fünftens haben sich viele Städte in den vergangenen Jahrzehnten einer Erneuerungskur unterzogen, zum Beispiel haben sie attraktiven Wohnraum geschaffen, alte Industriebrachen und Gleisanlagen rekultiviert oder die Betreuungsbedingungen für Kinder verbessert. Weil zudem immer mehr Paare Doppelverdiener sind und zunehmend weite Pendelfahrten zum Arbeitsplatz scheuen, sind Städte gerade für junge Familien wieder zu einem attraktiven Wohnstandort geworden.
Dörfer mit zunehmend älterer Bevölkerung, Städte mit dem Zuzug junger Menschen: Dieser Trend wirft die Frage auf, wie dem entgegenzuwirken ist. Es zeigt sich, dass der ländliche Raum nur dann nicht abgekoppelt wird, wenn der Staat und die regionalen Akteure mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen gegensteuern. Zu diesen Maßnahmen gehören schnelle Internetverbindungen, gut ausgebaute Infrastruktur, regionale Außenstellen von Hochschulen und gute Bildungseinrichtungen, ausreichende medizinische Versorgung und genügend Einkaufsmöglichkeiten.
Trotz allem kann dieser Trend wohl nicht völlig gestoppt werden. Die Zukunftsfähigkeit von Räumen weist in Deutschland erhebliche Unterschiede auf. Dies zeigen zum Beispiel auf der einen Seite demografische Krisenregionen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, aber auch altindustrielle Kreise im Ruhrgebiet, auf der anderen Seite stabile und wachsende Metropolräume wie Hamburg, Köln/Bonn, Frankfurt, Stuttgart, Berlin und München.
Verschiedene Lebensphasen
Unabhängig von diesen regionalen Aspekten gilt der allgemeine Trend: Der Anteil junger Menschen nimmt ab, der Anteil der älteren Bevölkerung wächst. Vor dem Hintergrund dieses allgemeinen Trends durchläuft der Einzelne verschiedene Lebensphasen, die sich bereits in den vergangenen Jahrzehnten verschoben haben und die sich noch weiter verschieben können.
Matthias Horx beschreibt in seinem Buch „Das Megatrend Prinzip. Wie die Welt von morgen entsteht“ sechs Phasen des Lebens in unserer Langlebigkeitsgesellschaft:36
• Verkürzte Juvenilität: Die Pubertät beginnt früher, die Kindheit endet entsprechend schon mit zwölf Jahren (anstatt mit 14 oder 15, wie früher).
• Verlängerte Postadoleszenz oder „Odyssee-Jahre“: Zwischen Pubertät und Festlegung auf einen Lebenspartner, Berufswahl, Familiengründung schiebt sich eine lange Experimentierphase, in der mit Jobs, Ausbildungen, Wohnorten, Partnerschaften, Beziehungen jongliert wird.
• Die „Rushhour“: Um die 30 beginnt jener Lebensabschnitt, in dem sich der Konflikt zwischen Erwerbsarbeit, Liebe und Familie verstärkt – der Stress nimmt zu, Entscheidungen stehen an, die gerne hinausgezögert werden.
• „Selfness-Phase“: Während sich in der alten Industriegesellschaft in der Phase zwischen 40 und 50 eher die tradierten Statusrollen verfestigten, beginnt nun ein verstärkter Individualisierungs- und Selbstfindungsprozess.
• „Zweiter Aufbruch“: In einem Alter zwischen 50 und 65 werden die verpassten Chancen bilanziert und etwa durch neue Berufsherausforderungen oder Partnerschaften kompensiert. In diesem Abschnitt kommt es auch zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung in Form von Ehrenämtern, Engagements in der Politik oder Wirtschaft: Sinnfindung jenseits der traditionellen Erwerbsarbeit.
• Weisheitsphase: Zwischen 70 und 80 Jahren kommt es zur Entscheidung zwischen einer weiteren mentalen Entwicklung oder zu einer frühzeitigen Alterung. Auch mit Einschränkungen und Gebrechen, selbst mit schlechten Gewohnheiten lässt sich durchaus im hohen Alter noch Staat machen – der Vielraucher Helmut Schmidt saß im Rollstuhl und war eine hochgeschätzte geistige Autorität.
Soweit die sechs Lebensphasen im Rahmen der neuen Alterns nach Matthias Horx. Einiges davon werden wir bei uns, im Kreis unserer Familie und Freunden oder bei Bekannten wiedererkennen. Einiges davon wird aber individuell auch ganz anders verlaufen.
65plus Generation ist innovationsfreudig
Der Trend zum neuen Altern zeigt sich besonders bei den älteren Menschen. Der Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski betont, dass das frühere Defizitbild vom Alter längst überholt ist.37
Opaschowski unterstreicht, dass die 65plus-Generation mehr Erfahrung, Gelassenheit und Unabhängigkeit auszeichnet. Sie weiß, was sie will, fühlt sich weniger unter Druck und leidet auch weniger unter Stressbelastungen. In Bezug auf Vitalität und Mobilität ist sie auch objektiv jünger als frühere altersgleiche Generationen.
Eine Altersstudie von Generali, die auf einer Befragung von mehr als 4100 Bundesbürgern im Alter zwischen 65 und 85 Jahren durch das Institut für Demoskopie Allensbach beruht38 , weist darauf hin, dass die Vitalität der Älteren in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat: Eine große Mehrheit fühlt sich jünger, als es ihrem tatsächlichen Alter entspricht. Physisch und mental sind die Älteren mit ihren Lebensumständen sehr zufrieden. Eine optimistische Grundhaltung dominiert ihr Leben:
• Die Gruppe der 65- bis 85-Jährigen fühlt sich um 7,5